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Promise Me This

Text: Martin Girod / 09. Apr. 2008

Bereits mit seinen ersten Kinofilmen machte sich Emir Kusturica einen Namen als eigenwilliger, phantasievoller und bildgewaltiger Filmautor: Mit seinem Debüt Sjecas li se Dolly Bell (Erinnerst du dich an Dolly Bell?) holte er sich 1981 den Goldenen Löwen des Festivals von Venedig, und Otac na sluzbenom putu (Papa ist auf Dienstreise) erhielt 1985 in Cannes die Palme d’or. Die politisch-historischen Wechselfälle seiner «jugoslawischen» Heimat haben den aus Sarajevo (Bosnien-Herzegovina) stammenden, heute in Serbien lebenden Regisseur gezwungen, sich die Finanzierung seiner weiteren Filme vorwiegend in Westeuropa zu suchen;Arizona Dreams (1993) hat er sogar in den USA gedreht. Trotz dem Zwang zur Internationalisierung seiner Produktionen gelang es ihm, seinen Autorenruf und seine Originalität zu behaupten. Sein unverkennbarer burlesk-poetischer Stil und seine Entschlossenheit, bedeutungsvolle Filme abseits des Mainstreams zu drehen, obsiegten auch unter widrigen Produktionsbedingungen. Seine Treue zu sich selbst, von der internationalen Kritik zeitweise missverstanden als reine Wiederholung, liess ihn nach und nach zu einer der profiliertesten kreativen Persönlichkeiten des heutigen Kinos werden.

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Das Handycap der Koproduktion macht sich in seinem neuesten Werk erneut und diesmal problematischer bemerkbar. Das beginnt gleich mit dem Filmtitel: Unter dem internationalen Titel Promise Me This kündigt ihn der Schweizer Verleiher an, Promets-moi liest man im französisch/englischen Vorspann, und den Originaltitel dieses serbisch gesprochenen Films, Zavet, muss man im Internet suchen. So fragt man sich, wie weit der uneinheitliche Eindruck, den dieser nur streckenweise zu gewohntem Kusturica-Format findende Film macht, auf den Einfluss der französischen Koproduzenten (France 2 Cinéma/StudioCanal) zurückzuführen ist. Schon am Drehbuch dürften Scriptconsultants und Fernsehdramaturgen mitgebastelt haben; jedenfalls ist es so sehr im gängigen Sinne «gut konstruiert», dass manche Wendung vorhersehbar ist: Wird zu Beginn ein Stier kastriert, ist unausweichlich, dass dem Oberbösewicht am Ende Gleiches widerfahren wird; beteuert ein Gangster refrainartig, er treibe es mit allem ausser einer Wildsau, taucht am Ende unweigerlich eine solche auf …

Die Story könnte einfacher kaum sein: Der junge Tsane, der bei seinem Grossvater aufgewachsen ist, wird von diesem, als er sein Ende nahen wähnt, in die Stadt geschickt. Dort soll Tsane die einzige verbliebene Kuh verkaufen, vom Erlös eine St.-Nikolaus-Ikone erstehen, sich ein Souvenir besorgen und sich, dies vor allem, eine Frau suchen. Die zahlreichen Abenteuer, die Tsane bei der Ausführung des Auftrags zu bestehen hat, bilden das Rückgrat des Films – bis zum fröhlichen Finale, das der Schlusstitel explizit zum «Happy End» erklärt.

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Kusturica nutzt diese Struktur zu einem tiefschwarzen Bild der Verhältnisse in seiner Heimat. Das Leben in der Stadt ist weitgehend auf Vorbilder aus dem europäischen Ausland oder den USA ausgerichtet, und es dominieren Gangster, die sich durch Schutzgelderpressungen, Immobilienspekulationen und Frauenhandel bereichern. Die Mutter des Gangsterbosses stellt voll Stolz fest: «Die Demokratie hat meinen Sohn nach oben gebracht.» Nun will er noch höher hinaus, in seinem Städtchen ein World Trade Center errichten, selbstverständlich in Form von Twin Towers. Das von Kusturica vermittelte Weltbild mit der Konfrontation von aufs Ausland schielender Stadt und traditionsbewussterem Dorf erscheint im Kern ebenso schematisch wie rückwärtsgewandt. Dennoch hat sich Kusturica – und das sorgt für die sympathischsten Szenen – in einem Winkel seines Herzens offenbar den Glauben an ein Restchen Gutes im Menschen bewahrt: Ob auf dem Land oder in der Stadt, seine Figuren finden immer wieder andere, die ihnen helfen.

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Während der Film im regionalen Kontext offenbar die Dimension eines politischen Pamphlets hat, bietet er dem internationalen Publikum primär comic-strip-artige Unterhaltung: eine Vielzahl amüsanter Szenen, oft auch eher derben Humor, viel parodistisch gemeinte Action, das Ganze getragen von einem hervorragenden Darstellerensemble und der von Emir Kusturicas Sohn Stribor komponierten Musik. Kusturica ist nun mal kaum zu überbieten in starken Bildfindungen, verblüffenden Wendungen und wunderbar absurden Einfällen. Viele davon werden mit erheblichem Aufwand an technischem Getüftel, Tierdressur, Pyrotechnik oder Stuntmen-Akrobatik inszeniert, zum Beispiel wenn Tsane seiner Angebetenen einen Heiratsantrag macht, kopfunter an einem Seil vor dem Schulfenster baumelnd. Die schönsten Trouvaillen aber sind jene, die ganz einfach daherkommen, wie etwa Tsanes (seine Naturverbundenheit exponierendes) Bad inmitten von an der Wasseroberfläche schwimmenden Äpfeln.

Zu Beginn des Films wird als Zirkusnummer ein Mann aus einer Kanone geschossen, doch er durchschlägt das Zelt und fliegt immer weiter. Den ganzen Film hindurch wird er – herrlich, gerade weil völlig unmotiviert – als eine Art running gag immer wieder auftauchen. Er durchquert den Himmel dieser und jener Szene, ist in anderen lediglich als Schatten oder in der Reflexion einer Scheibe erkennbar, bis auch er mitten im Happy End landet. Man darf das vielleicht auch als kritischen Kommentar Kusturicas zu seinem eigenen Tun interpretieren: Im Show-Business lauert die Gefahr, dass es sich verselbständigt.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/2008 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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