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Bright star 01

Bright Star

Jane Campion und ihr Kameramann Greig Fraser scheinen für die Schönheit der Gedichte von John Keats eine visuelle Entsprechung finden zu wollen – als sollten sich Text und Bild gegenseitig applaudieren. Jede Einstellung ist makellos kadriert, einige Bildkompositionen überhöhen mythisch die Natur, die einzig Schutz und Geborgenheit zu bieten scheint.

Text: Michael Ranze / 09. Dez. 2009

Glanzvoller Stern, wär ich so stet wie du,
Nicht hing ich nachts in einsam stolzer Pracht!
Schaut’ nicht mit ewigem Blick beiseite zu,
Einsiedler der Natur, auf hoherWacht
Beim Priesterwerk der Reinigung, das die See,
Die wogende, vollbringt am Meeresstrand;
Noch starrt ich auf die Maske, die der Schnee
Sanft fallend frisch um Berg und Moore band.
Nein, doch unwandelbar und unentwegt
Möchte’ ruhn ich an der Liebsten weicher Brust,
Zu fühlen, wie es wogend dort sich regt,
Zu wachen ewig in unruhiger Lust,
Zu lauschen auf des Atems sanftes Wehen –
So ewig leben – sonst im Tod vergehen!

John Keats gilt als einer der bedeutendsten Dichter der englischen Romantik. Seine leidenschaftlichen Gedichte, Oden, Sonette und Episteln, von der antiken Mythologie beeinflusst, zeugen von hoher Wortkunst, sein bildhafter, ausschmückender Stil zog die Leser in ihren Bann. Vielen gilt er als Ideal des einfühlsamen Romantikers, der mit intensiver Sinnlichkeit sein subjektives Empfinden in den Mittelpunkt rückte. Dazu scheint auch zu passen, dass er viel zu früh, mit gerade einmal fünfundzwanzig Jahren, an Tuberkulose starb. Seine einzige, grosse Liebe war Fanny Brawne, die Tochter seiner Vermieterin. Sie lernten sich 1818 kennen, da war Keats dreiundzwanzig, Fanny fünf Jahre jünger. Die Leidenschaftlichkeit und Intensität ihrer Beziehung (die gleichwohl, bis auf wenige Küsse, platonisch gewesen sein muss) hat Keats zu seinen grössten Gedichten, unter anderem jenes, das diesem Film seinen Titel verleiht, inspiriert. Jane Campion hat nun Andrew Motions 1997 erschienene Keats-Biographie verfilmt und das Augenmerk auf die letzten beiden Lebensjahre des Dichters gelegt. Der Grund: «Der Schmerz und die Schönheit und die Unschuld ihrer Affäre zogen mich unwiderstehlich an», so die Regisseurin in den Produktionsnotizen. Bereits 1993 hatte sie mit The Piano eine bewegende, überlebensgrosse Liebesgeschichte in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts angesiedelt, Portrait of a Lady (1996), die Adaption des Henry-James-Romans, spielt nur wenige Jahrzehnte später. Mit diesem Vorwissen ahnt man, dass es auch hier wieder um die Selbstbestimmung einer modernen Frau, um Begehren, das gegen gesellschaftliche Konventionen verstösst, gehen wird.

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Die Opening Credits laufen über Nahaufnahmen von Nadel, Faden und einem Kleidungsstück. Campion beschreibt Fanny Brawne, dargestellt von der australischen Schauspielerin Abbie Cornish (Somersault), als leidenschaftliche und kreative Schneiderin, die ihre extravaganten Kleider selbst entwirft und näht. So erscheint sie von Beginn an als kluge, selbstbewusste Frau, die dem Spott über ihre auffälligen, farbenfrohen Kreationen mit Stolz und Schlagfertigkeit zu begegnen weiss. Im Folgenden wird sich der Film ihre Perspektive zu eigen machen. Bei einem Besuch in der Nachbarschaft – Schauplatz des Films ist das idyllische Dorf Hampstead Heath in der Nähe von London – lernt Fanny den zurückhaltenden Dichter John Keats kennen. Keine Liebe auf den ersten Blick, doch ein vages Interesse am anderen ist da. «Ich muss gestehen, dass ich Ihre Gedichte ein wenig schwierig finde», beichtet Fanny dem jungen Mann beim zweiten Wiedersehen auf einem Ball in der Nachbarschaft. Zwischenzeitlich hatte sie nämlich Keats’ Gedichtband «Endymion», der sich beim Kauf als Ladenhüter entpuppt, gelesen und sich, trotz der Verständigungsschwierigkeiten, verzaubern lassen: «A thing of beauty is a joy forever …» Was ist das für ein Mann, der solche schönen Sätze schreibt?

Keats hingegen betrachtet die junge Frau als seine Muse. Zunehmend sucht er ihre Nähe. Hier eine scheue Berührung, dort ein langer Blick. Ein Romanze könnte ihren Lauf nehmen, doch zwei Menschen sind es, die sich dem jungen Glück in den Weg stellen. Da ist zum einen Mrs. Brawne, dargestellt von Kerry Fox, die mit Jane Campion schon 1991 bei an Angel at My Table zusammengearbeitet hatte. Mrs. Brawne wünscht sich für ihre Tochter eine gute Partie, einen Mann, der für sie sorgen wird. Keats aber ist ohne Vermögen, eine Familie könnte er nicht ernähren. Als grösster Hemmschuh erweist sich aber Keats’ Freund und Vertrauter Charles Brown, bei dem der Dichter wohnt. Brown, ebenfalls Poet, ist ein besitzergreifender, fordernder und intriganter Kerl, der alles tut, um das Talent seines Freundes zu unterstützen und ihn vor Störungen zu bewahren. Gegenüber Fanny nimmt er von Beginn an eine feindliche Haltung ein, die wachsenden Bande zwischen den beiden beäugt er mit Misstrauen, jede Unterbrechung der gemeinsamen Arbeit nimmt er verärgert zur Kenntnis. Der amerikanische Schauspieler Paul Schneider (Elizabethtown) porträtiert mutig und ungezügelt einen rücksichtslosen, gefühlskalten Rowdy – und kommt damit der realen Figur, die Keats selbst einmal als «eigentümliche Mischung aus Derbheit, Freundlichkeit, Kaltblütigkeit und Berechnung» bezeichnet hat, sehr nahe. Dabei fungiert er als Kontrast zu den sensiblen Hauptfiguren und steht für eine andere Art von Männlichkeit. Die unverhohlene Eifersucht Browns könnte auch unterschwellige homosexuelle Gefühle andeuten. Doch scheint ihm das dichterische Genie seines Freundes, das er – soviel zur Ehrenrettung – neidlos anerkennt, viel mehr am Herzen zu liegen. Schon lange nicht mehr war im Kino eine derart widersprüchliche, undurchschaubare Figur zu sehen.

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Jane Campion, die für ihr Drehbuch zu The Piano einen Oscar erhielt und seit fünf Jahren, seit dem umstrittenen Meg-Ryan-Thriller In the Cut, keinen Film mehr gedreht hat, ist einmal mehr der Faszination des neunzehnten Jahrhunderts erlegen. Zusammen mit ihrer langjährigen Produktions- und Kostüm-Designerin Janet Patterson, mit der sie auch schon bei The Piano und Portrait of a Lady zusammengearbeitet hat, entwickelt sie auch hier wieder ein untrügliches Gespür für das Alltagsleben einer vergangenen Zeit. Diese Alltagswelt wird dank der Meisterschaft der Regisseurin, durch ihren filmischen Blick und ihre Phantasie wieder lebendig. Dem prachtvollen Ambiente aus Portrait of a Lady stellt sie hier eine Enge und Schäbigkeit entgegen, die sich von Charles Dickens’ Beschreibungen der Armut beeinflusst zeigen. Dies wird besonders deutlich im letzten Drittel des Films, als die Familie Brawne in die zweite Haushälfte zieht. Keats und Fanny sind sich so nah wie noch nie – trotzdem scheint sich das Gedrungene des Hauses wie ein Schleier auf das Gemüt der Bewohner zu legen.

Trotz der äusseren Widerstände macht Campion deutlich, wie gleichberechtigt Mann und Frau in dieser romantischen Beziehung sind, wie sehr sie sich auf Augenhöhe begegnen. Bright Star ist nicht nur ein Film über die letzten beiden Lebensjahre von John Keats, sondern auch ein Film über Fanny Brawne, über ihre Kreativität, über die Echtheit ihrer Gefühle, über ihren Einfluss auf Keats Arbeit. Eine eigenständige und starke Frau, wie gesagt, und somit eine Geistesverwandte von Ada McGrath und Isabelle Archer. Die Querverstrebung zu The Piano und Portrait of a Lady sind gelegt.

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Jane Campion und ihr Kameramann Greig Fraser scheinen für die Schönheit der Gedichte von John Keats eine visuelle Entsprechung finden zu wollen – als sollten sich Text und Bild gegenseitig applaudieren. Jede Einstellung ist makellos kadriert, einige Bildkompositionen – zum Beispiel Fannys andächtige Brieflektüre in einem Meer aus blauem Flieder, ihr Tanz inmitten eines Schwarms von in einem Zimmer gefangenen Schmetterlingen – überhöhen mythisch die Natur, die einzig Schutz und Geborgenheit zu bieten scheint. Darüber hinaus versteht es die Regisseurin, den Akt des Schreibens, das Suchen nach Worten, geschickt in ihre Erzählung einzubauen. Die Briefe, die Fanny nach langem Warten vom todkranken Keats aus Italien erhält, aber auch die Gedichte, die Hauptdarsteller Ben Whishaw (Das Parfüm) aus dem Off vorträgt, sind genauso schön wie die Bilder. Sprache und Licht gehen in Bright Star eine wundervolle Verbindung ein.

In einer der schönsten und anrührendsten Szenen des Films halten John und Fanny auf gleicher Höhe ihre suchenden Hände zaghaft gegen die dünne Schlafzimmerwand, die gleichwohl jede Berührung verhindert. Zwei Menschen, die sich ungemein nah sind und doch getrennt.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 8/2009 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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