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Cliente

Text: Pierre Lachat / 15. Apr. 2009

Schon in Gran Torino lässt sich etwas davon absehen, namentlich dort, wo Clint Eastwood beim Barbecue die chinesische Nachbarin fragt, wie sie ihren Hund zubereitet haben möchte, und mit soviel Dreistigkeit ungerügt davonkommt. Sichtlich hat die forcierte politische Korrektheit in neuester Zeit sehr zu leiden, jenes idiomatische Regelwerk, heisst das, dessen Wächter sich ungern daran erinnern lassen, dass Nigger ein anstössiges Schimpfwort ist, aber eines, das etymologisch gesehen nichts anderes bedeutet als ganz unverdächtig: Schwarzer. Weswegen es gerade die, die damit verächtlich gemacht werden sollen, untereinander massenhaft gebrauchen, ohne jeden despektierlichen Gedanken.

Cliente stellt nun seinerseits etliches auf die Füsse, das Kopf steht in den laufend aufdatierten Listen der übeln Rede. Dumme Kuh, fette Dudel, magere Geiss, schmutzige Schlampe, blöde Fotze und andere ausgewählte Invektiven und Kraftausdrücke abgestuft aggressiven Kalibers flitzen ungebremst durch die Dialoge. Männer decken im wirklichen Leben die Frauen damit ein, und das geschieht auch, aber nicht nur, wenn das andere Geschlecht weghört. Weil es aber diesmal, auf der Leinwand, vorwiegend Weiber sind, die ihresgleichen mit Unflat überschütten, werden die Injurien schon fast als Zärtlichkeiten unter lauter Schwestern und Freundinnen empfunden.

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Ganz oben auf der Popularitätsliste figuriert das universelle französische connasse. Die ursprüngliche Bedeutung leitet sich von <con< für die Vagina her, hat sich dann aber im allgemeinen Verständnis soweit verwaschen und verschlissen, bis es heute locker mit blöde Kuh, fette Dudel, magere Geiss oder schmutzige Schlampe zu verdeutschen ist. Die ominöse Wortbildung wird in der Tat nur noch bedingt als Fotze – eigentlich: «Fotzin» – wahrgenommen. Es verhält sich ein bisschen ähnlich damit, wie Nigger für manche nie wieder neutral an einen Schwarzen wird denken lassen.

Die Regisseurin Josiane Balasko spielt ruppig und laut auch eine der Hauptrollen und hockt dabei so wenig auf dem Schandmaul, wie sie ihr unübersehbares Übergewicht verdeckt. Die leidige politische Korrektheit wird in ihrem Film keineswegs etwa selbstzweckhaft missachtet, ohne guten Grund und Anlass. Denn da, wo einklagbare Beleidigungen zu verbalen Streicheleinheiten konvertieren, da kann dann auch, über die gesamte Handlung hinweg, das alttestamentarische pute ausschliesslich die eine männliche Hauptfigur bezeichnen. Die Urvokabel für Hure steht an zweiter Stelle in der Beliebtheits-Skala der wilden Wörter, und fürwahr, sie trifft einen bemitleidenswerten Burschen. Dabei behält das Französische, analog zum Deutschen, pute ganz nur dem weiblichen Geschlecht vor, im grammatikalischen wie im eigentlich sexuellen Sinn.

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Aber der Kerl ist eine Nutte, kein Zweifel: une pute. Er versucht’s gar nicht zu bestreiten. Bestenfalls kann ihn ein Begriff, der etwas mehr ins Beschönigende schlägt, unter die Gigolos einreihen. Auch diese Zuteilung lässt er auf sich sitzen. Not leidende Frauen beglückt er im Austausch mit einer gewissen finanziellen Beglückung der eigenen Person. Aber es geschieht, wie seine bewegliche Tarifskala verrät, aus purer ökonomischer Verlegenheit, was schon fast für eine Rehabilitierung ausreicht. Ausserdem will er mit Erektion auf Kommando nie ein Problem gehabt haben. Der Service ist also qualifiziert und garantiert.

Eine seiner zahlungskräftigsten Klientinnen oder clientes ist die unbeleibt und unbemannt gebliebene Frühfünfzigerin Judith. Die lebenslange Egoistin tut alles aus dem genauen Gegenteil von purer ökonomischer Verlegenheit: weil sie glaubt, es sich leisten zu können und müssen. Und zwar reicht diese Gewissheit bis dahin, wo die Titelheldin einen hilflosen, jämmerlichen Versuch startet, sich in ihre männliche Nutte, die pute, zu verlieben, wofür er oder sie erst mal seiner oder ihrer Frau auszuspannen wäre. Dann wenn einer oder eine kassiert, hat er oder sie gefälligst die Meistbietende zu lieben. Die Gesetze des Marktes kennen keine Ausnahmen.

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Josiane Balasko umgeht die meisten Bettszenen, die da sicher am Platz wären, die aber heute nur noch langweilen. Ihr liegt viel mehr zum Beispiel an einer raffinierten Inszenierungsmethode, die darin besteht, nacheinander drei Darstellerinnen sich in den Vordergrund spielen zu lassen. Nathalie Baye an erster Stelle ist die emeritierte vedette aus bald vier Dekaden französischen und nebenbei auch schweizerischen Kinos, eine satte Könnerin einmal mehr auf der Höhe ihrer besten Rollen. Sodann greift die Regisseurin ein, um ihr eigenes körperliches und stimmliches Potenzial mit mannweiblicher Wucht durch die Szenen zu jagen. Doch halt, da schleicht sich hinter den beiden, zwanzig Jahre jünger, die anfangs unscheinbar, sogar verzagt wirkende Isabelle Carré heran, ein blasses Blondchen, wie es aussieht, das dann aber von förmlichen Energiewallungen überwältigt wird.

Um die defekte Ordnung der Geschlechter zu flicken, hat sie ihren Mann, diese Nutte, den Fängen und Fallen des horizontalen Gewerbes zu entreissen. Dabei überholt sie ihre vorausgeeilten Kolleginnen wie im Zieleinlauf eines Marathons. Auf diese Weise steigert sich der Film von einer kühleleganten über eine verschwitzthandfeste zu einer wahrhaft aufgewühlten weiblichen Interpretation.

Jemand musste den Stall ausmisten. Nur war von männlicher Seite nichts zu erwarten.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/2009 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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