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Satte Farben vor Schwarz

Text: Kathrin Halter / 12. Jan. 2011

Man kann über diesen Film nichts sagen, ohne von seinem Ende zu reden. Denn erst darin liegt seine Brisanz: im gemeinsamen Freitod jenes alten Paares, dessen letzte Lebensmonate Sopie Heldmans Erstling schildert. Erst das Sterben umgibt das Paar mit jenem Geheimnis, das seine (Liebes-)Geschichte aussergewöhnlich macht.

Die 1973 in Hamburg geborene und in der Schweiz aufgewachsene Sophie Heldman hat sich bei ihrem Abschlussfilm an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin von einer wahren Begebenheit aus ihrer Jugendzeit inspirieren lassen: Ein altes Ehepaar aus der Nachbarschaft in Zug nahm sich nach dem Prostatakrebsbefund beim Mann gemeinsam das Leben. Zitiert wird im Presseheft auch die berühmt gewordene Liebeserklärung des französischen Philosophen André Gorz an seine krebskranke Frau; auch dieses Paar nahm sich (im Jahr 2007) gemeinsam das Leben, weil Gorz seine Frau nicht überleben wollte. Dabei weckt der Hinweis auf das prominente Paar eher falsche Erwartungen: Denn der Fred und die Anita aus Heldmans Kammerspiel sind zunächst ganz normalsterbliche Pensionäre. Wenn auch privilegierte: Haus und Garten sind weitläufig, die Einrichtung stilvoll elegant. Die Rollenteilung ist klassisch: Wenn der Gatte am Morgen auf eine Stippvisite in sein altes Büro geht, kümmert sich die Gattin um Haus und Garten oder macht Einkäufe.

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Als Anita Fred einmal per Zufall in der Stadt antrifft (einer Stadt in Deutschland, die nicht weiter definiert wird), folgt sie ihm heimlich in eine ihr unbekannte Wohnung. «Ich brauche einen Ort, um nachzudenken, um alleine zu sein», wird ihr später beschieden, als sie Fred zur Rede stellt. Anita ist empört ob diesem unerwarteten Freiheitsdrang ihres Mannes – zumal das alte Gleichgewicht des Paars sowieso empfindlich gestört ist, seit Fred unter einem Prostatakrebs leidet, den er nicht operieren lassen will. Anita wiederum pariert den sanften Egoismus ihres Mannes mit einer theatralisch inszenierten Flucht. So reiben sich die beiden aneinander – und finden durch die heftig ausgetragenen Konflikte erneut zu jener Nähe, ohne die beide trotz Kindern und Enkelin nicht mehr (weiter-)leben wollen.

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Bruno Ganz hat in der Rolle des Fred eine weitere Altersrolle gefunden, die Eigensinnigkeit mit seinem unverwechselbar sanften Charme wattiert. Senta Berger gibt ihrer Figur hingegen die härtere Kontur: Ihre Anita besitzt genügend Störrigkeit und Stolz, dass man ihr ihre radikale – und gegenüber ihren Kindern auch egoistische – Entscheidung am Ende ihres Lebens tatsächlich auch abnimmt. Dabei lässt uns der Film auch Zeit, wortlose, längst eingespielte Rituale zwischen eng Vertrauten zu beobachten: Das genervte Aufhorchen Anitas zum Beispiel, wenn Fred am Frühstückstisch geräuschvoll sein Knäckebrot streicht – und seine zärtliche Schadenfreude über ihre absehbare Reaktion. Was Satte Farben vor Schwarz neben der prominenten Besetzung auszeichnet, ist eine auffällige Zurückhaltung im Psychologisieren und Interpretieren. Leerstellen in der Erzählung betont Heldman noch durch Abblenden am Ende von Szenen: Durch diese Diskretion hält sie ein Gefühl dafür wach, dass nicht alles erklärbar ist oder gedeutet werden muss. Die Reaktion des familiären Umfelds auf den Tod lässt Heldman bewusst aus; eher geht es ihr darum, in filmischer Form über die Motive des Paares nachzudenken. Allerdings wird der Suizid auch nicht in eine Rahmenhandlung gefasst, um die letzten Lebenswochen als reine Vorgeschichte erscheinen zu lassen. Dafür wirkt er dann wie ein Schock. Doch gerade in der Freiheit seiner unausgesprochenen Entscheidung behält das Paar seine Würde.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2011 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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