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01 vergebung

Millenium 3 - Vergebung

Die Punkerin und Computerhackerin Salander, die im zweiten Teil der Millennium Triologie beinahe lebendig entsorgt wurde, nimmt den Angriff auf den schwedischen Staat wieder auf – kämpferisch, rau und zugleich erotisch.

Text: Erwin Schaar / 26. Mai 2010

Wer glaubt, dass die Kunstwissenschaft, neuerdings oft zur Bildwissenschaft mutiert, den Film als eines ihrer ureigensten Gebiete betrachten würde, irrt. Das Visuelle hat meist nur in seiner statischen Ausprägung interessiert, was auch der Unsicherheit und Ignoranz vieler Vertreter geschuldet ist, bewegte Bilder in einen kunstwissenschaftlichen Kontext einzuordnen, in dem selbst die Fotografie um einen Stellenwert zu kämpfen hatte und hat. So ist es nicht verwunderlich, dass der Film, der ja zum grossen Teil erzählender Natur ist, eher von den Literaturwissenschaftern entdeckt wurde, weil diese doch schon immer gern Handlungen reproduziert haben. Und der Film hat ohne Hemmungen auf die erzählende Literatur zurückgegriffen, weil entsprechende Plots ein gesteigertes Interesse auch bei weniger Filminteressierten versprachen. Das hat dann eine Menge langweiliger Transpositionen von Wörtern in Bilder hervorgebracht, denn Bilder wurden meist als Beigabe missverstanden.

Mit der Umsetzung von Stieg Larssons «Millennium Trilogie» gelang eine Verfilmung, die den literarischen Erfolg wiederholen konnte. Die kolportierten Verkaufszahlen von Larssons Krimis sprechen von über 25 Millionen weltweit! Der schwedische Journalist, Herausgeber des antifaschistischen Magazins «Expo», hat die Veröffentlichung und den Erfolg seiner literarischen Bemühungen 2005 allerdings nicht mehr erlebt. Geboren 1954, ist er schon 2004 gestorben.

Da auch die filmische Umsetzung von Larssons vielfältigen Handlungslinien in drei Teilen auf dem Markt ist, dürfte es schwierig sein, alle Spannungsmomente der Geschichte nachzuvollziehen, wenn man nur einen Teil kennt und die Literatur nicht als Verständnishintergrund bekannt ist. Den erzählenden Charakter der Bücher haben die Filme im grossen und ganzen beibehalten.

02 vergebung

Aus Teil 2 – Verdammnis – wurden wir mit der schwer verletzten Lisbeth Salander entlassen, der es gelungen war, sich aus ihrem Grab, in dem sie lebendig “entsorgt” werden sollte, zu befreien – was uns dann, auch bei sonstigen Unwahrscheinlichkeiten, doch etwas irritierte.

Im dritten Teil erfahren wir, wie die Punkerin und Computerhackerin Salander, die seit Anbeginn mit dem investigativen Wirtschaftsjournalisten Mikael Blomkvist vom Magazin «Millennium» zusammenarbeitet und den sie einmal selbst ausforschen sollte, von ihren schweren Verletzungen genesen wird und den Kampf gegen die Widersacher aufnimmt, die sie vernichten wollen. Lisbeths Vater, der Russe Alexander Zalatschenko, ist eine Figur der sie verfolgenden «Sektion» des schwedischen Geheimdienstes, die Staat im Staat spielen möchte. Als junges Mädchen hat Lisbeth ihrem Vater schwere Verletzungen beigebracht, weil er grausam zu ihrer Mutter war. Ein verbrecherischer Vormund wurde für sie bestellt, und nach Jahren des erneuten Zusammentreffens kommt es zwischen Zala und Lisbeth zu einem brutalen Kampf, der beide in die Intensivstation desselben Krankenhauses bringt, wo wir ihnen zu Beginn von Millennium 3 begegnen und durch detailreiche Handlungsstränge zum glücklichen Ende für Lisbeth geführt werden.

Diese Figuren und geschehensreiche Abfolge macht Vergebung wie Verdammnis unter dem Regisseur Daniel Alfredson, der bei Verblendung noch als Second Unit Director tätig war, zu einer Herausforderung für die Zuschauer, die den Faden nicht verlieren möchten. Mit ihrer actionreichen Bilderfülle bleiben beide Teile eher einer Fernsehästhetik verpflichtet, wohingegen Teil 1, Verblendung, von Niels Arden Oplev wesentlich eleganter inszeniert wurde, wenn er Landschaften charakterisierte und das Handlungskorsett der Darsteller nicht durch hektische Schnitte verengte. Da mag auch die inhaltliche Begrenzung auf den Auftrag, das geheimnisvolle Verschwinden einer Person zu erforschen, herausgefordert haben, und auch die Notwendigkeit, den beiden Hauptfiguren Blomkvist und Salander Profil zu geben und sie zu gemeinsam Handelnden zusammenzuführen.

07 vergebung

Verdammnis geht mit einem reduzierten Cliffhanger nahtlos in Vergebung über. Der Spannungspunkt ist die ständige Bedrohung von Blomkvist und Salander, wobei die kriminelle Energie, die von staatlichen Institutionen gegen Lisbeth aufgebracht wird, diese in ihre Verteidigungshaltung zur herausragenden Figur stilisiert. Wenn sie sich zur Gerichtsverhandlung gegen den ihr feindlich gesinnten Psychiater, der mit dem Geheimdienst kooperiert, mit ihren Punker-Utensilien rituell einkleidet, strahlt sie eine kämpferische Autorität aus, deren Erotik nicht zu übersehen ist, die aber auch eine Herausforderung der scheinbar bürgerlichen Ordnung ist. Noomi Rapaces Gesicht ist feminin und hart zugleich. Ohne ihre Präsenz und ihre Haltung würden alle Handlungsdetails beziehungslos auseinanderpurzeln.

Es wird spannend zu verfolgen sein, welche Darstellerin das US-Studio Columbia, das die Rechte für die Neuverfilmung gekauft hat, für die Rolle der Lisbeth Salander wählen wird. Die Filme sind ein so grosser Erfolg, dass Hollywood schon nächstes Jahr mit seiner eigenen Fassung starten möchte.

06 vergebung

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 4/2010 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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