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Pizza Bethlehem

Text: Bettina Spoerri / 14. Apr. 2010

In Bern Bethlehem ragen die Wohnsilos in den Himmel – und zwischen ihnen erstrecken sich grosse grüne Rasenflächen. Ein idealer Ort für Fussball, beispielsweise. Das ist denn auch das von den neun energiegeladenen Protagonistinnen in Bruno Molls leichtfüssigem Dokumentarfilm Pizza Bethlehem intensiv betriebene Hobby. Seit fünf, sechs oder gar acht Jahren trainieren Yolanda, Rosa, Natâsa, Elmaze, Marie, Agime, Alessandra, Daria und Tiziana regelmässig, üben sich in Ballgefühl, Kurzsprint, Trippeln, Spieltaktik und was der Fertigkeiten sonst noch alle nötig sind, um die Gegnerinnen auf dem Feld zu schlagen. Die fünfzehn- bis sechzehnjährigen Mädchen, die sich gerade in junge Frauen verwandeln, bilden den FC Bethlehem, der sich gegen andere Frauenmannschaften zu behaupten versucht. Mit viel Geduld steht ihnen dabei der Trainer Gian-Luca de Febis zur Seite, der Lob und Kritik pädagogisch richtig dosiert einzusetzen versucht – was bei den so unterschiedlichen weiblichen Charakteren zuweilen ein kniffliges Unterfangen sein kann. Und manchmal ermahnt er sie, er wolle «nicht Schönheit» sehen, sondern «Körpereinsatz». Damit ist er allerdings bei diesen Frauen an der richtigen Adresse, denn sie finden selbst, sie hätten ihren Körper doch nicht geschenkt bekommen, um Barbie-Puppen zu spielen …

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Frauenfussball, vor zwanzig Jahren Leuten mit Scheuklappen wie etwa dem deutschen Fussballtrainer Otto Rehhagel noch ein Dorn im Auge (berühmt geworden ist sein entsprechender Ausspruch: «Mädchen, die wie Brauereipferde auf Fussballfeldern rumstapfen – da hört doch alles auf»), hat sich in den letzten Jahren von einer belächelten zu einer zunehmend ernster genommenen Variante gewandelt, und heute ist sie gar eine der beliebtesten Frauensportarten. Einer, der dem Phänomen der kickenden Weiblichkeit offenbar ohne Misogynie entgegentreten konnte, war Fifa-Präsident Joseph Blatter, der 1995 meinte: «Die Zukunft des Fussballs ist weiblich.»

In Bruno Molls Film geht es aber nicht nur um die Zukunft des beliebten Ballspiels – das, zumindest, wenn es um helles Rampenlicht geht, bis heute noch immer männlich dominiert ist –, sondern vor allem auch um die Zukunft der Schweiz. Jenes Aussenquartier der Schweizer Hauptstadt weist einen hohen Ausländeranteil auf, und dieses statistische Verhältnis spiegelt sich auch in der Zusammensetzung des FC Bethlehem. Aus Frankreich und Italien, Serbien und Mazedonien, Angola und Nigeria stammen die Eltern der Fussballspielerinnen: ein Mikrokosmos des kulturellen Wandels in der Schweiz, wie er das Einwanderungsland in den kommenden Jahren noch stärker prägen wird. Neugierig, mit einem offenen Blick erfragt der Filmemacher die Eckpfeiler, an denen sich diese junge Frauengeneration orientiert: ihr Selbstverständnis als Migrantenkinder in der Schweiz und ihr Verhältnis zu Herkunftsland, Religion, Sprache und Kultur ihrer Eltern. Die neun Fussballspielerinnen stehen zudem alle mitten in einem wichtigen Entscheidungsprozess, weil ihre Schuljahre zu Ende gehen und die Berufswahl ansteht; die Kamera begleitet sie zu Vorstellungsgesprächen und den ersten Lehrtagen. Eine Handvoll zentraler Fragen zu diesen Themenfeldern bildet einen roten Faden in dem Film, der die kurzen Ausschnitte aus den Interviews mit jeder der neun Protagonistinnen alternierend mit Spielfeldszenen und Situationen aus ihrem Alltag zeigt. Manchmal drängt sich dabei der Interview-Leitfaden in seiner strukturierenden Funktion etwas zu offensichtlich in den Vordergrund, und gewisse Sequenzen muten allzu inszeniert an – insbesondere der Besuch zwei der Teenager in einer Museumsausstellung, die sie programmmässig mit dem Diskussionsstoff Sexualität konfrontieren soll.

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Doch das sind einzelne Momente in einem insgesamt sehr unangestrengt wirkenden und erfrischend humorvollen Film, der jene Konstruktionshilfen schnell wieder vergessen lässt – so ansteckend ist nämlich die geballte Lebenslust der kecken und frechen jungen Frauen, die ebenso furchtlos das Fussballfeld zu beherrschen versuchen, wie sie sich beim Shoppen in die höchsten Stöckelschuhe verlieben oder vor dem Fernseher sitzend haufenweise Schlagrahm, Schokolade, Eis und andere Süssigkeiten vertilgen.

Einmal erklärt die Mazedonierin Elmaze Sinani lächelnd, warum sie so gerne in dieser Gruppe mitspielt: «S’fägt äifach.» Diese Unbeschwertheit spiegelt sich auch im Film. Offenherzig und spontan erzählen die Fussballerinnen der Kamera und ihrem Gesprächspartner – das ist Bruno Molls grösstes Verdienst: wie er das Vertrauen dieser Frauen gewinnen konnte – ihre Gedanken, die von ihrem besonderen Sprachgebrauch übers Schminken bis hin zu politischen Fragen bezüglich Gewalt und Intoleranz reichen. Manchmal droht da der Film in seiner thematischen Breite in die Beliebigkeit abzugleiten. Doch immer stellt Bruno Moll die Balance zwischen Weitschweifigkeit und Engführung wieder her. Und ebenso die Ausgewogenheit zwischen Gruppenszenen und Einzelporträts. Ein bisschen ist das in der Komposition vergleichbar mit dem launigen Rap des FC Bethlehem, den die Spielerinnen auf der Reise im Mannschaftsbus zusammenstellen: «Pizzapizzapizza …» lautet das Grundpattern, auf das «Schinken», «Ananas!» und weitere Zutaten im richtigen Rhythmus zu liegen kommen. So entsteht eine bunte Pizza, die viele verschiedene Ingredienzien in sich aufzunehmen vermag. Eine «Pizza Bethlehem» eben. Eine solche ist in diesem Land keine Utopie mehr.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/2010 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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