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The Ghost Writer

Text: Frank Arnold / 03. Mär. 2010

Als Ende Januar in den Fernsehnachrichten Tony Blair vor einem Irak-Tribunal zu sehen war, wartete man irgendwie die ganze Zeit darauf, dass am unteren Bildrand ein Band durchlaufen würde mit dem Hinweis auf den neuen Film von Roman Polanski, oder auch darauf, dass am Ende ein Sprecher in markigen Worten mitteilte: «In cinemas around the globe from february 18th!» Die Wirklichkeit holt das Kino ein, das gilt nicht nur für Tony Blair (dem der britische Ex-Premier Adam Lang in Polanskis Film nachempfunden ist), sondern auch für Roman Polanski selber, der seit Herbst vergangenen Jahres (als man ihn wegen einer zweiunddreissig Jahre zurückliegenden Tat am Zürcher Flughafen verhaftete) ebenso unter Beschuss gekommen ist.

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Während Polanski mit Frantic noch einen Thriller als Hommage an Alfred Hitchcock inszenierte, ist The Ghost Writer ein abgeklärtes Spätwerk, bei dem man sich etwa an Claude Chabrols letztjährigen Bellamy erinnert, in dem ein Meister so lässig wie gemächlich seine Kunst vorführte, vielleicht auch an den späten Fritz Lang, der das moralische Dilemma seines Protagonisten über eine Handlung dominieren liess, die nur Skelett ist, reduziert in ihren Schauwerten. So gibt es in The Ghost Writer einen Kurzauftritt von Eli Wallach: Wenn der nur ein einziges Mal zu sehen ist, muss diese Figur dann nicht ein Schlüssel zur Lösung des Rätsels sein? Nichts da – entweder wollte der Regisseur uns damit bewusst in die Irre führen oder einfach gerne einen bestimmten Schauspieler in seinem Film haben, sei es auch noch so kurz. Immerhin steht Wallach mit seiner Mitwirkung an The Good, The Bad and The Ugly auch für den Zusammenhang zwischen den USA und Europa – und darum geht es in The Ghost Writer auch. Ironischerweise ist es hier die Grossmacht USA, die einem treuen Verbündeten Unterstützung gewährt, während im Fall Polanski die amerikanische Justiz sich als dunkler Schatten über seine Zukunft legt.

Der Anfang des Films ist von bemerkenswerter Lakonie: einerseits eine Fähre, auf der ein Wagen bei der Ankunft das Schiff nicht verlässt, andererseits eine Leiche, die am Strand angespült wird. Eins plus Eins gleich Zwei. Der Tod des Ghostwriters Mike McAra, der gerade mit dem britischen Ex-Premier Adam Lang auf einer kleinen Insel vor der amerikanischen Ostküste zusammensass, um dessen Memoiren zu verfassen, das ist die Chance für einen – die ganze Zeit über namenlos bleibenden – Ghostwriter, in McAras Fussstapfen zu treten.

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Es ist ein attraktiver Job: innerhalb von vier Wochen das schon fertige Manuskript in eine kommerziellere Form zu bringen, wird mit 250 000 Dollar entlohnt. Mit Politik hat unser Protagonist nichts am Hut. Er hat sich bislang als Ghostwriter für Promis betätigt. Aber gerade darin sieht er sein Kapital, denn eine politische Autobiografie muss Herz haben, muss den Leser emotional ansprechen – und darauf versteht er sich.

Als Bild für die Distanz der Politiker von ihren Wählern konstruiert der Film einen treffenden Schauplatz: ein Haus, bei dem jedes der Zimmer ein riesiges Fenster hat, mit Ausblick auf Dünen, Sand und Meer. Drinnen sind die Menschen gefangen, auch in den Räumen und Gängen, die keinen Blick nach draussen gewähren und in denen die Lebenden ganz verloren erscheinen – ein kalter Betonklotz, der wie ein Mausoleum der Macht wirkt. Das Haus ist gewissermassen der fünfte Charakter, neben dem Ghostwriter, Lang, dessen Frau und dessen Assistentin. «In der Tat habe ich “Ghost“ zuerst als Bühnenstück gesehen», so Robert Harris im Gespräch.

Als Lang unter Druck gerät, weil ihn der Internationale Gerichtshof in Den Haag wegen seiner Unterstützung bei der Entführung und Folterung von Terrorverdächtigen durch die CIA anklagen will, und er daraufhin eine Erklärung abgeben muss, wird der Ghostwriter als Mann des geschliffenen Wortes gleich mit eingebunden. Seinen Verstoss gegen die selbstgewählte Regel von der professionellen Distanz begreift er eigentlich erst, als er Stunden später in den Fernsehnachrichten seine Formulierungen aus dem Mund des Ex-Premiers hört. Das ist nur der erste Schritt bei der Aufgabe seiner «professionellen Distanz».

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Die gerade erschienene Taschenbuchausgabe von Robert Harris’ Romanvorlage trägt den Filmtitel «Der Ghostwriter», die Erstausgabe hiess noch, dem englischen Original folgend, «Ghost». Das war zwar einerseits irreführend, weil man darin eine Geistergeschichte vermuten konnte, andererseits aber auch mehrdeutig: als Kürzel für Ghostwriter, aber auch für die Geister, die im Verlauf der Geschichte die Lebenden heimsuchen – Gespenster seiner Vergangenheit im Fall des Ex-Premiers, der Geist seines Vorgängers McAra im Fall des Ghostwriters, der feststellen muss, dass im Kleiderschrank des ihm zugeteilten Zimmers immer noch dessen Sachen hängen, und der später unter dem Bett dessen Hausschuhe entdeckt. Am Schluss taucht noch ein anderer Verstorbener als Geist wieder auf.

Das Ende ist ebenso knapp und lakonisch wie der Anfang, die Lösung des Rätsels wird entziffert, bleibt aber wohl ohne Konsequenzen, im Gegenteil: der wahre Schurke wird Karriere machen, ausgestattet mit einer Legende. Auch da ist der Film der Wirklichkeit ganz nah.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 2/2010 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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