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D beim schminken

Dimitri – Clown

Der Film Dimitri – Clown von Friedrich Kappeler hat kein Interesse an theoretischen Fakten. Der Zuschauer wird an den Menschen Dimitri herangeführt, ohne dass der Zauber, der den Clown umgibt, etwas von seiner Faszination einbüssen würde.

Text: Milena Dylag / 01. Nov. 2004

Dimitri sitzt mit aufgemaltem Clowngesicht im Engelskostüm da und sieht aus, als würde er erheitert ein Augenblinzeln zurückhalten. In der nächsten Einstellung schwebt die Kamera über Tessiner Wald und Wiesen, sucht sich den Weg zum Dorf Ascona und hält vor einem anderen Dimitri: in Alltagskleidern und ohne Schminke blickt er etwas ernster und sinniert über die Poesie, das Clownsein, seine Familie. Der Film Dimitri – Clown von Friedrich Kappeler hat kein Interesse an theoretischen Fakten. Der Zuschauer wird an den Menschen Dimitri herangeführt, ohne dass der Zauber, der den Clown umgibt, etwas von seiner Faszination einbüssen würde.

Gibt es einen Dimitri hinter der weissen Clownmaske? Ein «hinter der Maske» sucht man vergeblich. Der Clown Dimitri ist nicht nur ein Konstrukt, eine erfundene Figur. Phantasie, Poesie, Schauspiel und Realität fliessen nahtlos ineinander über. Hinten und vorne sind nicht voneinander zu trennen, genauso wenig wie die Begriffe «gut» und «böse». Das eine bekäme durch das andere erst seinen Sinn, meint Dimitri. Er sei auch im Alltag ein wenig ein Clown, behauptet er, bei seinen Auftritten müsse er seinen Clownanteil nur konzentrieren und stilisieren. Friedrich Kappeler weiss um die Fragilität der Poesie und lässt die Bilder lieber kommentarlos stehen: Dimitri sitzt versunken in einem französischen Strassencafé, lässt geduldig den Teebeutel über der Tasse abtropfen und wartet. Schweigt. Legt den Teebeutel neben die Tasse – trinkt.

Die Familie Dimitris kommt im Film auch zu Wort, denn ein Film, ausschliesslich über Dimitri, würde ihm nie gerecht werden. Genauso wie die Kunstfigur Dimitri nicht vom Menschen Dimitri loslösbar ist, gibt es keinen Clown Dimitri ohne seine Familie. Die Frau und die Kinder sprechen zwar von ihm, aber noch wichtiger ist, wie sie leben, was sie arbeiten, was für Ziele sie haben. Der Film zeigt sie als eigenständige Persönlichkeiten, die eine zentrale Rolle in Dimitris Leben spielen.

D auf elefant banane

Obwohl das Künstlermilieu die Kinder stark geprägt hat (sie traten während der Circus-Knie-Tournee anfang 1970 zeitweise täglich auf und lebten mit ihren Eltern im Wohnwagen), traten nicht alle in die artistischen Fussstapfen ihres Vaters. Tochter Masha, die Dimitris Schule Scuola Teatro Dimitri abschloss, ist der Apfel, der am wenigsten weit vom Stamm gefallen ist. Sie hat mit ihrem Vater zusammen mehrfach das Programm für den Circus Monti zusammengestellt. Es wirkt also nur logisch, dass Masha im Film etwas mehr Raum gegeben wird als den anderen Familienmitgliedern. Denn das, was mit dem Clown unmittelbar und eng zu tun hat, hat Priorität und gibt die Richtung des Films vor. Dadurch, dass Kappeler spiralförmig recherchiert und die Person Dimitri aufblättert, erzeugt er eine emotionale und poetische Dichte, die berührt.

Durch Aufnahmen mit einer subjektiven Kamera wähnt sich das Publikum manchmal an Dimitris Stelle: Die Kamera betrachtet etwa, indem sie von links nach rechts schwenkt, in Ruhe eine Theaterprobe von Marcel Marceau. Dimitri wird eingeblendet, wie er aufmerksam die Probe mitverfolgt. Der Kreis schliesst sich, als der Blick der Kamera wieder zur Perspektive Dimitris wechselt. Ein ander Mal ergründet die Kamera aus Dimitris Blickwinkel eine seiner grössten Leidenschaften, die Elefanten, indem sie sachte, fast an die Grenze der aushaltbaren Nähe gehend, der runzligen Haut der Elefantenkuh Patma entlang fährt. Die Reliefs der Falten erzeugen skurrile Landschaften und Gebirgsformationen. Man möchte am liebsten, staunend wie ein Kind, die poröse Lederhaut anfassen, mit den Fingerspitzen darüberstreichen und versteht auf einmal Dimitris Faszination für das grosse Tier.

Manchmal umfängt Dimitri eine Leichtigkeit des Seins, über die man rasend werden möchte. Wie kann ein Mensch von bald siebzig Jahren, dessen Biographie vor Kunst und Kreativität aus allen Nähten platzt, so gelassen, frisch und zufrieden wirken? Der tragikomische Clown, der unter seiner Maske Tränen verbirgt, blitzt an Dimitris Esprit, Humor und Lebenslust ab. Da haben Bölls «Ansichten» keine Chance.

Lässt sich Dimitri von Ideen berieseln, lebt er ein unbeschwertes Künstlerdasein ohne Konflikte und Sorgen? Auch hier rieselt es nicht immer einwandfrei, manchmal kommt doch auch etwas Sand ins Getriebe. Schon als kleiner Junge wurde ihm durch seinen Vater aber beigebracht: Clown sein ist ein Metier wie jedes andere auch. Es bedeutet harte Arbeit, täglich stundenlanges Training. Es ist ein Metier ohne Pensionsalter. Dimitri macht weiter, solange er noch will. Solange er sich noch begeistern kann. Er sitzt in der Garderobe, streicht seine grauen Haare aus dem Gesicht und trägt sorgfältig die weisse Clownmaske auf – dann muss er gehen, die Bühne ruft.

D mit elefant patma

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 8/2004 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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