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Madly in Love

Text: Irene Genhart / 03. Mär. 2010

Es gibt dieses eine Lied von Mani Matter, «Chue am Waldrand» heisst es. Darin beschreibt der Berner Barde, wie eine Kuh, die über Stunden an einem Waldrand steht, nachdem ihr Betrachter kurz wegschaute, plötzlich aus dem Bild verschwunden ist. Und nun kommt Anna Luif mit Madly in Love. Nicht dass ihr Film mit Matters Chanson viel gemeinsam hat. Doch ähnlich wie der Maler in Matters Song stellt der Zuschauer beim Betrachten von Luifs Film fest, dass eine eben noch anwesende Kuh urplötzlich aus dem Bild verschwunden ist. Was zurückbleibt ist eine winzige Leerstelle. Ein kurzer Moment der Irritation, der wimpernschlagflink auf die Funktion des Abwesenden verweist: in Madly in Love funktioniert die im Hinduismus verehrte und in Helvetien als eines der Nationalviecher geltende Kuh – im Gegensatz zu ihrer Rolle als Kunstwerkverhinderin in Matters Song – als Verbinderin zweier Kulturen. Sie ist das Symbol einer Liebe, Verursacherin eines ersten Beinahe-Kusses in einer Kurve auf der Hauptstrasse zwischen Engelberg und dem Unterland. Madly in Love ist eine herzerwärmend-muntere Beziehungskomödie, ein federleichtes, für Schweizer Verhältnisse ungewohnt buntes und beschwingtes Leinwandstück. Es ist der Film wohl auch, welcher der 1972 als Kind ungarischer Eltern in Zürich geborenen Anna Luif nach dem halblangen, zärtlich-verschmitzten Mädchenfilm Summertime (2000) und ihrem tränensalzigen, langen First-Love-Erstling Little Girl Blue (2003) einen definitiven Platz im Kreise der Könner unter den Schweizer Filmemachern sichert.

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Inhaltlich betrachtet ist Madly in Love eine klassische Hochzeitskomödie: Ein junger Mann – sein Name ist Devan, er kommt aus Sri Lanka und lebt seit seinem vierzehnten Lebensjahr mit seinem Vater in der Schweiz – hat sich im Internet seine Landsmännin Nisha angelacht. Nach einigen Monaten regen Internet-Verkehrs, jedoch ohne dass sie sich je wirklich getroffen hätten, ist es soweit: Nisha hat ein Visum beantragt und wird demnächst in der Schweiz eintreffen. Dann wird geheiratet, und fortan werden Nisha und Devan wie Abertausende anderer Paare in “arrangierter” Ehe «happely ever after» leben. Alles in Ordnung also, in Madly in Love. Oder eben doch nicht. Denn: «Wieso», fragt Siva seinen Cousin Devan, «schaust du dir, wie hierzulande üblich, eine Frau nicht an, bevor du ihr die Ehe versprichst?» Devan und Siva sind beste Freunde, trotz ähnlichem soziokulturellem Hintergrund aber grundverschieden. Devan, der jung seine Mutter verlor, ist ganz Papas braver Sohn. Ein gutmütiger Kerl, der in einem Restaurant arbeitet, ein Juniorfussballteam trainiert und zu Hause den Haushalt besorgt. Siva hingegen ist ein egozentrisch-cooler “Siebesiech”. Er trägt Lederjacke, fährt ein Sportcabrio, pfeift auf Tempel und Traditionen. Derweil Devan sich auf seine Hochzeit vorbereitet, träumt Siva von seinem Durchbruch als Musiker. Er hat eine Demo-CD eingespielt, dreht nun in Zürichs Hinterhöfen einen Video-Clip: ein bisschen wie Bligg klingt es. Balz Bachmann hat für die Musik zu Madly in Love viel Lob verdient: Wunderbar stimmungsvoll und hübsch multikulti tönt der Film. Er erzählt vom Leben junger Tamilen im Zürich von heute, davon, was geschieht, wenn einem von ihnen wenige Tage vor der Hochzeit eine Deutsche namens Leo derart den Kopf verdreht, dass er nicht anders kann, als ihr die Ohrringe seiner verstorbenen Mutter zu schenken und ihren Sohn als Torhüter in sein tamilisches Juniorenteam aufzunehmen. Heitere Irrungen und Wirrungen entstehen daraus. Madly in Love ist eine Culture-Clash-Comedy im eigentlichen Sinn des Wortes, und was die Gattungen betrifft lautet die Losung: Bollywood meets Autorenfilm.

Madly in love 02

Ähnliches hat 2008 Oliver Paulus mit Tandoori love präsentiert. Tatsächlich kommt man beim Nachdenken über Luifs Film um Paulus nicht herum: Zu augenfällig sind die ungewöhnlichen Ähnlichkeiten wie die in Restaurants und Lebensmittelläden aufgeführten Freudentänze. Doch sind sie formaler Natur; in ihren erzählerischen Ansätzen haben die beiden Filme soviel wie nichts gemein: Derweil Tandoori love die Entdeckung der Exotik durch die Helvetier feiert, ist Madly in Love aus der Sicht der Immigranten erzählt. Der Film ist denn auch den rund 40 000 Tamilen aus Sri Lanka gewidmet, die laut Vorspann derzeit in der Schweiz leben.

Aus deren Reihen stammt nebst den Nebendarstellern auch Sugeetha Srividdunapathy, die Darstellerin von Nishra. Aus London hingegen kommt Muraleetharan Sandrasegraram. Er hat vor Madly in Love noch nie vor der Kamera gestanden, keinen Brocken Schweizerdeutsch gesprochen und spielt Devan nun doch mit überzeugend charmanter Spitzbübigkeit. Auch der in Deutschland lebende Murali Perumal, der Siva spielt, hat für Madly in Love Schweizerdeutsch gelernt, er ist nebst Leo-Darstellerin Laura Tonke einer der wenigen Profis. Was nun nichts über die Qualitäten von Luifs Film aussagt, im Gegenteil: Madly in Love ist nicht nur geschmeidig inszeniert, gut choreografiert, solide getanzt, sondern auch stimmig besetzt und überzeugend gespielt; selbst bei den wenigen Schweizer-Rollen bewies Luif ein gutes Händchen: Beat Schlatter als Mechaniker Koni Görz ist so sympathisch wie lange nicht mehr, und Christof Oswald als Leos «beste Nachbarin» verpasst dem Film einen verschmitzten Gender-Switch, über den allein ein Aufsatz zu schreiben lohnte. Witzig, leichtfüssig und im schönsten Wortsinn kitschig ist Madly in Love, zugleich aber auch ungemein lebensnah. Besser kann ein tamilisch-deutscher Zürcher Bollywood-Autorenfilm nicht sein.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 2/2010 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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