Filmbulletin Print Logo
Mein name ist bach 12

Mein Name ist Bach

Text: Gerhart Waeger / 01. Mär. 2004

Es dürfte für die fünfzigjährige Schweizerin Dominique de Rivaz Unbekümmertheit und einen an Verwegenheit grenzenden Mut gebraucht haben, um für ihre erste abendfüllende Arbeit (nach drei Kurzfilmen und einem Dokumentarfilm) ein Thema aus dem Bereich des Kostümfilms zu wählen. Dies nicht zuletzt auch deshalb, weil ein thematisch mindestens zur Hälfte verwandtes Werk aus dem Jahre 1967 Bestandteil der Filmgeschichte geworden ist: Zwar kleidete auch Jean-Marie Straub in seiner Chronik der Anna Magdalena Bach die Musiker in zeitgenössische Kostüme und setzte Bachs schöpferische Genialität in Kontrast zu den belanglosen Sorgen eines bürgerlichen Alltags, doch bemühte er sich durch extrem lange Einstellungen mit einer starren Kamera und eine betont karge Optik, jegliche Fiktionalität zu vermeiden und damit die Musik ins eigentliche Zentrum der Geschichte zu rücken.

Im Gegensatz dazu scheut sich Dominique de Rivaz nicht, Elemente des Kostümfilms zum Einsatz zu bringen. Um die Klippen des klassischen «Musikerfilms» dennoch zu vermeiden, hatte sie den Einfall, die Handlung auf die historisch verbürgte Begegnung des alt gewordenen und fast erblindeten Johann Sebastian Bach mit dem jungen Friedrich II., König von Preussen, vom Mai 1747 in Potsdam zu konzentrieren, wohin sich der Musiker auf einer beschwerlichen Kutschenfahrt begeben hatte, um durch seine Anwesenheit die Geburt eines Enkelkindes zu feiern. Zwar steht auch hier die Musik im Zentrum des Werks, doch sah sich die Filmautorin veranlasst, im Bild soviel Anekdotisches aus dem Leben am Hof des Preussenkönigs und aus dessen nicht mehr zur Handlung gehörenden Jugendzeit anzutippen, dass der ganze Film, jedenfalls vordergründig, zur Anekdote gerät – ein Eindruck, der durch die ausführlich geschilderte Fast-Liebesbeziehung zwischen Friedrichs temperamentvoller Schwester Amalie und Bachs ältestem Sohn Friedemann noch verstärkt wird.

Mein name ist bach 01

Anekdotisch ist letztlich auch die Art und Weise, mit der Musik in die Geschichte eingebracht wird. Um es mit den Worten der Filmautorin zu sagen: In der Woche, während der der Film spielt, «wird sowohl im Hause Bach als auch im königlichen Schloss Musik eher erschaffen als ausgeführt». Konkret ergibt sich dies aus der Vorgabe der Handlung: Friedrich fordert Bach auf, aus einer kleinen Melodie, die er mit Hilfe seines Hofkomponisten Quantz selber erfunden hat, eine Fuge zu drei, wenn möglich eine solche bis zu sechs Stimmen zu improvisieren. Im Film weigert sich Bach zunächst, doch die Melodie verfolgt ihn, und er lässt daraus später, wieder in Leipzig, seine Komposition «Das musikalische Opfer» entstehen.

Die konsequent durchgeführte Konzeption, zu der sich Dominique de Rivaz entschloss, hat sich gelohnt: Mein Name ist Bach wurde als bester Film und für die beste Nebenrolle (Gilles Tschudi als Sekretär Goltz) mit dem Schweizer Filmpreis 2004 ausgezeichnet. Zu dieser Auszeichnung dürften auch jene Qualitäten des Films beigetragen haben, die sich erst bei bei genauerem Hinsehen und aufmerksamerem Hinhören erschliessen. Hierzu gehören die subtil eingebrachten anachronistischen Bezüge zur Gegenwart, wenn etwa zur Handlung nur indirekt in Bezug stehende Gemälde von Warhol und Menzel durchs Bild getragen werden oder die originale Filmmusik des belgischen Komponisten Frédéric Devreese die Musik der damaligen Zeit paraphrasiert.

Mein name ist bach 06

Zu den besonderen Qualitäten des Films gehört nicht zuletzt das erstaunliche psychologische Einfühlungsvermögen, mit dem die Filmautorin (die gemeinsam mit Jean-Luc Bourgeois und Leo Raat auch das Drehbuch verfasste) aus dem vorgegebenen historischen Raster glaubwürdige Verhaltensweisen zu entwickeln weiss. Um es mit den Worten von Dominique de Rivaz zu sagen: «Langsam lösen sich Bach und Friedrich von ihren Masken und vom Gewicht ihrer Berühmtheit und werden zu Menschen, die zu leben beginnen, um schliesslich auch die Attribute ihrer Macht abzustreifen.» Die anekdotischen Einblendungen aus Friedrichs unerfreulicher Jugend (sein Vater, Friedrich Wilhelm I., wollte ihn mit Gewalt zur soldatischen Härte erziehen und zwang ihn schliesslich, der Exekution seines Freundes Leutnant Katte zuzuschauen) werden zur Legitimation der dichterischen Freiheit, mit der sein zwiespältiges Verhalten im Film thematisiert wird. über einen historischen Film hinaus sei ihre Arbeit «vor allem eine Familiengeschichte», sagt Dominique de Rivaz. Und sie präzisiert: «So kann Friedrich in Bach vorübergehend einen idealen Vater finden. Bach wiederum findet in Friedrich den idealen Sohn, der entschlossen und mächtig ist.»

Mein Name ist Bach erweist sich in den Erläuterungen, die die Filmautorin zu ihrer Arbeit gemacht hat, als ein Film, der bis in die letzten Details durchdacht, wenn man will: «konstruiert« ist. Die sich allenfalls aufdrängende Frage, warum es für diese in sich selbst stimmige «Familiengeschichte» überhaupt einen historischen Rahmen gebraucht hat, könnte man mit dem Hinweis auf den Charakter der Bachschen Musik und deren mathematisch fundierte Regeln beantworten, deren «Konstruktion» ja ihrerseits zeitlos geblieben ist.

Mein name ist bach 07

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 2/2004 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

Weitere Empfehlungen

Kino

09. Mär. 2022

Olga – Von der Ukraine in die Schweiz

Eine Exilantin aus einem Land, das unter Druck geraten ist. Elie Grappes Spiefilmdebüt erhält angesichts des russischen Angriffskriegs zusätzliche Brisanz.

Kino

08. Juli 2021

Ich habe in Moll geträumt

Was gibt es über einen verschollenen Dichter zu sagen? Nicht eben viel. Ueli Meiers Film ist deshalb ein fast zu intimer Einblick in die Nöter einer Familie.

Unsere Besten

08. Aug. 2022

Das Biest lässt sich nicht zähmen – Jordan Peeles Nope

Fine-Tuning im Grossformat: Wer bei Jordan Peeles drittem Film mit griffigen Parabeln und eingängigen Twists rechnet, wird dem Motivgelage in Nope nicht gerecht. Wunderbar komponiert, lässt sich dieses Spektakel nicht mehr nur auf einen Nenner bringen.