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Shake the devil off 03

Shake the Devil Off

Text: Kathrin Halter / 10. Mai 2008

«Wie sollte eine Predigt sein? Wie das Kleid einer Frau: lange genug, um das Wichtige abzudecken, und kurz genug, um interessant zu sein!» Das Gelächter, das Pater Jerome LeDoux mit diesem Bonmot während einer seiner Predigten erntet, ist warm, zutraulich, selbstverständlich. Wenn der Achtundsiebzigjährige zu seinen Schäfchen spricht, wenn er tröstet und Konflikte in seiner Kirchgemeinde offen anspricht, wirkt das im besten Sinne väterlich. Die mehrheitlich schwarzen Gemeindemitglieder der St. Augustine Church in New Orleans wissen offensichtlich, was sie an ihrem Pater besitzen: eine charismatische, warmherzige und dabei stets bescheidene Persönlichkeit.

Das Charisma von LeDoux überträgt sich schnell auf die Zuschauer des Films; es fällt geradezu schwer, nicht bewegt zu sein angesichts dieses ungewöhnlichen Mannes. Doch es gibt auch rationale Erklärungen für das scheinbar bedingungslose Zutrauen der Bevölkerung in «ihren» Pater: Als im August 2005 Katrina tobte, die verheerende Jahrhundertkatastrophe für New Orleans, war die Kirche St. Augustine ein wichtiger Zufluchtsort; auf Pater LeDoux konnte man sich jederzeit verlassen, wie verschiedene Protagonisten im Dokumentarfilm von Peter Entell beteuern. Dies im Gegensatz zum Erzbischof und anderen Kirchenoberen, die nichts von sich hören liessen, und auch im Gegensatz zur Regierung, von der sich die in New Orleans verbleibende Bevölkerung lange Zeit im Stich gelassen fühlte. Zudem gilt St. Augustine und ihre Umgebung vielen als eine Wiege des Jazz, und mit ihrem «Grab des unbekannten Sklaven» besitzt die Kirche zudem ein überregional wichtiges Symbol (nicht nur) für die afro-amerikanische Bevölkerung.

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Man kann sich also leicht vorstellen, welch ungläubige Reaktion die Ankündigung des Erzbischofs hervorruft, Pater LeDoux solle entlassen, St. Augustine geschlossen respektive der benachbarten Kirchgemeinde St. Peter Claver zugeführt werden. Peter Entell, der in der Westschweiz lebende, amerikanische Dokumentarist, erfuhr vom sich abzeichnenden Konflikt mit der Kirchenhierarchie durch eine Freundin aus New Orleans Anfang 2006, sechs Monate nach dem Wirbelsturm Katrina. Kurzentschlossen reiste er, zusammen mit einem Kameramann, aber ohne weitere Crew, ohne Budget oder längere Vorbereitungen nach New Orleans, die Gunst der Stunde nutzend. Der Film zeichnet die sich überstürzenden Ereignisse auf, die Sit-Ins und Protestaktionen von Bewohnern, Studenten und angereisten Aktivisten sowie die verlegen-ignorante Haltung des neu eingesetzten – weissen – Pfarrers. Es gelingen Entell aber auch intimere Momentaufnahmen und kleine anrührende Porträts. Besonders bewegend ist etwa der Auftritt von Mama D, einer über siebzigjährigen Bürgerrechts-Aktivistin, die mit bebender Stimme vor einem Ausschuss der Stadtregierung gegen die Kirchenschliessung protestiert. Wiederkehrendes und tragendes Motiv des Films ist die Musik, die die aufbrausenden Gefühle prächtig orchestriert und zugleich etwas vom lebendigen Geist jener schwarzen Gospel- und Jazzkultur vermittelt, für die New Orleans weltberühmt ist: So gibt es Sessions in der Kirche, in Hinterzimmern und auf Plätzen, mit unbekannten und berühmten Musikern wie Brandon, Delfeayo und Ellis Marsalis oder Mother Tongue.

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Unbefriedigend ist hingegen der Schluss des Films: Es scheint fast, als hätte Entell die Dreharbeiten frühzeitig abgebrochen – vermutlich hätte es sich ausbezahlt, die Entwicklung über eine längere Zeit weiterzuverfolgen und nicht nur, wie nun geschehen, in einen kurzen Abspann zu zwängen. Dort erfährt man nun vom beschämenden – aber eben auch vorläufigen – Ausgang des Dramas. Da wird auch deutlich, dass die Geschichte noch nicht ausgestanden ist, auch wenn der alte Priester in die Wüste – genauer: nach Texas – verbannt wurde.

Und erst recht gerne hätte man gewusst, was es nun mit den genauen Ursachen des Konflikts auf sich hat: Davon bekommt man hauptsächlich Vermutungen zu hören, so plausibel diese klingen mögen. Nämlich: dass der Vertreibung des Paters versteckter Rassismus zugrunde liege, eine Immobilienspekulation zudem (die Kirche ist mit ihrem Symbolwert nicht zuletzt touristisch vermarktbar) oder zumindest die Absicht, die nach Katrina lädierten Kirchgemeinde-Kassen wieder aufzufüllen.

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Die Verantwortlichen bekommt Entell jedoch nicht direkt vor die Kamera. Einzig Pater Michael Jacques, der selbst ernannte Nachfolger von LeDoux, sieht man einmal beim unbeholfenen Gespräch mit der Vorsteherin der Kirchgemeinde sowie Kirchensprecher William Maestri, der jedoch jede Aussage verweigert. So fehlt dem Film nun eine wichtige Auseinandersetzung – jene mit der Gegenseite nämlich. Pater LeDoux allerdings hat sich längst seine eigene Meinung gemacht über die Gründe für die demütigende Art und Weise, wie er da aus Amt und Würden vertrieben werden soll: In seiner letzten Messe spricht LeDoux über die Geldwechsler und Händler im Tempel Gottes und von Jesus, der ihnen entgegentritt, indem er ihre Tische umwirft und ihnen zuruft – und nun hebt LeDoux, im Gospel-Chor mit der Gemeinde und in weit ausholender Geste, zu singen an: «Shake, Shake, Shake! Shake the Devil off!» Und da Film eher das Medium von Bewegung, Gesang und Emotionen denn von nüchternen Verhandlungen ist, nehmen wir das für einmal gerne als Schlusswort.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 4/2008 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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