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Unser täglich Brot

Text: Herbert Spaich / 09. Apr. 2008

Vom Käfig auf direktem Weg ins Tiefkühlfach des Supermarkts: Wir kennen die Bilder der niedlichen gelben Küken. Unter Kunstlicht zu potentiellen Brathähnchen gezüchtet, besteht ihr einziger Lebenszweck darin, Teil der modernen Nahrungskette zu sein. Ihr freudloses Dasein wird ruckzuck durch Laufbandmesser beendet, ohne dass sie jemals den Himmel gesehen haben. Ebenso werden Tomaten, Paprika und anderes Gemüse unter Hightech-Bedingungen zur schnellen Reife gebracht, um dann von Saisonarbeitern im Akkord geerntet zu werden. Selbst Sonnenblumen dürfen nicht mehr blühen und verblühen, wie es ihnen von Mutter Natur bestimmt ist. Wie die Amis einst den Dschungel von Vietnam mit einem Pestizid mit dem schönen Namen «Agent Orange» entlaubten, wird heute über Sonnenblumenplantagen ein entsprechendes Gift versprüht, damit die Pflanzen termingerecht welken, damit aus den Sonnenblumenkernen das gesunde Vollkornbrötchen oder die Müesli-Mischung entstehen kann. Sowohl in Fernsehreportagen als auch in entsprechenden Dokumentationen im Kino wird das Elend der Küken und ihrer Mütter in Legebatterien, das arme Schwein im dunklen Gatter, der genmanipulierte Mais oder der seiner Freiheit beraubte Lachs heftig bedauert. Vom versehentlich zur Tunfischpastete verarbeiteten Flipper ganz zu schweigen.

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Der Österreicher Erwin Wagenhöfer hat uns so zum Beispiel mit seinem We Feed The World erfolgreich den Appetit verdorben. «Unser täglich Brot gib uns heute», heisst es bei Matthäus 6, Vers 11. Zumindest bei uns wohlgenährten Mitteleuropäern ist es mit dem frommen Wunsch allein nicht mehr getan – wenn man nicht die garstigen Bilder der Küken und Schweine im Schlachthof und die dürren Sonnenblumen auf dem Felde konsequent verdrängt. Ganz ohne den Bauern, der sich schweren Herzens zur industriellen Rindfleischproduktion durchgerungen hat, weil es der Markt und die EG-Richtlinien so wollen, und seinem Kollegen, der schon einmal zur chemischen Keule greift, um den Ertrag seiner Getreidefelder zu steigern, muss der Zuschauer vollends bei Nikolaus Geyrhalters neuer Dokumentation Unser täglich Brot auskommen. Im Gegensatz zu We Feed The World, den sein Landsmann Wagenhöfer nahezu parallel gedreht hat, gibt es bei Geyrhalter niemanden, der einen beruhigt, einem die Verhältnisse gewissermassen menschlich näher brächte. Kein Gastarbeiter, der trotz haarsträubender Arbeitsbedingungen davon erzählte, dass in der Ferne Weib und Kind seiner harren, die er mit seiner Maloche auf einer Tomatenplantage bei Almeria ernährt.

Wortlos pflückt ein halbnackter Erntehelfer in Unser täglich Brot die Paprika von den Stauden, die regelmässig mit Pflanzenschutzmittel kontaminiert werden. In einer Grossschlachterei schneidet eine polnische Hilfskraft mit einer riesigen Schere toten Schweinen die Vorderläufe ab. Später sieht man die Frau, ohne ihre an OP-Kleidung erinnernde Montur, bei der Frühstückspause wieder – wortlos. Unser täglich Brot sei «eine filmische Meditation über die Welt der industriellen Nahrungsmittelproduktion», sagt der Regisseur. Dazu braucht er keinen Kommentar, keine Erklärungen oder Befindlichkeitsbekundungen von jenen, die darin involviert sind. Nikolaus Geyrhalter zeigt eine Welt, in der sich der Wertekanon unserer Zeit auf beunruhigende Weise widerspiegelt: möglichst viel, möglichst einfach, möglichst schnell! Und das in kalten, dabei raffiniert kalkulierten Bildkompositionen. So werden die Hähnchen mit einem riesigen staubsaugerähnlichen Gerät direkt in die Metzgerei gepustet. Das Ganze geht hochhygienisch von statten. Die Arbeiter tragen dabei weisse Overalls wie in einem Labor. Die Geräte sind ebenso durchgestylt wie die Schlachthallen. Rot korrespondiert mit Blau und freundlichem Gelb. Geyrhalter filmt das jeweilige Ambiente mit pointiert langen Einstellungen und lässt dabei den ästhetischen Reiz eines eigenen Kosmos erstehen: «Mich faszinieren Zonen, wo man normalerweise nicht hineinsieht», sagt er.

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So wurde aus Unser täglich Brot einer der radikalsten Filme zum Thema Lebensmittelherstellung der letzten Zeit – von einer hinterhältigen Kunstfertigkeit.

In diesem eisigen Film gibt es nichts mehr zu bedauern. Kein Appell an das «Biologisch Dynamische» oder die Seele der Natur mit der Blauen Blume im Herzen. Im blau fluoreszierenden Licht einer hochtechnisierten Werkhalle sind Tiere und Pflanzen längst zu Rohmaterial geworden, das effektiv zu verarbeiten ist. Die glücklichen Tiere auf den glücklichen Wiesen gibt es nur noch in der Werbung. Auch an die artifizielle Ästhetik von Hochglanzprospekten erinnert Nikolaus Geyrhalters Film. Er zeigt, dass sich die Lebensmittelproduktion von der Herstellung von Autos äusserlich und was die Anläufe betrifft heute nur noch unwesentlich unterscheidet. Montiert ein Roboter im Automobilkonzern Räder, schneidet er im Grossschlachthof eben Schweinen die Gurgel durch.

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Mag sein, dass es hier und da noch die kleine Landmetzgerei gibt oder den Demeter-Bauer. Aber das Gros unserer täglichen Lebensmittel kommt aus der aseptischen Welt, die Geyrhalter uns hier vorführt. Deshalb trifft einen sein Film je nach seelischer Befindlichkeit und Nervenstärke mehr oder weniger heftig.

Aber vielleicht wollen wir es ja auch gar nicht so genau wissen – was hinter den unspektakulären Mauern der Industrieanlagen geschieht, wenn wir weiterhin frohen Herzens geniessen wollen. Nach Unser täglich Brot fällt das jedenfalls schwer!

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/2008 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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