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Mani Matter – warum syt dir so truurig?

Unter dem Titel Mani Matter – warum syt dir so truurig? legt Friedrich Kappeler einen Film über den Berner Mundart-Chansonnier beziehungsweise Troubadour vor, der im November 1972 erst 36-jährig gestorben ist. Er blieb jedoch unvergessen, nicht nur in Bern.

Text: Fred Zaugg / 01. Nov. 2002

Unter dem Titel Mani Matter – warum syt dir so truurig? legt Friedrich Kappeler einen Film über den Berner Mundart-Chansonnier beziehungsweise Troubadour vor, der im November 1972 erst 36-jährig gestorben ist. Er blieb jedoch unvergessen, nicht nur in Bern. In der ganzen deutschsprachigen Schweiz, aber auch im angrenzenden Ausland wurde der Liedermacher zur Legende. Ab Tonträger werden seine hintergründigen, witzigen und kritischen Chansons nach wie vor gehört, von Schulklassen, Chören und «Solisten» werden sie gesungen und von Rocksängern adaptiert.

Einen Film über Mani Matter gab es dennoch bisher keinen. Dass nun der aus Frauenfeld gebürtige 53-jährige Friedrich Kappeler den ersten Mani-Matter-Film vorlegt, ist einerseits bezeichnend für die Ausstrahlung des Sänger-Poeten, andrerseits möglicherweise mit der Zurückhaltung der Berner «ihrem» Mani Matter gegenüber zu erklären. Auch Kappeler, der sich als Matter-Fan bezeichnet, hat sie, wenn er über den späten Entschluss, diesen Film zu drehen, schreibt: «Manchmal hat man einfach Bedenken, seinem Sujet nicht gerecht zu werden mit seiner Arbeit.» Begreifliche Bedenken, geht es doch darum, Wort und Melodie in eine Bildsprache umzusetzen, welche der Eigenart von Mani Matters Schaffen entspricht.

Mit seinen Filmen Der schöne Augenblick, 1986, Adolf Dietrich – Kunstmaler, 1991, und Varlin, 2000, hat sich der Filmschaffende mit grosser Sensibilität einem Fotografen und zwei Malern genähert, Sujets, die von vornherein bildstark und wirksam waren. Unvergessen bleibt auch Gerhard Meier – Die Ballade vom Schreiben, 1995, doch hier handelt es sich um die filmische Begegnung, die dem Schriftsteller selbst gilt, und nicht um eine postume Würdigung anhand der Werke wie bei Matter. Das visuelle Element war also in all diesen Arbeiten vorhanden und zur Bearbeitung geeignet.

Anders bei Mani Matter: Von ihm gibt es nur wenige Filmaufnahmen, einige im Archiv des Schweizer Fernsehens DRS, darunter eine Sendung von Franz Hohler, einen Super8-Film von Alexandra Burkhardt, einer engen Freundin der Familie, und dann eine Reihe von Fotogafien von Matters selbst und von den Fotografen Walter Studer und Albert Winkler. Diese raren Dokumente, diese sichtbaren Zeugnisse, werden von Friedrich Kappeler mit Bedacht und Respekt zu einem roten Faden gezwirnt, der die Verbindung zum Menschen, zu seiner Erscheinung auf der Bühne und im Familienalltag nie abreissen lässt. Obschon Mani Matter auf diesen wenigen Aufnahmen nicht älter geworden ist, werden sich manche, die ihn noch erlebt haben, bei ihrer Betrachtung fragen, ob er überhaupt jemals so jung gewesen sei, wie ihn offenbar die Erinnerung in den drei Jahrzehnten seit seinem Tod gemacht hat.

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Den weit grösseren Teil muss Friedrich Kappeler den von Mani Matter selbst gesungenen Liedern, also reinen Tondokumenten überlassen, aber auch ihren Adaptionen durch andere. Dazu wird aus dem Werk des Schriftstellers Mani Matter gelesen. Und schliesslich gewinnt das Porträt des eigenwilligen und einzigartigen Kleinkünstlers durch zahlreiche Zeugnisse Konturen: Unter vielen andern sprechen seine Frau Joy Matter, seine Töchter Sibyl und Meret mit dem Grosskind Maxie und sein Sohn Ueli über ihr Leben mit Mani; die Berner Troubadoure Fritz Widmer und Jacob Stickelberger, die Freunde Franz Hohler, Urs Frauchiger und Jürg Wyttenbach, die Kleinkunstkollegen Emil Steinberger und Dimitri sowie Stephan Eicher, Kuno Lauener, Dodo Hug und schliesslich Polo Hofer, der den «Titelsong» interpretiert, teilen Erinnerungen und Erfahrungen mit dem Publikum.

«Warum syt dir so truurig?» Filmautor Friedrich Kappeler wählt die Frage als Untertitel zu seinem Mani-Matter-Film, nicht die Trauer von einst, sondern das späte Lied in Erinnerung rufend, mit dem der Chansonnier kurz vor seinem Tod die Alltagstrauermienen seiner Mitmenschen als unbegründet entlarvte. Anders ist dieses Lied, direkt und schlicht, nicht witzig, dafür aber ohne Umschweife wahr. Paradox zu behaupten, gerade dieses Chanson sei eine Art Neubeginn gewesen und habe mit seiner freien Machart in die Zukunft gewiesen. Für Mani Matter gab es sie nicht mehr, diese Zukunft. Für uns Trübsal verströmende Schweizer und Schweizerinnen hingegen ist das Lied gültig geblieben, im Film adaptiert und interpretiert von Polo Hofer. Von Mani Matter selbst existiert keine Aufnahme davon.

Echos, wie dieses von Polo Hofer empfangene und weitergetragene Lied, und Erinnerungen prägen weitgehend das Porträt, welches Friedrich Kappeler vorlegt. In seinem Aufbau ist es verwandt mit der Gedenksendung von Benno Kälin im Radio, ein Jahr nach Mani Matters Tod. 29 Jahre nach dieser unvergessenen Audio-Hommage liegt nun eine visuelle vor, eine audiovisuelle. Wichtigste Spur bleiben die Lieder. Rund zwanzig hat Kappeler in den Film aufgenommen. Sie sind es in erster Linie, welche die komplexe Persönlichkeit Mani Matters auch dreissig Jahre nach dem Tod spiegeln und ihr – der Technik sei Dank – eine ungebrochene Präsenz und Lebendigkeit verleihen. Witz und Weisheit, Wortspiel und Weltsicht, Wirklichkeit und Vision, Tiefsinn und Nonsens oder Nonsens mit Tiefsinn, aber auch ganz einfach Tag und Traum verbinden sich und werden mit den einfachen und einprägsamen Melodien zu einem unverwechselbaren Ganzen.

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Friedrich Kappeler hat jene Chansons gewählt, die bekannt und beliebt sind, und er wagt den Versuch, sie sparsam mit illustrierenden Bildern zu begleiten. «Ds Nüünitram» etwa, «Bim Coiffeur», «Chue am Waldrand», «Si hei dr Willhälm Täll ufgfüert» oder «Di Strass, won i dran wone». Pio Corradi hat unspektakuläre, adäquate, glücklicherweise jedoch nie interpretierende Aufnahmen gemacht. Ob allerdings die Bilder zur Unfallnacht diesen Bogen nicht doch überspannen, bleibe dahingestellt. Aber es gibt ja den anderen Bogen der Erinnerung, der zwar nicht immer von gleicher Spannung sein kann, jedoch stets trägt. Dabei wird die kurze Führung Guido Schmezers ins einstige Büro des Rechtskonsulenten der Stadt Bern, des engagierten Juristen Matter, ebenso aufschlussreich wie all die Würdigungen, denn Bürgerliches und Künstlerisches, das heisst Jurist und Troubadour sind in Mani Matters Person eng miteinander verbunden. Dass er in den dreissig Jahren seit seinem frühen Tod für viele zu einer Legende geworden ist, betrifft offenbar jene nicht, die ihn gekannt und geliebt haben, denn von einer Idealisierung gibt es im Mani-Matter-Film nicht die Spur. Seine Einzigartigkeit, seine Meisterschaft in Wort- und Satzkunst und seine zurückhaltende, doch perfekte Interpretation bleiben unbestritten. Doch mit Mani Matter bleibt man auf dem Boden, letztlich auch im Nüünitram und auch in Friedrich Kappelers Film. Dass seine lokale Verwurzelung in der Sprache und im Volk einer Ausstrahlung selbst über die Grenzen hinaus nicht im Wege stand, zeigt sich am mitreissendsten in Stephan Eichers Auftritt mit Matters «Hemmige» im Pariser Olympia. Mani Matter – warum syt dir so truurig? – ein feinfühliges und respektvolles Teamwork, an dem viele verantwortungsbewusst teilhaben.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 5/2002 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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