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Cassandra's Dream

Text: Kathrin Halter / 16. Jan. 2008

Martin Scorsese hat einmal gesagt, jeder von Woody Allens Filmen sei in Wirklichkeit ein Bauelement zu einem einzigen grossen Film. Diese Sichtweise ist wohl für die meisten, die mit Allen grossgeworden sind, leicht nachvollziehbar. Schliesslich folgen sich Allen Movies mit ihrer ausgeprägten Handschrift und ihrem unverwechselbaren Tonfall im Jahresrhythmus; und manche der wiederkehrenden Motive, Erzählmuster und Figurentypen scheinen mittlerweile so familiär vertraut wie Gesicht und Stimme von Allen selbst. Auch deswegen lässt sich sein Werk als Work in progress, als fortlaufende Erzählproduktion lesen, deren Einzelteile sich gegenseitig reflektieren, kommentieren, ergänzen, relativieren.

Cassandra’s Dream etwa lässt sich anders begreifen vor dem Hintergrund von Crimes and Misdemeanors (1989), eine seiner schönsten, melancholischsten und wohl meist unterschätzten Arbeiten überhaupt. Allgegenwärtig im neusten Woody Allen ist aber auch match point, jene bitterböse Aufsteigertragödie, in der ein ehrgeiziger Tennisspieler seine amerikanische Geliebte ermordet, um seine Heirat in die britische Oberschicht nicht zu gefährden. Diese maliziöse Abrechnung mit britischem Klassendenken wirkt zuweilen wie eine Folie, vor dem sich Allens neues Moralstück abspielt. Denn um vertrackte moralische Fragen dreht sich auch dieser Plot.

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Cassandra’s Dream hat Allen wieder an seinem neuen Wohnort London gedreht, diesmal mit den beiden Hauptdarstellern Ewan McGregor und Colin Farrell und dem ungarischstämmigen Kameramann Vilmos Zsigmond (dessen Aufnahmen übrigens ganz unspektakulär und meist den Dialogen untergeordnet sind). Allens dauerverschuldete Protagonisten, die mit hoffnungsfroher Gier an eine bessere Zukunft glauben, stammen allerdings aus der Working Class. Der Traum vom sozialen Aufstieg beginnt in cassandra’s dream mit dem Kauf einer kleinen Yacht, die die beiden Brüder Terry und Ian nach einem siegreichen Wetthund «Cassandra’s Dream» taufen. Das Ding sieht einfach schick aus, lässt bei Frauen Eindruck schinden, von griechischen Kreuzfahrten (sic!) und einem Leben auf der gesellschaftlichen Sonnenseite träumen – nur leider ist das Glück von Anfang an unterfinanziert. Denn so wie der Bootskauf nur dank geborgtem Geld und einer Glückssträhne beim Poker und in Hundewettrennen zustande kommt, führen die Brüder ein Leben auf Pump. Vor allem Ian verbiegt sich fast, um sich und einer ehrgeizigen Schauspielerin einzureden, er könne ihr ein Leben an der kalifornischen Sonne bieten (auch so ein ironisches Woody-Allen-Signal). Die Gewissensfrage kommt dann ausgerechnet durch jenen reichen Onkel ins Spiel, von dem sich die verschuldeten Brüder eigentlich Hilfe erhoffen. Die beiden sollen einen geschäftsschädigenden Kollegen des Onkels um die Ecke bringen, bevor sie mit seiner Hilfe rechnen können.

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Die Szene, in der die drei zu einer konspirativen Unterhaltung unter einen tropfenden Baum flüchten und dennoch in jeder Hinsicht (buchstäblich) im Regen stehen bleiben, gehört zu den subtil komischen Szenen des Films. Obwohl der Plot an sich tragisch ernst ist, liegt immer eine leichte Ironie über dem Geschehen – der vertraute Tonfall Allens eben, der trotz seiner pessimistischen Weltsicht nichts ganz ernst zu nehmen bereit ist. Ewan McGregor und Colin Farrell kann man sich als Brüderpaar gut vorstellen, sie wirken im Arbeiterumfeld auch durchaus glaubwürdig. Und doch wirkt das Milieu geborgt, geht es Allen kaum wirklich um Probleme zweier Londoner Working-Class-Boys. Wer Kitchen-Sink-Realismus einfordert, nur weil Cockney gesprochen wird, ist selber schuld.

Vertraut hingegen klingen die moralischen Fragen, die Allen in Cassandra’s Dream aufgreift: Was geschieht mit Leuten, die auf dem Run nach Erfolg, Geld und Glück zu allem bereit sind? Jeder der zitierten Filme spielt eine andere Möglichkeit durch, erst zusammen betrachtet machen sie Sinn. So lässt in Crimes and Misdemeanors ein verheirateter Augenarzt seine unbequem gewordene Geliebte umbringen, leidet unter Schuldgefühlen und kommt schliesslich unbestraft, vom schlechten Gewissen wie der lästigen Liebhaberin befreit, davon. Zynisch gesprochen: Der Mord hat sich für Judah Rosenthal gelohnt, während der Parvenue in match point zuletzt sein Ziel erreicht, aber in erschreckender Klarheit einer leeren, verpfuschten Zukunft entgegenblickt. Wenn nun Allen seine Protagonisten in Cassandra’s Dream am moralischen Skrupel (des einen) zugrunde gehen lässt, wirkt das vor dem Hintergrund seiner andern Werke so wenig zwingend wie die Wendungen in den andern beiden Filmen. Genauso gut hätte der Arzt in Crimes and Misdemeanors an seinen Schuldgefühlen zerbrechen können, ebenso gut könnte man sich für Cassandra’s Dream ein ganz anderes Ende vorstellen, eins, in dem die beiden Brüder glücklich und ohne Gewissensbisse über den Atlantik segeln: Erfolg und Misserfolg, Glück und Unglück sind in Allens grausamer Welt der Zufälle nur Möglichkeiten, die meist haarbreit voneinander entfernt liegen. Da mag Cassandra noch so fatalistisch rufen.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2008 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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