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Dangerous method 07

A Dangerous Method

Dangerous Method bedient das «Period Pic»Genre, lässt aber alles bloss Illustrative oder Kostümierte rigoros hinter sich, sondern dringt präzise und respektvoll in das gefährliche Beziehungsdreieck und dessen Universum an der Epochenschwelle zur Moderne ein. Es ist die gleiche Reduktion, Präzision und Fokussiertheit aufs Wesentliche, die David Cronenbergs Kino auch bisher ausgezeichnet hat.

Text: Martin Walder / 02. Nov. 2011

«Kleinere Laboratoriumsexplosionen werden bei der Natur des Stoffes, mit dem wir arbeiten, nie zu vermeiden sein.» Was für ein Satz! Sigmund Freud hat ihn an seinen designierten Kronprinzen Carl Gustav Jung geschrieben. Im Übrigen ist er eine glatte Untertreibung. Die Explosion, von welcher der Vater der Psychoanalyse hier konkret spricht, war ziemlich heftig, und die «Natur des Stoffes» meint nicht weniger als das verborgene menschliche Innenleben, da, wo es mitunter brandgefährlich wird. In der Liebe zum Beispiel.

David Cronenbergs überraschender Ausflug ins historische Bio-Pic erzählt die gemäss psychoanalytischer Lehre streng verbotene Leidenschaft des verheirateten Jung zu einer achtzehnjährigen russischen Patientin namens Sabina Spielrein in Zürich. Übervater Freud, der von beiden unabhängig einbezogen wurde (von Jung erst nach langer Geheimniskrämerei), spielt seine Rolle in dem Drama. Die erwähnte Briefstelle kommt im Film so nicht vor, doch wirft dieser uns Zuschauer gleich mitten in einen Anfall von Hysterie, der es explosiv in sich hat. Mit ihm beginnt die ganze Geschichte von Jungs erstem Schulfall als junger Arzt an Bleulers wegweisender Klinik Burghölzli in Zürich.

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Ein Drama von Liebe und Verrat kommt in Gang, von Feigheit und Not, von weiblicher Emanzipation und verkappter Männersolidarität, die dann in ein grosses Zerwürfnis vor dem standespolitisch brisanten Hintergrund kippt, dass die neue Methode der Seelenheilung für ihr Zeitalter gleichzeitig reif und doch schockierend war, Widerstand provozierte und zuallerletzt einen Skandal brauchen konnte. A Dangerous Method heisst der Film nach einem dicken, fast gleichnamigen (und auch auf deutsch übersetzten) Wälzer des Amerikaners John Kerr, der die Geschichte recherchiert hat.

Zürich also, August 1904. Eine Kutsche rast vom Hotel Baur en Ville zur Klinik Burghölzli hinauf. Und ohne Rücksicht auf Verluste führt uns die Schauspielerin Keira Knightley einen entfesselten Teenager vor. Wild konvulsivisch zuckt sie, die Augen weit aufgerissen, den Unterkiefer schier aus den Angeln geklemmt, ihre Wortschwälle eine spastische StaccatoArie. Cronenbergs Regie ist unbarmherzig, schneidet nur manchmal weg vom grässlichen Anblick, lässt das gepeinigte Wesen in einer einzigen Einstellung lange zappeln. Too much? Vielleicht. Aber jemand mache das erst einmal glaubhafter. Jedenfalls überzeugt die junge Britin als eine Frau, der in dem Männerdrama zwischen Freud und Jung eine wesentliche Rolle zukam, gerade weil sie sich – im Film etwas hurtig – von der Patientin zu einer ernstzunehmenden Mitspielerin (und Konkurrentin) in der Entwicklung der Psychoanalyse entwickelte. Schön, verletzlich und klug, gefühlvoll und ehrgeizig – so tritt uns Sabina hier entgegen; Knightley zeigt das mit Kraft.

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Hat Spielrein im Männerdrama auf den Bruch zwischen Freud und Jung von 1913 eigentlich katalytisch gewirkt? Die Filmemacherin und Psychologin Elisabeth Márton, die vor einigen Jahren ein Dokudrama zu dem Fall gestaltet hat, verweist auf die zumindest emotionale Wirkung unter dem Zwang für alle drei Beteiligten, sich im Fall Spielrein schonungslos offen zu legen. Auch deren Zürcher Biografin Sabine Richebächer sieht es nicht direkt katalytisch: «Erst versuchten die Männer, einander umwerbend, sich auf ihre Kosten zu stabilisieren, später dann, sie je auf ihre Seite zu ziehen.»

Von Christopher Hampton, bekanntlich einem wahren Spezialisten für liaisons dangereuses, stammen Drehbuch und danach Theaterstück, auf dem der Film basiert. Es ist ein ziemlich didaktisches Stück, dem man die Lust anmerkt, sich erklärend in die damals neue Methode zu vertiefen und gleichzeitig aus dem Stoff das Dramatische und Epochale herauszukitzeln. Lauter Fallstricke für einen heutigen Film, könnte man meinen: Historiendrama, Kostümdrama, Schulfunk drohen. Wie würde der eigenwillige Cronenberg dem entgehen? Mit souveräner Konzentration.Zunächst einmal fügt sich die Geschichte nahtlos in dessen bisheriges Werk mit seinem Interesse an Mechanik und Motorik der Seele in unserem technologischen Zeitalter, seiner Obsession an Körperwelten und Körper-Transformationen (The Fly, Crash, dann natürlich exemplarisch Spider). Dass Freud Cronenberg näher liegt, ist evident. Im Film freilich ist das nicht so spürbar.

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Jung ist die grosse tragische Figur, die sich auf die Probe gestellt sieht: in seiner Liebe zu Sabina und als kühner Forscher an der Schwelle zum Unbekannten, der sich aber in der Konfrontation mit dem drogenabhängigen, freigeistigen Kollegen Otto Gross (brillant: Vincent Cassel) als bourgeoiser schweizerischer “Philister” erkennt. Der wie Jung hochgewachsene Michael Fassbender lässt Jungs Zerrissenheit mit einer diskreten Intensität bedrängend spüren, auch dessen visionäres Sensorium für die heraufkommende Weltkrieg-Katastrophe. Viggo Mortensen dagegen ist die Koryphäe Freud, eine Rolle, die ihm trocken Spass zu bereiten schien. Brillant!

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Cronenbergs Film bedient das «Period Pic»Genre, lässt aber alles bloss Illustrative oder Kostümierte rigoros hinter sich, sondern dringt präzise und respektvoll in das gefährliche Beziehungsdreieck und dessen Universum an der Epochenschwelle zur Moderne ein. Es ist die gleiche Reduktion, Präzision und Fokussiertheit aufs Wesentliche, die diesen Regisseur auch bisher ausgezeichnet hat, selbst wo es sehr blutig wird wie im Meisterwerk A History of Violence (2005). A propos blutig: In A Dangerous Method dürfte man von einer Operation sozusagen an drei offenen Herzen sprechen – hätten denn die beiden Pioniere der Wissenschaft und Behandlung der Seele diese noch im Herzen lokalisiert. Wo sie denn nun genau sitzt, wissen wir ja immer noch nicht. Welch epochale Herausforderung dies historisch war und bleibt, bringt dieser Film fesselnd nahe.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 7/2011 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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