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No Country for Old Men

Man muss sich nur an Hitchcocks «grosse Kardinalregel» halten, derzufolge ein Film umso gelungener ist, je gelungener der Schurke ist, um zu dem Schluss zu kommen, dass No Country for Old Men, der neue Film der Coen-Brüder, extrem gelungen ist. Selten hat eine Filmfigur in solchem Mass Schrecken und Heiterkeit ausgelöst wie der von Javier Bardem gespielte Killer.

Text: Julia Marx / 05. Mär. 2008

Man muss sich nur an Hitchcocks «grosse Kardinalregel» halten, derzufolge ein Film umso gelungener ist, je gelungener der Schurke ist, um zu dem Schluss zu kommen, dass No Country for Old Men, der neue Film der Coen-Brüder, extrem gelungen ist. Selten hat eine Filmfigur in solchem Mass Schrecken und Heiterkeit ausgelöst wie der von Javier Bardem gespielte Killer. Die Herkunft dieses Handlungsreisenden in Sachen Tod ist so wenig einzuordnen wie sein Name, welcher Anton Chigurh lautet. Offensichtlich ist dagegen seine Bereitschaft, auch ohne besonderen Grund jedem, der ihm über den Weg läuft, eiskalt das Leben zu nehmen, vorzugsweise mit einem pressluftbetriebenen Bolzenschussgerät, wie es beim Schlachten von Vieh verwendet wird. Chigurh entspricht jener oft so faszinierend wirkenden Personifikation des Bösen, die der Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger als «dunklen Souverän» bezeichnet: er handelt nur nach seinen eigenen Regeln, entscheidet über Leben und Tod seiner Mitmenschen (sofern er nicht per Münzwurf den Zufall entscheiden lässt) und foutiert sich um Moral und Gesetz. Dabei ist er mit einer Frisur geschlagen, auf deren Lächerlichkeit der Oscar-prämierte Haardesigner Paul LeBlanc sein ganzes Können verwendet hat.

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Chigurhs anvisiertes Ziel ist der Texaner Llewellyn Moss, der auf der Jagd die Überbleibsel eines gescheiterten Drogendeals findet: Einige durchlöcherte Geländewagen, an der Sonne verrottende Leichen und ein Koffer voller Geld. Moss ist dumm genug zu glauben, er sei schlau genug, mit dem Geld davonzukommen. Was folgt ist eine ausgedehnte Menschenjagd mit diversen undurchsichtigen Teilnehmern, die sich entlang Motel-gesäumter Highways und quer durch texanische Kleinstädte bis nach Mexiko erstreckt. Die Nachhut bildet der von Tommy Lee Jones gespielte Sheriff Bell, der stoisch die angerichteten Blutbäder beschaut und sich zunehmend fragt, was aus der Welt geworden ist. Sein raues Voice-over eröffnet den Film, unterlegt mit den Western evozierenden Aufnahmen der texanischen Landschaft.

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Dieser Beginn weckt Erinnerungen an den Neo-Noir-Thriller Blood Simple, das Erstlingswerk der Coens von 1985, das ebenfalls in diesem Landstrich angesiedelt war und bereits ein stupendes handwerkliches Können verriet. No Country for Old Men legt diesbezüglich noch zu. Alles ist von makelloser Perfektion: Die Bilder von Kameramann Roger Deakins, mit dem die Coens seit neun Filmen zusammenarbeiten, und der von den Coens (unter ihrem Pseudonym Roderick Jaynes, dem sie unter anderem eine Vita als renommierter Sammler von Margaret-Thatcher-Aktbildern angedichtet haben) besorgte Schnitt. Es gibt kaum Musik und sparsamen Dialog, aber viel zu hören. Ganze Tonleitern von Windgeheul und alle Arten von Geräuschen, etwa solche, die man in einem abgedunkelten Hotelzimmer hört, wenn man angestrengt auf die Schritte auf dem Gang lauscht, die sich nähern und wieder entfernen, und dann fällt begleitet von einem kleinen Knirschen das Licht im Flur aus. Und alle Überzeugungen, welch unverzichtbaren Anteil Musik an der Erzeugung von Spannung hat, lösen sich in Luft auf, zusammen mit dem letzten Rest Nerven, den man noch aufbringt.

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Obwohl einem das Terrain vertraut erscheint – auch zu Fargo gibt es manche Ähnlichkeiten – vermeint man doch, einen im Vergleich zu den Vorgängern etwas veränderten Tonfall wahrzunehmen. Bislang waren die Filme von Joel und Ethan Coen noch angesichts der ärgsten Ungeheuerlichkeiten, die ihren Figuren widerfuhren, von ironischer Distanz geprägt, vom Spiel mit Genre-Konventionen. Es wimmelt in ihrem Werk von schrägen Amerikana und grotesken Details, die selbst in düsteren Momenten die Stimmung ins Komische kippen lassen können. Nun gibt es auch in No Country for Old Men durchaus Stellen von dunklem Humor, gerade die Dialoge glänzen mit perfekt getimtem trockenem Witz. Ein wahres Kabinettstückchen ist etwa die Szene, in der ein argloser Tankwart versucht, ausgerechnet mit Anton Chigurh eine harmlose Plauderei anzufangen. Allmählich schwant dem Alten, dass bei der Wette, zu der dieser unheimliche Kunde ihn verführt, mehr auf dem Spiel stehen könnte, als ihm lieb ist. Als er ihn mit der Behauptung, er schliesse jetzt, loszuwerden sucht, fragt Chigurh, um wie viel Uhr er schliesse. «Jetzt!» lautet die Antwort. «“Jetzt” ist keine Uhrzeit», erwidert Chigurh ungerührt.

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Dennoch legt No Country for Old Men je länger je mehr eine moralische Ernsthaftigkeit und stimmungsmässige Konsistenz an den Tag, die man den Coens nach dem entgleisten Ladykillers-Remake schon fast nicht mehr zugetraut hätte. Zurückzuführen ist das wohl auch auf die Romanvorlage, in der Cormac McCarthy, der Apokalyptiker unter den grossen amerikanischen Gegenwartsautoren, einen handelsüblichen Plot zum fatalistischen Glanzstück veredelt hat. Es ist das erste Mal, dass die Brüder eine Vorlage adaptiert haben, und sie taten es mit weitgehender Treue zum Text. Auch wenn Sheriff Bells Vorgeschichte und viele seiner philosophischen Abschweifungen gekürzt wurden, bleibt er das moralische Zentrum. Ob er im Jahr 1980, in dem der Film spielt, tatsächlich Zeuge einer nie dagewesenen Auflösung von Normen geworden oder ob es hier immer schon so zugegangen ist, wie die Figur eines alten Onkels nahelegt, bleibt unentschieden. Aber No Country for Old Men lässt uns am Ende zusammen mit einem Mann, der plötzlich alt geworden ist, vor der Unbegreiflichkeit des Bösen erschauern.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 2/2008 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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