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Grounding – Die letzten Tage der Swissair

Ursprünglich war die Premiere von Michael Steiners Film über «die letzten Tage der Swissair» für den vierten Jahrestag des Groundings der Swissair-Flotte am 2. Oktober geplant. Dann aber war der Filmstart verschoben worden. Aufgrund aktueller Informationen müsse noch einmal nachgedreht werden, hiess es.

Text: Stefan Volk / 01. Jan. 2006

Ursprünglich war die Premiere von Michael Steiners Film über «die letzten Tage der Swissair» für den vierten Jahrestag des Groundings der Swissair-Flotte am 2. Oktober geplant. Dann aber war der Filmstart verschoben worden. Aufgrund aktueller Informationen müsse noch einmal nachgedreht werden, hiess es. Jetzt kam der Film in die Kinos, ohne dass er zuvor der Presse vorgeführt worden war. «Cold Openings» nennt man solche Premieren in Hollywood. Im Schweizer Kino war dieses Phänomen bislang wenig bekannt. Doch auch wenn Regisseur Steiner (Mein Name ist Eugen) betont, sein Film sei einfach nicht eher fertig geworden, medienwirksam war der ungewöhnliche «Kaltstart» in jedem Fall. Und wenn schon nicht für die Inszenierung um den Film, für die filmische Dramaturgie selbst stand Hollywood zweifellos Pate.

Ein pensionierter Bordmechaniker verkörpert in Grounding den Mythos Swissair. Er schraubt an einem Flugzeug-Oldtimer, wie man das sonst eben nur in amerikanischen Filmen sieht, unter den leuchtenden Augen eines kleinen Jungen, der davon träumt, später einmal Pilot zu werden; natürlich bei der Swissair. Doch nach gut zwei Stunden aufregender Kinoturbulenzen stirbt der Alte an den Folgen eines Herzinfarktes. Der Patient Swissair ist tot.

Steiner inszeniert den Niedergang des fliegenden Schweizer Nationalsymbols als rasanten und verwirrend komplexen Wirtschaftsthriller: schnell geschnitten, mit dynamischer Handkamera gedreht und von wuchtig-dramatischer Musik vorangetrieben. Die dokumentarische Klammer, die er um den Plot legt, fällt hingegen recht dürr aus. Zu Beginn rekapituliert ein Off-Sprecher die hinlänglich bekannten Daten und Fakten, gegen Ende werden kurze Ausschnitte aus Interviews, die Steiner mit Zeitzeugen geführt hat, einem Potpourri einschlägiger Fernsehauftritte untergemengt. Solche Einspielungen verleihen dem Film eine historiographische Patina, sollten aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Grounding als Spielfilm zwar (teilweise) von realen Personen handelt und auf wahren Begebenheiten basiert, diese aber interpretiert und nach den Massgaben kurzweiliger Kinounterhaltung in Szene setzt.

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Der Zwischenfall, mit dem Steiner den eigentlichen Film eröffnet, hat jedenfalls so nie stattgefunden. In einem Flugzeug bricht ein Passagier zusammen: Herzstillstand. Seine Ehefrau kreischt, die Fluggäste werden nervös, nur die attraktive Stewardess Susanne Gasser behält die Nerven und reanimiert den Mann. Die alleinerziehende Mutter gehört zu jenen rein fiktiven, vergleichsweise «kleinen», aber exzellenten und hochmotivierten Angestellten, die Steiner der Ebene der «Global Player» entgegensetzt. Zum Personal, über dessen Köpfe hinweg entschieden wird, zählt auch Susannes Freund Peter, ein aufstrebender Swissair-Kopilot, der seinen Kummer gefährlich gerne im Whiskey ertränkt. Konfliktstoff halten die von Drehbuchautoren flugs hinzugedichteten Parallel-Geschichtchen also parat. Unterm Strich aber sind sie blosses Beiwerk.

Die dramaturgische Triebfeder birgt die Frage, wie es zu jenem denkwürdigen Herbsttag, an dem «der fliegenden Bank» das Geld für den Sprit ausging und die Flugzeuge mit dem Schweizer Kreuz am Boden bleiben mussten, überhaupt kommen konnte. Steiner gestaltet die letzten Tage vor dem Grounding als spannenden Wettlauf gegen die Zeit. Und obwohl er auch den Angestellten, die gleichsam über Nacht und ohne eigenes Zutun ihren Job verloren, Gesichter verleiht, konzentriert er sich dabei auf den Topmanager Mario Corti.

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Hanspeter Müller-Drossaart interpretiert Corti mit charismatischer Hingabe als sympathischen Macher vom alten Schlag. Grounding zelebriert ihn als honorigen Reformer, dessen Rettungsmission am Widerstand habgieriger Bankenbosse und intriganter «Kollegen» (zum Beispiel bei Crossair) scheitert. Den Fall Swissair, den Sturz eines nationalen Heiligtums, nimmt der Regisseur zum Anlass, den Mythos der sauberen Schweiz zu hinterfragen. Die Bösen bevölkern die Chefetagen der Kreditinstitute, und da ein echter Suspensethriller auch einen Guten braucht, bleibt Corti immer integer, fast väterlich um seine Angestellten besorgt.

Die wirklichen Opfer – das deutet der Film immerhin an – sind die unbeteiligt Beteiligten wie Gasser, die ihr Erspartes bei der Hausbank der Swissair in guten Händen glaubte, oder der langgediente Catering-Mitarbeiter Luigi Dini, der sich ohne seine geliebte Arbeit plötzlich alt und nutzlos fühlt. Im Räderwerk skrupelloser Wirtschaftsmachenschaften sind sie bloss Statisten, in Grounding erhalten sie zumindest Nebenrollen. Allerdings greift Steiner bei diesen gefühlig angerührten Erzählsträngen reichlich tief in den Klischeetopf amerikanischen Genrekinos.

Insgesamt aber überzeugt Grounding als präzise getimter, fesselnder Dokuthriller, der journalistische Schärfe mit epischer Unbestimmtheit paart. Ähnlich wie Sabine Gisinger mit Gambit, ihrer unbequemen Dokumentation über den Seveso-Skandal, blickt auch Steiner hinter die Fassade der idyllischen Schweiz ins Herz einer kalten, unbarmherzigen Maschinerie. Dass einige da lieber wegsehen, mag kaum verwundern. Mit Grounding liefert Steiner streitbares Polit- und packendes Popkino; reichlich brisant und ein wenig kitschig.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2006 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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