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Three monkeys 09

Three Monkeys

Text: Herbert Spaich / 15. Apr. 2009

Eines Nachts überfährt der Provinzpolitiker Servet auf der Landstrasse einen Fussgänger und begeht in Panik Fahrerflucht. Ihm ist klar, dass damit seine politische Karriere zu Ende sein könnte. Um das zu verhindern, ruft er noch in der Nacht seinen Chauffeur Eyüp an und überredet diesen, die Schuld und die damit verbundene Gefängnisstrafe auf sich zu nehmen. Das sei doch die beste Lösung: Nicht nur zur Abwendung des unvermeidlichen Skandals, Eyüp bleibe auch sein Job als Fahrer erhalten. Selbstverständlich werde ihm sein Gehalt weiter bezahlt, und nach der Entlassung aus dem Gefängnis bekomme er ausserdem eine anständige finanzielle Entschädigung.

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Geheimnisse

Ebenso gleichmütig wie Eyüp nehmen seine Frau Hacer und sein Sohn Ismail die Zumutung hin. Während Hacer in einer Grossküche schuftet, lässt Ismails berufliches Engagement zu wünschen übrig. Beim obligaten Gefängnisbesuch verschweigt er seinem Vater, dass er wieder einmal sein Examen nicht bestanden hat. Zu Hause erklärt der sonst schweigsame Sohn seiner Mutter wortreich, ein eigenes Auto sei die Voraussetzung für seine berufliche Zukunft. Sevets Schweigegeld könne doch dafür sinnvoll eingesetzt werden – zudem wäre das doch eine schöne Überraschung für den Vater, nach den Entbehrungen im Gefängnis. Allerdings müsse das Geld sofort her.

Mutter Hacer besucht Servet, um mit ihm über einen Vorschuss zu verhandeln. Sie trifft auf sein charmantes Entgegenkommen. Es braucht nicht viel, dass Hacer Servets finanzielles Entgegenkommen mit Liebesdiensten ausgleicht. Man trifft sich fortan häufiger. Die Affäre bleibt Ismail nicht verborgen. Der sieht durch den Fehltritt der Mutter die Familienehre in Gefahr, obwohl er das Ganze ausgelöst hat.

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Das Gesetz der drei Affen

So weit könnte man Nuri Bilge Ceylans Three Monkeys noch als archaische Dreiecksgeschichte ablegen, bei der eine Amour fou die Konventionen sprengt, sich etwas Kontrolliertes verselbständigt. Doch die melodramatische Geschichte liefert lediglich die dramaturgischen Grundpfeiler für die verstörende Reflexion über den gesellschaftlichen Mikrokosmos, in dem nicht nur das gemeinsame Fühlen und Handeln, sondern auch die gemeinsamen Kommunikationsebenen verloren gegangen sind. So wie bei den drei Affen, die nicht hören, nicht sehen, nicht sprechen. Das konfuzianische Gleichnis vom weisen Umgang mit dem Schlechten meint, das Schlechte nicht hören, nicht sehen und nicht darüber sprechen – in der Bedeutung von «über das Schlechte hinwegsehen». Ceylan interpretiert die Metapher weniger positiv, sondern im Sinne von «alles Schlechte nicht wahrnehmen», als Verdrängung und Weltflucht.

Seine Protagonisten leben, jeder für sich, in einem Kokon aus Lügen und peinlich gehüteten Geheimnissen. Sie haben es verlernt, zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden. Während die Eltern Eyüp und Hacer sich in dieser Unwirtlichkeit eingerichtet haben, ist ihr Sohn dazu noch nicht bereit. Aber er hat von den Alten nur deren Verhaltensmuster vermittelt bekommen, und das besteht in erster Linie im Verschweigen. Sein Schwanken zwischen Anpassung und Rebellion führt letzten Endes zur Selbstzerstörung. Das Gesetz der drei Affen bringt Ismail aus dem Gleichgewicht: Er hat gehört und gesehen, aber er hat nie gelernt, darüber zu sprechen. Er wünscht sich klare Verhältnisse. Doch die gibt es nicht mehr.

In einer Atmosphäre andauernder Dämmerung baut Nuri Bilge Ceylan mit einem Minimum an Dialogen einen dramatischen Schwebezustand auf, in dem sich die Grenzen zwischen eigener Schuld und der der anderen verwischen: Nutzt Eyüp die Schuldgefühle seines Chefs Servet aus oder wird er von diesem als Sündenbock benutzt? Ergreift Hacer leichtfertig die Gunst der Stunde für ein erotisches Abenteuer oder geht sie einem Verführer auf den Leim? Löst Ismail eine verhängnisvolle Entwicklung aus, um vom dunklen Teil seiner Existenz abzulenken oder weil er ernstlich an eine Veränderung der Verhältnisse glaubt? Aus solchen Ambivalenzen ersteht die enorme innere Spannung des Films.

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Kraft der Bilder und Geräusche

Wie kaum ein anderer Filmemacher der Gegenwart vertraut Nuri Bilge Ceylan auf die Kraft des Bildes und verzichtet darauf, das Gesehene noch verbal zu erklären. Three Monkeys spielt vorwiegend in engen Räumen, in einem Haus, das von Aussen einem Turm oder einem Schutzwall gleicht. Der Blick aus dem Fenster geht zwar auf das Meer, doch der direkte Weg zum Strand wird von einer Bahnlinie und Industriebauten versperrt. Three Monkeys kommt vollständig ohne Musik aus. Geräusche – ein vorbeifahrender Zug, das Geschrei der Möwen – sind die pointiert eingesetzten Boten aus einer fernen Welt, die von aussen in die Wohnung der Kleinfamilien förmlich einbrechen – wie von weit her.

In die meist bedrückende Stille zwischen den Protagonisten ragt neben dem gelegentlichen Geräusch des vorbeifahrenden Zuges (ein provisorischer Filmtitel hiess «Zuglärm») der Schlager «Tanidim seni», den Hacer als Klingelton für ihr Handy benutzt. Im Hit von und mit Yildiz Tilbe geht es um eine bessere Zeit, die herbeigesehnt wird. Die kurdische Sängerin ist in der Türkei einer jener Stars, die zwar als Exoten geduldet werden, die sich aber niemand als Familienmitglied wünscht. Die von ihrer Heroinabhängigkeit gezeichnete Sängerin steht symbolisch für das Unglück, das die Familie in Three Monkeys schleichend heimsucht.

Wie in allen Filmen von Ceylan spielt auch in Three Monkeys die Natur eine wesentliche Rolle. Beim Unfall am Anfang fällt Regen und es donnert, danach baut sich während des gesamten Films ein Unwetter auf. Windböen schlagen Türen zu, lassen die Gardinen für Momente flattern. Über dem Meer ziehen dunkle Wolken auf. Als Eyüp am Ende die Folgen seiner Gefälligkeit gegenüber seinem Chef zu begreifen beginnt, bricht das Unwetter mit Donner und Blitz los. Im Inneren wie im Äusseren eine überwältigende Apotheose: Die Entladung der Naturgewalten hilft den Menschen aber nicht viel weiter in ihrem Elend.

Nuri Bilge Ceylan sagt von Three Monkeys: «Ich möchte damit die Seele meiner Personen ergründen. Ich möchte vor allem verstehen, was sich tief im Inneren eines menschlichen Wesens abspielt. Damit würde man seine dunklen Seiten besser verstehen und kann auf Verbesserung hoffen.» Mit seinem unbestechlichen Blick und seinem cineastischen Gespür für das Wesentliche gehört der türkische Regisseur zu den grossen Visionären des gegenwärtigen Weltkinos.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/2009 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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