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Up in the air 04

Up in The Air

Text: Frank Arnold / 13. Jan. 2010

Eine Eins mit sieben Nullen dahinter – zehn Millionen. Das ist der Lebenstraum von Ryan Bingham. Mit so vielen Flugmeilen erreicht er nämlich den executive status und wird in einen höchst exklusiven Klub aufgenommen, einen, der bis jetzt erst sechs Mitglieder zählt. «The miles are the goal», gibt der Vielflieger unumwunden zu. Als es schliesslich soweit ist, dass ihm der Flugkapitän höchstpersönlich in luftiger Höhe die begehrte Karte überreicht, auf der «Ryan Bingham No. 7» eingraviert ist, kann sich der Geehrte allerdings nicht mehr so recht darüber freuen: zuviel ist in den letzten Wochen in seinem Leben passiert, sein Wertesystem hat sich gründlich verschoben. Und gerade hat er eine niederschmetternde Entdeckung gemacht, die seine Zukunftsperspektiven mit einem Mal zunichte gemacht hat. Ein Mann fällt aus der Rolle, irgendwohin ins Ungewisse.

Wenn die Geschichte beginnt, ist das Reisen im Flugzeug für Ryan Bingham der Normalzustand, sein «Zuhausesein» beschränkt sich auf wenige Wochen des Jahres. Ganze 43 Tage waren es im vergangenen Jahr, die restlichen habe er unterwegs verbracht, wie er selber nicht ohne einen gewissen Stolz verkündet. Bingham also fühlt sich wohl als “Nomade”, der aus dem Koffer lebt und nur das Nötigste mit sich führt – ein Vorreiter der modernen Geschäftswelt. Die «grenzenlose Freiheit über den Wolken», von Reinhard Mey einst besungen, zu einem Mythos verfestigt, von dem die Werbung bis heute zehrt, steht allerdings in einem bezeichnenden Kontrast zu Binghams Tätigkeit. Seine Aufgabe ist es nämlich, Leute zu entlassen. Das ist für alle Vorgesetzten, die ihren Mitarbeitern in diesem Moment nicht in die Augen schauen möchten, praktisch – die Firma, für die Bingham arbeitet, erledigt das für sie. «Karriereübergangsberatung» lautet das schöne, verschleiernde Wort für diese Tätigkeit. Zwischendurch hält Bingham Vorträge im Tonfall eines selfhelp-Gurus, bei denen er einen Rucksack präsentiert und davon spricht, dass man sich seines Gepäcks zu entledigen habe. «I tell people how to avoid commitment» lautet die dazu gehörige Philosophie.

Up in the air 13

Kann man jemanden lieben, der sein Geld damit verdient, andere Leute zu feuern? Man kann, wenn der Regisseur des Films Jason Reitman heisst und die betreffende Figur von George Clooney verkörpert wird. Denn der ist mit seinem natürlichen Charme sowieso die Wiedergeburt von Cary Grant, dem man alles glaubt, alles abkauft und auch hinterher kein schlechtes Gefühl dabei hat. Charme besass übrigens auch schon der Protagonist von Reitmans Spielfilmdebüt Thank You for Smoking. Der ging einem ähnlich dubiosen Gewerbe nach, er war Lobbyist der Tabak-industrie.

Die Rolle des Ryan Bingham wurde für George Clooney geschrieben. Der fügt der Figur auch seine persönliche Integrität hinzu, weiss man doch, dass er heutzutage Rollen in Mainstreamfilmen wie etwa Batman & Robin oder The Peacemaker (beide 1997) nicht mehr spielen würde. Heute engagiert er sich, häufiger als Produzent, manchmal auch als Regisseur, für Filme, die etwas zu sagen haben, setzt sich ein für humanitäre Belange (Beispiel: Darfur), ist dabei ein Star zum Anfassen und besitzt nicht zuletzt einen ausgesprochenen Sinn für Selbstironie, wie etwa in seinen «Nespresso»-Werbeauftritten erkennbar. All das setzt den Zuschauer beim Ansehen von Up in The Air einem Wechselbad der Gefühle aus, unterläuft das Schema von Gut und Böse.

Zwei Frauen sind daran schuld, dass Ryan Bingham seine Lebensphilosophie zur Disposition stellt. Die eine ist Alex, eine toughe Geschäftsfrau, in der er eine verwandte Seele entdeckt, die andere heisst Natalie, kommt frisch von der Uni und wurde von seinem Chef angeheuert, um Binghams Tätigkeit kostengünstiger zu machen: künftig soll er nicht mehr im Land herumreisen, sondern die Leute per Videoschaltung feuern. Damit würde sich seine Arbeit – zumindest aus seiner Perspektive – grundlegend ändern und damit seinen Lebensstil, seinen Lebensentwurf zunichte machen.

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Natalie (überzeugend: Anna Kendrick) ist gleichermassen zielstrebig und naiv: den Job für Ryans Arbeitgeber hat sie angenommen, weil ihr Freund in derselben Stadt arbeitet – jener Freund, der ihr später die Beziehung per SMS aufkündigen wird. Irgendwie kann man in diesem Moment eine gewisse Schadenfreude nicht verbergen, wird sie doch Opfer der unpersönlichen Kommunikation, die sie Binghams Arbeitgeber als zukunftsweisend an die Wand malt.

Alex dagegen (exzellent: Vera Farmiga) erweist sich als aufregende Mischung aus Sachlich- und Sinnlichkeit. Ihre Gemeinsamkeiten entdecken Bingham und Alex im Gespräch an einer Hotelbar, bei dem sie die Inhalte ihrer Brieftaschen vergleichen, ihre vielen Kreditkarten auf den Tisch legen, anhand von Autoschlüsseln Leihwagenfirmen benoten und sich dabei in einen Rausch hineinsteigern. Das ist eine erotische Anmache, die den Vergleich mit Lubitschs Trouble in Paradise nicht zu scheuen braucht, wo sich die Juwelendiebe Herbert Marshall und Miriam Hopkins gegenseitig ihre Coups aufzählen und am Ende enthusiastisch in die Arme fallen.

Am Morgen nach der ersten gemeinsamen Nacht sieht man sie beide an ihren Laptops sitzen, wie sie in ihren ausgefüllten Terminkalendern einen Zeitpunkt für ein weiteres Treffen zu finden versuchen. Sie sitzen dabei nebeneinander, das lässt den einen als Spiegelbild des anderen erscheinen. Alex ist die ideale Partnerin für Ryan, weil sie sich perfekt in sein System einfügt, es erweitert, aber nicht grundsätzlich in Frage stellt. Die Formulierung, die sie dafür findet, bringt das auf den Punkt: «I am the woman you don’t have to worry about. Just think of me as yourself, only with a vagina.»

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Etwas Paradoxes haben beide Begegnungen: die ihm so ähnliche Person, genau so frei von allen Bindungen wie er, weckt die Sehnsucht nach einer Beziehung, während er diejenige, die angetreten ist, ihn seines Lebensstils zu berauben, unter seine Fittiche nehmen und anlernen muss, was er mit Binghamscher Effizienz tut: von der Wahl der richtigen Kleidungsstücke und des Koffers bis zum Wissen, welche Schlangen vor den Schaltern auf Flughäfen man warum zu meiden habe.

Diesen verschobenen Spiegelbildern gesellt sich in Gestalt von Jim, Ryans Schwager in spe, ein weiteres hinzu: Unmittelbar vor dem Gang zum Traualtar bekommt der Bräutigam kalte Füsse. Ryan fällt die Aufgabe zu, auf den jungen Mann einzureden und ihn von etwas zu überzeugen, an das er selbst nicht glaubt. Oder hat sich Ryan da bereits ein Stück weit von seinen Bindungsängsten gelöst, auch weil er Alex gebeten hat, ihn zu dieser Familienfeier zu begleiten?

Andererseits: Wollen wir eine Selbsterkenntnis, die einer Bekehrung gleichkommt, wirklich erleben? Ist die Wiederentdeckung der traditionellen Familienwerte die Alternative? Ist es das, was Ryan will, wenn er eines Tages unvermittelt vor der Tür von Alex auftaucht? Der Schock, den er dann erlebt, war für mich der zentrale Moment des Films: in diesem Augenblick merkt man, dass man sich als Zuschauer trotz all des Realismus, trotz der Verankerung in der gegenwärtigen Wirtschaftskrise (von Reitman forciert durch die wiederholte Montage mit den Äusserungen der von Ryan Gefeuerten), sich mit dem Protagonisten in eine (Kino-)Traumwelt begeben hat, in der man ein Happy End für Ryan & Alex imaginierte. Up in The Air ist perfekt darin, eine bittere Pille so zu verzuckern, dass man sie schluckt.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2010 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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