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Der raeuber 05

Der Räuber

Text: Gerhard Midding / 12. Jan. 2011

Es hat nicht nur ehrenwerte Tradition im französischen Gangsterfilm, die Geschichte mit der Entlassung des Helden aus dem Gefängnis beginnen zu lassen. Für die Meister des Genres, Jean-Pierre Melville, José Giovanni und Henri Verneuil, war ein solcher Auftakt eine geradezu obligatorische Konvention. Die Seelenruhe, mit der ihre Helden vom Wachpersonal Abschied nehmen, ist ein zuverlässiges Indiz dafür, dass sie der Welt nie offenbaren werden, was in ihnen vor sich geht. Die Haft hat sie nicht gebrochen, sie blicken unangetastet in die Zukunft.

Ein möglicher Wiedereintritt in die gesellschaftliche Ordnung ist dabei kaum je eine echte Option. Die Attraktion dieser Helden besteht darin, dass sie sich dieser nicht zuordnen lassen. Ihre Lakonie signalisierte, dass wir die nächsten Kinostunden gemeinsam mit Männern verbringen werden, die sich für ein Leben entschieden haben, das wir Normalbürger nicht zu führen wagen; und auch nicht wagen müssen. Sie tragen leicht am Gewicht ihrer Vorgeschichte. Sie dürfen, aber müssen keine Metaphern sein. Auch der Held von Benjamin Heisenbergs zweiter Regiearbeit, die an den Tatsachenroman von Michael Prinz angelehnt ist, macht nicht viele Worte. Umso mehr Gravität gewinnt jedes einzelne von ihnen. Was er nun mit seinem Leben anfangen wolle, fragt ihn der Bewährungshelfer. In Zukunft nicht mehr im Kreis laufen, antwortet er.

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Johann Rettenberger ist Langstreckenläufer und Bankräuber in Personalunion. Bisher konnte er nur auf dem Laufband in seiner Zelle und in dem kleinen Gefängnishof trainieren. In der Freiheit erfüllt er sich jedoch rasend schnell die Ziele, die er sich in der Haft gesteckt hat. Er stellt beim Wien-Marathon einen Rekord auf und raubt Banken in Serie aus; bisweilen gar, dem Vorbild von Jacques Mesrine folgend, am gleichen Tag mehrere hintereinander. Den Konventionen des Genres entsprechend, hat auch Rettenberger eine Frau zurückgelassen, deren Erinnerung im Gefängnis nicht ganz verblasst ist. Erika ist eine Frau, von der man träumen kann (weil Franziska Weisz sie mit bezaubernder Strenge spielt), ohne sie der Realität entrücken zu müssen (sie ist beim Arbeitsamt beschäftigt). Heisenberg ist so klug, sie als eine integere Gefährtin zu zeichnen, die weder Gangsterliebchen noch Verkörperung der bürgerlichen Moral ist. Der Film billigt ihr eine eigene Geschichte und auch ein wenig Psychologie zu. Der einsame Wolf muss nicht durch ihre Liebe erlöst werden.

Der raeuber 02

Es ist ein begrüssenswerter Registerwechsel, wenn ein Regisseur der «Berliner Schule» (den es wie all seine Kollegen geniert, ihr zugerechnet zu werden) sich aus dem Einfluss Robert Bressons löst und einmal mit dem Melvilles liebäugelt. Thomas Arslan hat auf der letzten Berlinale mit Im Schatten ja auch die Hinwendung zum Genrekino gewagt, die Christian Petzold seinen Kameraden schon seit einiger Zeit vorexerziert. Sie vollziehen damit einen in Deutschland mehrfach mutigen Schritt, widerspricht er doch den Regeln des Marktes (auf dem sich nur ActionFilme aus Hollywood behaupten können) und der mangelnden Flexibilität der Fördergremien. Diese Öffnung für dynamischere Erzählmodelle vollzieht Heisenberg zwar noch etwas spitzfingrig, aber zugleich mit unbestreitbarer Lust, sich ein zupackenderes Handwerk zu erstreiten. In Deutschland lag es lange brach; der Autorenfilm ist seit den siebziger Jahre höchst selten in die Verlegenheit gekommen, sich das savoir faire der Inszenierung eines Bankraubs oder einer Verfolgungsjagd aneignen zu müssen. Die Filme der «Berliner Schule» bedeuten freilich eher für ihre Regisseure als für das Genre eine wirkliche Erneuerung. Es scheint ihnen leichter zu fallen, die Verschnürungen des Genrekinos zu lockern, als sich aus dem engen Korsett des eigenen ästhetischen Vorhabens zu befreien. Sie begegnen der Herausforderung gleichsam in einer ästhetischen Mittellage, wählen einen dritten Weg zwischen Hingabe an das Genre und dessen Dekonstruktion. Ihre Filme erzählen auch vom Alltag und dessen schalen Verrichtungen.

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Anders als Arslan kommt Heisenberg ohne das Milieu aus, in dem sich der Gangsterfilm klassischerweise konstituiert. Er bleibt ganz auf seinen Protagonisten fixiert. Die ihn verfolgenden Polizisten rückt er nur selten ins Bild. Während das Verbrechen in Im Schatten eine Verlockung ist, der der entlassene Gangster geradezu routiniert nachgibt, ist Heisenbergs Räuber ein Zwangscharakter. Rettenberger kennt keine Sehnsucht, sondern nur Fluchtpunkte. Er ist eine unbedingte Figur – in seiner Vergangenheit lauert kein Trauma, das seine Eskapaden erklären müsste –, die allein ihrer Natur folgt. Er ist heroisch im Sinne der Genreregeln. In Situationen, die jedem von uns als aussichtslos erscheinen würden, weiss er noch einen Ausweg, rettet sich mit einem tollkühnen Fenstersprung aus dem Polizeigewahrsam und findet auf einer Bergspitze sogar noch ein Schlupfloch, obwohl er von einer Hundertschaft umstellt ist.

Seine Flucht ist ein Weg zum Tode hin: Auch bei Heisenberg ist der Protagonist des Gangsterfilms ein tragischer Held. Zugleich ist er aber auch eine typische Figur der «Berliner Schule». Er ist ein Einzelgänger, seine Geschichte erzählt von Entfremdung. Der Schauplatz Österreich ist klug gewählt: Es ist ein kleines, enges Land, in dem man keine weiten Wege zurücklegen muss, um in die Abgeschiedenheit der Landschaft zu gelangen. Reinhold Vorschneider hat seiner Kamera zwar eine souveräne Agilität entlockt, um mit dem Tempo des Titelhelden mitzuhalten. Mit dem Regisseur findet er grossartig emblematische Bilder (etwa das Meer der Lichter, das nachts zu einem Bergmarathon aufbricht). Bei aller kinetischen Energie will die Verwandlung Rettenbergers in einen Actionhelden nicht gelingen. Sie muss es auch nicht.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2011 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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