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Dr parnassus 05

The Imaginarium of Doctor Parnassus

Der Film bietet dem Zuschauer sowohl knarzende Mechanik der Trickmaschine (in Erinnerung an die Anfänge der Kinematografie als Jahrmarktsattraktion) wie computergenerierten Glanz. Das imaginäre Reich ist skurril wie das Pepperland der Beatles im Zeichentrickfilm Yellow Submarine. Terry Gilliam schöpft bei dessen Gestaltung aus dem eigenen Unterbewussten und kehrt zu seinen Anfängen zurück.

Text: Frank Arnold / 09. Dez. 2009

Bei Alfred Hitchcock war es eine majestätische Kamerabewegung, als er nach drei Jahrzehnten in Hollywood in seiner Geburtsstadt London Frenzy drehte. In Terry Gilliams neuem Film nimmt sich dies bescheidener – und zugleich sachbezogener – aus. Mit der kleinen Schaustellertruppe und ihrem pferdegezogenen Gefährt wähnt man sich in einer vergangenen Ära, doch wenn der Blick der Kamera sich weitet, sehen wir, dass wir nicht im viktorianischen London sind, sondern in der Gegenwart, an einer eher schmuddeligen Ecke der Metropole, wo, im Hintergrund sichtbar, Wahrzeichen von Tony Blairs New Britain wie der Millennium Dome einen deutlichen Kontrast markieren. So kommt einer nach Jahren, während derer er in den USA für amerikanische Studios und mit amerikanischen Stars Filme gemacht hat, zurück in das Land, in dem er einst als Mitglied der Komikertruppe «Monty Python» das erste Mal mit dem Medium Film in Berührung kam.

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Ob der 1944 im amerikanischen Minnesota geborene Gilliam überhaupt als britischer Filmemacher gelten kann, wurde in verschiedensten Zusammenhängen debattiert (und wird in Büchern zum britischen Film bis heute unterschiedlich beantwortet). Dabei ist ein zentrales Charakteristikum seiner Arbeit gerade der Zustand des Dazwischen – hier zwischen der Realität der britischen Gegenwart und den weiten Welten der Imagination.

Imagination ist das Geschäft von Doctor Parnassus. Mit seiner Tochter Valentina, dem kleinwüchsigen Percy und dem Lehrling Anton betreibt er sein «Imaginarium» mehr schlecht als recht, die Beleidigungen des angetrunkenen Publikums ignoriert er würdevoll so gut wie möglich. Die Bühnenshow lässt in der Tat zu wünschen übrig, aber wer hinter den Vorhang tritt, sich durch den Spiegel hindurchwagt, der findet sich in einer phantastischen Welt wieder – ein Trip, so aufregend wie gefährlich.

Diese grenzenlose Entfesselung der Phantasie (wie auch sein eigenes ewiges Leben) verdankt Parnassus einem Pakt mit dem Teufel. Doch jetzt rückt der Zahltag näher, nämlich der sechzehnte Geburtstag seiner Tochter, die ab dann dem Fürsten der Finsternis gehören soll. Wie gut, dass der Teufel eine Spielernatur ist und Parnassus eine weitere Chance eröffnet: er muss innerhalb von drei Tagen fünf Seelen auf seine Seite ziehen – in Konkurrenz zu Mr. Nick. Tom Waits gibt diesen als Dandy, mit jovialem Charme, mit Melone, Fliege und Zigarettenspitze – ein Teufel, der direkt dem Jazz-Age entsprungen sein könnte.

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Um diese Seelen einzufangen, muss man erst einmal Kandidaten finden, die sich auf die andere Seite des Spiegels locken lassen. Das ist ähnlich vertrackt wie Jugendliche von ihren Computern und Games wegzukriegen, um sie die Magie des Kinos erfahren zu lassen. The Imaginarium of Doctor Parnassus ist durchaus – in seiner Konstellation von Künstler, Medium, Finanzen und Publikum – auch eine Reflexion über das Kino zu Beginn des digitalen Zeitalters.

Als begnadeter Seelenfänger entpuppt sich dann Tony: der baumelt scheinbar tot unter einer Themse-Brücke, wird von Anton und Percy wieder belebt und bleibt bei der Truppe – ein geheimnisvoller, aber definitiv geschäftstüchtiger Mann, der weiss, dass die ebenso reichen wie gelangweilten Damen der Oberschicht ideale Kunden für den Gang auf die andere Seite sind. Heath Ledger spielt ihn als trickster, das verbindet ihn mit seinem vorherigen Auftritt bei Gilliam, wo er als Jacob Grimm mit seinem Bruder Wilhelm in The Brothers Grimm ebenfalls das Publikum an der Nase herumführte (ähnlich wie schon John Neville als Baron Münchhausen in Gilliams The Adventures of Baron Munchausen von 1988).

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Heath Ledgers Tod vor Ende der Dreharbeiten hätte den Film beinahe in die breite Phalanx von nicht zustandegekommenen Gilliam-Filmen eingereiht, doch dieser fand eine Lösung, die einmal mehr von seiner Phantasie zeugt: Der magische Spiegel verwandelt Heath Ledger kurzerhand in Johnny Depp, in Jude Law und in Colin Farrell. Sie nehmen in drei Sequenzen im Phantasiereich seine Rolle ein, verkörpern so unterschiedliche Aspekte der Figur Tony. Johnny Depp ist der galante Mann, der eine ältere Dame über den Totenfluss geleitet, Jude Law der Clevere, der das Trio russischer Gangster, das ihn bis auf die andere Seite des Spiegels verfolgt hat, austrickst, und Colin Farrell ist der Zerrissene, prominenter Wohltäter, Initiator eines Kinderhilfswerks, der gern mit den Celebrities posiert, bis sein schmutziges Geheimnis ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt und er schliesslich demaskiert wird.

Der Film bietet dem Zuschauer sowohl knarzende Mechanik der Trickmaschine (in Erinnerung an die Anfänge der Kinematografie als Jahrmarktsattraktion) wie computergenerierten Glanz. Das imaginäre Reich ist skurril wie das Pepperland der Beatles im Zeichentrickfilm Yellow Submarine. Terry Gilliam schöpft bei dessen Gestaltung aus dem eigenen Unterbewussten und kehrt zu seinen Anfängen zurück, zu seinen Beiträgen für Monty Python’s Flying Circus, zu den knappen Animationssequenzen (mit einfachsten Mitteln als Cut-Outs gestaltet), die als Überleitungen zwischen den Sketchs seiner vier britischen Mitstreiter dienten. Man kreidet ihm eine gewisse computergenerierte Glätte und – wie so oft – das Fehlen eines flüssigen Erzählrhythmus und mangelnde narrative Stringenz an, aber genau das hat Methode bei Terry Gilliam, der in surrealistischer Tradition das nicht Zusammengehörende zusammenbringt.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 8/2009 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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