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Honeymoons

Intolerance” ist ein wiederkehrendes Motiv auf den Hochzeiten zweier Paare: einem serbischen und einem albanischen. Obwohl sich die vier jungen Menschen nie begegnen, verbinden sie die tiefschürfenden Familienkonflikte und ihre Sehnsucht nach einem besseren Leben in der Ferne.

Text: Martin Girod / 26. Mai 2010

Filmemacher, die uns, vordergründig gesehen, mehrere Geschichten zugleich erzählen, meinen in aller Regel die sie verbindende Gemeinsamkeit. Gerne führen sie die anfänglich getrennten Storys mehr oder weniger locker zusammen; im Minimum lassen sie die Figuren sich flüchtig kreuzen. Oder sie bedienen sich der Parallelmontage zur Verflechtung der Handlungsstränge. Beliebt ist auch eine Rahmenhandlung, die die verschiedenen Storys verbindet, wie dies David Wark Griffith schon 1916 im wohl ältesten Beispiel dieser Art, in Intolerance, vorgeführt hat.

«Intolerance» hätte Goran Paskaljevic auch seinen neuen Film Honeymoons nennen können. Die Intoleranz jedenfalls ist eines der wiederkehrenden Motive in den beiden Geschichten, die uns der aus Belgrad stammende Filmemacher erzählt. Zwei Hochzeiten und zwei weniger förmlich verbundene Liebespaare stehen im Mittelpunkt, ein albanisches und ein serbisches. Eine weitere Gemeinsamkeit ist die Unwirtlichkeit der Gesellschaft, die der nachsozialistische Transformationsprozess mit seinen Kriegen zurückgelassen hat, und der übermächtige Wunsch der Jungen nach einem besseren Leben.

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Andrerseits sind die beiden Geschichten zum Teil gegenläufig konzipiert: Kommen die Albaner aus den Bergen zu einer Hochzeit in die Hauptstadt Tirana, fahren die jungen Serben von Belgrad zu einer Hochzeit aufs Land. Doch schon die Überheblichkeit der Leute in Tirana den Bauern gegenüber entspricht in schrecklicher Weise dem Misstrauen der serbischen Landbevölkerung gegen die Städter. Fast ist man versucht, von einem Raki-Graben zu sprechen, der, tiefer noch als nationale Grenzen, quer durch Serbien wie Albanien Stadt und Land trennt: Während die Städter sich an Bier oder Champagner gewöhnt haben, kennt der Bauer nur den traditionellen Raki-Schnaps.

Zwischen den beiden Nachbarvölkern, die uns Paskaljevic in ihren Gemeinsamkeiten nahebringt, liegt aber, die Fernsehnachrichten erinnern uns daran, Kosovo. Wenn dort von nichtidentifizierten Tätern zwei italienische Soldaten der internationalen Friedenstruppe umgebracht werden, sind die Schuldzuweisungen schnell zur Hand: Während in Tirana ausser Zweifel steht, dass es «die Serben» waren, hält man in Serbien mit der gleichen Selbstverständlichkeit «die Albaner» für die Schuldigen. Differenzierter zu denken und an solchen reflexartigen Schlüssen zweifeln zu wollen, wie es auf beiden Seiten ein Junger wagt, grenzt in solchen Situationen schon fast an Selbstmord.

Bei einer Hochzeit, das spürt man schnell, geht es weniger um die jungen Leute, die da zum Ehepaar werden, als um den gesellschaftlichen Anlass, der nicht aufwendig genug sein kann. Es wird mit Reichtum und Beziehungen geprotzt, werden letztere auch gepflegt. Entsprechend gönnerhaft tritt – hüben wie drüben – der reiche Onkel auf, der seinen Neffen beziehungsweise seine Nichte mitsamt Eltern und Partner eingeladen hat. Unvermeidlich brechen die alten Gräben in den Familien auf. Gräben aus der Vor-Wendezeit auf der albanischen Seite. Der alte Bauer, angewidert von der neureichen Gesellschaft, erkennt: «Das sind dieselben Leute, die mich damals ins Gefängnis gesteckt haben.» Gräben unterschiedlicher politischer Positionsbezüge in der Nach-Wendezeit bei den Serben: Da schlägt der Alte die Einladung seines Bruders, der auf die “richtige” politische Karte gesetzt und Karriere gemacht hat, entrüstet aus.

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Nur zu begreiflich, angesichts solcher Zustände und tiefer gesellschaftlicher Klüfte, dass die Jungen ihre Hoffnungen auf eine bessere Zukunft in die Ferne projizieren, dass sie magisch angezogen werden vom Ausland. Arbeit, die es zu Hause nicht gibt, soll Italien dem jungen albanischen Bauern bringen; auf die Wiener Philharmoniker, wohin er zum Vorspielen eingeladen ist, richtet der junge Belgrader Musiker seine Hoffnung.

Je eine gute halbe Stunde lässt uns Goran Paskaljevic kontinuierlich Zeit, erst in die eine, dann in die andere Geschichte einzutauchen und mit den Figuren vertraut zu werden. Erst im letzten Drittel des Films verschränkt er die beiden Handlungen durch die Montage. Die beiden Paare machen sich erwartungsvoll auf den Weg ins Ausland, übers Meer nach Italien reisen die Albaner, über Ungarn nach Wien möchten die Serben. Die misstrauische, rüde und entwürdigende Behandlung durch Grenzbeamte wird parallel gezeigt: Sie reisst die Paare auseinander. Wie schnell sich da Routine mit Vorurteilen vermischt, kann Paskaljevic so leicht aufzeigen, ohne ein Land besonders anzuprangern, ja, ohne die Opfer zu verklären. Einer der aufgehaltenen Immigranten beklagt sich bitter: «Die Italiener sind Rassisten – sie sperren uns mit Negern ein!»

Paskaljevic besitzt die Souveränität, auf alle konstruierten Zusammenführungen, Rahmungen und forcierten Zuspitzungen zu verzichten. Die beiden Storys bleiben getrennt, die Paare begegnen sich nie, und auch die Montage bleibt zurückhaltend, verzichtet auf jede vordergründige Parallelisierung einzelner Situationen. Erst im Kopf der Zuschauer kommt auf diese Art so manches zusammen, was die beiden Geschichten, die beiden Paare, die beiden Hochzeiten, die beiden Nationen gemeinsam haben – untereinander und mit vielen weiteren.

Die “kleinen” individuellen Schicksale fügen sich unaufdringlich zur Parabel, weitgehend ohne Überdeutlichkeiten. Gleich zu Beginn distanziert sich der Film vom Auf-die-Tränendrüsen-Drücken, indem er eine so kalkulierte Fernsehsendung zeigt und als Zuschauerin vor dem Bildschirm eine an ihren eigenen verschollenen Sohn denkende weinende Mutter. Mit einer Kamera, die in den entscheidenden Momenten nahe genug bei den Personen ist, um ihre Gesichter sprechen zu lassen, von eigentlichen Grossaufnahmen aber sehr sparsam Gebrauch macht, erzeugt der Film eine starke, doch nie voyeuristische emotionale Intensität.

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Goran Paskaljevic gehört, das ist in diesem Film deutlich zu spüren, zu den Altmeistern des Filmschaffens im einstigen Jugoslawien. 1947 in Belgrad geboren und an der Prager Filmhochschule FAMU ausgebildet, drehte er viel beachtete Kurz- und Dokumentarfilme, bevor er mit Spielfilmen wie The Dog that liked Trains (1977) und Special Therapy (1980) rasch international an Festivals wie Berlin und Cannes Beachtung fand. In der ersten Hälfte der neunziger Jahre lebte er vorwiegend in den USA, wo unter anderem Someone Else’s America (1995) entstand. In der Schweiz kam zuletzt Bure Baruta (Baril de poudre, 1998) ins Kino. Wohl nur ein Filmemacher mit grosser Erfahrung und etabliertem Ruf konnte das Wagnis eingehen, die erste Koproduktion zwischen Serbien und Albanien auf die Beine zu stellen. Paskaljevic hat in beiden Staaten mit einer gemischten serbisch-albanischen Crew gedreht. So wenig wie seine Figuren im Film haben sich jedoch die Darstellerinnen und Darsteller der albanischen und der serbischen Geschichte bei den Dreharbeiten getroffen. Erst bei der Premiere an den Filmfestspielen in Venedig kamen sie dann zusammen: im Ausland. Man könnte sich fast vorstellen, dass diese folgerichtige Pointe im Drehbuch stand.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 4/2010 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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