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Giulias verschwinden 01

Giulias Verschwinden

In Würde altern oder bewusst unwürdig? Oder einfach den Verfall der Körper- und Geistesfunktionen ignorieren, bis es gar nicht mehr geht? Schaub und Suter machen es sich einfach, weil sie an der Oberfläche des Konversationsstücks bleiben.

Text: Josef Schnelle / 01. Sep. 2009

Die Lachsalven waren garantiert – bei der Uraufführung des Films auf der Piazza Grande in Locarno. Und damit auch der Publikumspreis. Schliesslich waren die Witze über das Altern, die der Film aneinanderfügt, weitgehend bekannt und das Kinopublikum auch nicht mehr das jüngste. Die meisten Zuschauer hatten also die gängigen Scherze schon einmal gehört oder wenigstens insgeheim schon einmal gedacht. Wer will schon älter werden oder gar alt sein in der Wohlfühlgesellschaft. Da lassen sich viele Zettelkästen füllen mit klugen oder weniger klugen, aber anschmiegsamen Gedankensplittern. Doch wie macht man daraus einen Film? An dieser Aufgabe ist der Regisseur Christoph Schaub grandios gescheitert. Auch die Textvorlage des bekannten Schweizer Schriftstellers Martin Suter ist schon reichlich uninspiriert. Schliesslich ist das Altern eine prekäre Angelegenheit, die die Menschheit schon seit Tausenden von Jahren beschäftigt. In Würde altern oder bewusst unwürdig? Oder einfach den Verfall der Körper- und Geistesfunktionen ignorieren, bis es gar nicht mehr geht? Schaub und Suter machen es sich einfach, weil sie an der Oberfläche des Konversationsstücks bleiben.

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Eine Gruppe von Freunden erwartet Giulia, die im piekfeinen Restaurant ihren Fünfzigsten feiern will. Die Jubilarin erscheint aber lange nicht, weil sie dem Charme des routinierten Playboys John erlegen ist, der den Wortschatz des Klischeeverführers perfekt beherrscht. Wer will schon der erotischsten Frau des deutschsprachigen Kinos den Satz verweigern, dass sie eine schöne Frau ist, auf die die Geburtstagsgäste ruhig noch ein bisschen warten können? Bruno Ganz spielt seinen Part allerdings eine Spur zu lieblos und dokumentiert seine Unterforderung durch die Rolle grimassenstark. Auch Corinna Harfouch lächelt einige Dutzend Mal zu häufig, während sie eine schicke Sonnenbrille aufgeschwatzt bekommt und sich an der Bartheke einen Haufen schöner Lügen auftischen lässt. Ein Paar Ohrfeigen hätten den Provinz-Casanova schnell enttarnt. Nicht weil er sich an die attraktive Frau heranmacht, sondern weil er sich derart penetrant nur wenig Mühe gibt, ein bisschen originell zu sein. Ein einfacher Feldversuch an der nächsten Hotelbar dürfte erweisen, dass moderne Frauen selbst von lächelnden älteren Verführern etwas mehr kreative Anstrengung verlangen, bevor sie mit ihnen ins Bett gehen. Auch wenn sie so eindeutig gedankenarm ist, ist diese Episode noch die stärkste des Films. Es wird in ihr wenigstens versucht, eine Geschichte zu erzählen – von dem immerwährenden, immer neuen Spiel der Geschlechter, das natürlich niemals aufhört. Am Tisch der Geburtstagsfeier, zu dem immer wieder geschnitten wird, herrscht verglichen damit gähnende Langeweile. Ein schwules Pärchen streitet sich auf keineswegs hohem Niveau. Die anderen Tischgäste tauschen mehr oder weniger pointierte Bemerkungen aus nach dem Motto: alt werden ist schrecklich, und dann will es auch noch keiner wahrhaben.

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Alessia kommt hinzu. Sie steuert ein paar unbeliebte Wahrheiten – ebenfalls aus dem Zettelkasten – bei und berührt als einzige die skandalöse Konsequenz des Alters. Sie berichtet vom Tod eines Bekannten des Freundeskreises. Im Altenheim tobt derweil eine Tortenschlacht, und der Diebstahl der Turnschuhe durch zwei Teenager zeitigt böse Konsequenzen. Am Schluss sind alle handelnden Personen an den Nebentischen des Lokals zu erkennen und Giulia ist endlich wieder da – gerade rechtzeitig für den Geburtstagskuchen. Schliesslich muss man aus der Geschichte, die gar keine ist, auch wieder rauskommen.

Woran scheitert eigentlich Giulias Verschwinden? Schliesslich wird vermeldet, das Drehbuch sei ursprünglich für Daniel Schmid gedacht gewesen, der im August 2006 gestorben ist. Da darf man sich dann wenigstens einen völlig anderen Film des bekennenden Freigeistes Schmid vorstellen, der aus diesem Stoff hätte entstehen können. Zu Werbezwecken für den als Filmprojekt geretteten, aber ausgesprochen misslungenen Film – wie geschehen in Locarno – eignet sich diese Information allerdings kaum. Es macht einen eher traurig, dass Schaub aus der Grundidee von Giulias Verschwinden so wenig macht. Eines Tages nämlich, genauer am Tag ihres fünfzigsten Geburtstags, bemerkt die Titelfigur beim Blick in das spiegelnde Fenster der Strassenbahn, dass ihr Bild nicht zu sehen ist. Eine alte Frau, auf dem Weg zum erwähnten Altenheim, bemerkt, dass sie sich häufig so fühle, als ob sie verschwunden sei und irgendwie unsichtbar für den Rest der Welt der jüngeren Zeitgenossen. Daraus hätte eine wunderbare tschechowsche Geschichte werden können, die den Titel auch besser rechtfertigen würde. In Schaubs Film ist Giulia ja nur von ihrem Geburtstag abwesend.

Der ganzen Veranstaltung fehlt auch ein wenig die philosophische Tiefe, die eine Komödie bekanntermassen nicht unbedingt weniger lustig macht. Schliesslich ist das Alter keine bedeutungslose Spassparty. Hingegen ist der Schatten des unvermeidlichen Todes schon zu spüren. Das Studium der Klassiker, angefangen mit Mark Aurel, hätte den Blick auch für Scherz, Satire und Ironie schärfen können. Der Film wirkt so schal und lustlos ausgedacht, weil dieser philosophische Untergrund völlig fehlt. Was ist denn eigentlich so schrecklich am Alter? Die Wehwehchen oder doch der nahe Tod? Eine Prise (Alters)Weisheit kann eben nie schaden.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 6/2009 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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