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The Kite Runner

Text: Erwin Schaar / 16. Jan. 2008

The story behind the story: Wer Khaled Hosseinis Debütroman «The Kite Runner» mit dem Leben des Autors vergleicht, wird auf einige Parallelen stossen. Hosseini lebt in den USA. Seine Familie, aus der gehobenen Mittelschicht der Paschtunen stammend, hat dort nach dem Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan Asyl beantragt. Hosseinis Vater wollte nach seiner Arbeit bei der afghanischen Botschaft in Paris nicht nach Kabul zurückkehren.

Hosseinis Geschichte von dem Paschtunen-Jungen Amir und seinem Freund Hassan, einem Hazara, ist 2003 erschienen, erreichte schnell einen Spitzenplatz in den Bestseller-Listen und wurde bis heute über acht Millionen Mal verkauft. Die bewegende Geschichte der Freundschaft zweier Jungen mit gänzlich verschiedener sozialer Herkunft, das exotische Milieu, die politischen Implikationen mögen in ihrer Mischung den Erfolg des Buches ausgemacht haben. «It was one of the most powerful and cinematic pieces of literature that I had ever read. It was magical», meinte die Mitproduzentin des Films, Rebecca Yeldham. Der Blick auf eine dem Westen noch ungleiche Welt, die Abenteuerliches verheissen könnte, ist allerdings von zwiespältigen Sehnsüchten geprägt, weil diesen Sentimentalitäten schnell die Realität aus dem Blickfeld geraten kann. Der Film war als Raubkopie schneller in Afghanistan als im Kino, und die Schlüsselszene des Films, die für die Beziehung von Amir und Hassan eine wichtige, aber auch heikle Rolle spielt, erregte die Rechtgläubigen, denn die Sexualität kommt mit ins Spiel. Das könnte Auswirkungen haben, wie der Vater von Ahmed Khan, der den Hassan spielt, befürchtet: «Die Leute meines eigenen Volkes werden sich gegen mich richten. Und was werden sie meinem Sohn antun? Sie können unsere Hälse durchschneiden, sie können uns foltern.» (Der Spiegel, Nr. 42/ 2007). Wie die Süddeutsche Zeitung am 6. Dezember 2007 meldete, wurden vier der jungen Darsteller von der Produktionsfirma Paramount an einen «sicheren Ort» in den Vereinigten Emiraten gebracht. Diese Aktion war die Voraussetzung für den internationalen Start des Films!

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Aber was ist die Geschichte des Films, die auch solche Reaktionen hervorrufen kann? Drachen steigen wie aufgeregte Vogelschwärme auf in den Himmel Kabuls der siebziger Jahre, und es gehört zum Wettkampf, die Flieger der anderen mit kunstvollen Manövern zu kappen und auf die Erde zu zwingen. Ein symbolisches Spiel für ein Land, dem Stammeskämpfe nicht unbekannt sind, das von politischen Grossmächten zu dieser Zeit aber noch eher unbehelligt ist. Die soziale Situation manifestiert sich in einer ungewöhnlichen Freundschaft: Amir ist der Sohn eines wohlhabenden Paschtunen und Hassan ist als Sohn des Hausdieners zugleich auch Amirs Untergebener, der alles für ihn tun würde und wird. Als er sich nach einem gewonnenen Turnier auf die Suche nach Amirs Drachen macht, wird er vom Nachbarjungen Assef mit dessen Helfershelfern gestellt, denen diese Freundschaft, die keine Klassen kennt, ein Dorn im Auge ist. Hassan gibt den von den jugendlichen Rabauken geforderten Drachen nicht heraus und wird daher misshandelt und sexuell missbraucht. Amir muss auf der Suche nach Hassan diese Demütigung seines Freundes mit ansehen, schreitet aber nicht ein. Mehr aus Angst vor dem Spott, wenn er dem seinem Stande nicht angemessenen Freund helfen würde. Er erlebt das in der Tiefe seines Herzens als Verrat, den er aber rational nicht zugeben möchte, und bezichtigt daher Hassan auch noch eines Diebstahls, um sich in fast schon moralischer Dialektik mit einer weiteren Schuld von seiner ersten Schuld zu befreien. Hassans Vater kann diesen Ehrverlust nicht verwinden und verlässt mit seinem Sohn, der die Lüge Amirs nicht aufdeckt, das Haus, dem er so lange und auf seine Weise treu gedient hat.

Die Zeiten, die den Menschen klare Hierarchien vorgegeben haben, ändern sich: die russische Invasion treibt viele Angehörige der intellektuellen und wirtschaftlichen Oberschicht aus dem Land. Auch Amirs Vater, ein Gegner des Kommunismus, muss fliehen, und wir treffen die beiden 2000 in den USA, in San Francisco wieder, wo ein Flohmarkt zu einem Lebensmittelpunkt afghanischer Flüchtlinge geworden ist und wo Amir, inzwischen Schriftsteller, auch seine Frau Soraya kennenlernt.

Der Film beginnt am Vorabend von Amirs erster Buchveröffentlichung, als er ein Telefonat eines alten Freundes seines Vaters erhält, der ihn bittet, nach Afghanistan zurückzukommen, um den Sohn von Hassan zu retten.

In Rückblenden wird die Geschichte der beiden Jungen erzählt und entgeht so der Gefahr einer stringent inszenierten zeitlichen Abfolge, die sich auf differenzierte Entwicklungsschritte (das Erwachsenwerden Amirs) hätte einlassen müssen. Zudem ist es einer Spannungsdramaturgie dienlich, wenn Regisseur Marc Forster anfangs die Neugierde auf eine Geschichte lenkt, die es nun zu erzählen gilt.

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In Afghanistan wird Amir nach abenteuerlichen Unternehmungen auf den Taliban Assef treffen, und es wird ihm gelingen, Hassans Sohn Sohrab nach einer gefährlichen Mission zu entführen und ihm als Aufarbeitung seiner Schuld und seines Verrats an Hassan, der ihm auch verwandtschaftlich näher stand als er ahnte, eine neue Heimat zu geben. Wenn Sohrab mit der gleichen Freude und den gleichen Tricks wie Amir die Drachen anderer Kinder vom Himmel holen wird, könnte ein wenig von der Schuld getilgt sein, die sein jetziger Vater einmal auf sich geladen hat.

Marc Forster, der Schweizer Filmemacher, 1969 im schwäbischen Illertissen geboren, in Davos aufgewachsen, hat nach seinem Filmstudium an der New York University Anfang der neunziger Jahre eine bemerkenswert schnelle Karriere geschafft. Er gewinnt 2001 den Jurypreis des Sundance Film Festival mit seinem Kino-Debütfilm Everything Put Together, dreht im selben Jahr mit Halle Berry Monster’s Ball, der ihr einen Oscar einbringt, und ist der Regisseur des zweiundzwanzigsten, des kommenden James-Bond-Films, für den Paul Haggis das Drehbuch geschrieben hat.

Forster ist ein Erzähler, der die Charaktere so ins Bild zu setzen weiss, dass die Ereignisse von ihnen geprägt werden. Die Personen besitzen eine autarke Individualität, der sich die äusseren Geschehnisse wie dafür bestimmt unterordnen. Dass diese Inszenierungskunst aber auch Brüche – durch die Vielfalt der Story bedingt – aufweisen kann, zeigen die Episoden, die vor allem der Spannung geschuldet sind. Das trifft dann die Figuren, deren Profil von Unmoral gezeichnet ist, bei denen das Böse fast schon zum Klischee verkommt: Der russische Soldat, der an der Grenze zu Pakistan von den vor den Sowjets Flüchtenden die junge Mutter für die Befriedigung seiner sexuellen Wünsche fordert, scheint keine Skrupel zu kennen. Erst ein vorgesetzter Offizier (!) rettet die Frau. Und als Amir Sohrab bei den Taliban aufgespürt hat, wo er als Lustknabe missbraucht wird, werden die Gotteskrieger als menschlicher Abschaum gezeigt, denen die Steinigung von Frauen ebenso selbstverständlich ist wie die Deklamation gottgefälliger Sprüche. Gut und böse, nicht das Diametrale als Grundfiguration des Theaters schlechthin irritiert – es ist ja auch in den positiv gezeichneten Personen präsent – sondern dass Forster solche Klischierungen für Menschen gebraucht, die dem politischen Westen schon immer für die Dämonisierung anderer Ideologien eingefallen sind. Bezeichnenderweise sind es auch die schwächsten Teile des Films und lassen Erinnerungen an die Verfilmung von Betty Mahmoodys Buch «Not without my daughter» von 1991 wach werden.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2008 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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