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Die Kinder vom Napf

Text: Natalie Böhler / 02. Nov. 2011

«Man sollte Romoos etwas berühmter machen. Wie Hollywood», sagt die zehnjährige Carolin. Durch Die Kinder vom Napf kommt das Dorf im Kanton Luzern nun zu ein bisschen Ruhm, wenn auch nicht zu so viel, wie Carolin es sich wünscht.

Alice Schmids Film porträtiert eine Gruppe Kinder aus Romoos. Der Ort liegt im Napfgebiet, einer abgelegenen, hügeligen Landschaft im Herzen der Schweiz. Der Napf, der Berg im Zentrum dieser Gegend, ist nur zu Fuss erreichbar. Es ist ein unwegsames, wildes Gebiet, das Leben auf den Höfen ist ländlich geprägt, kleinräumig und isoliert. Ein Jahr lang hat die Filmemacherin die Kinder begleitet, an ihrem Leben teilgenommen. Dieser Jahreszyklus wird auch in den Landschaftsaufnahmen sichtbar, die die verschiedenen Gesichter der Landschaft einfangen. Frühlingswiesen, Nebelschwaden, Schneegestöber: Das Wetter prägt das Leben, das sich nach dem Lauf der Natur ausrichtet und nach dem Flecken Erde, auf dem es stattfindet. Diese Erdverbundenheit verleiht Geborgenheit; die Kinder fühlen sich stark verwurzelt in ihrer Heimat.

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Dabei verklärt der Film weder eine ländliche Idylle noch eine kindliche Niedlichkeit, auch zeigt er keine heile Welt: Der Wolf reisst Schafe, der Habicht holt ein Huhn, und Unwetter sind hier noch richtig gefährlich.

Die Kinder vom Napf schildert die Welt dieser Kinder in Fragmenten: kurz, knapp, ohne Erklärungen, was dem Film eine ungewöhnliche Frische und Leichtigkeit verleiht. Einzelne Episoden werden aneinandergereiht, und es entsteht ein Bilderbogen des Alltags. Der besteht in Mausefallen aufstellen, Löwenzahnblüten abknipsen, Kohle herstellen, Handorgel spielen, Volkstänze üben und Metzgen. Die Kinder sind stark in die Erwachsenenwelt eingebunden, helfen auf dem elterlichen Hof mit. Ihr Spiel ähnelt oft der Arbeitswelt der Erwachsenen; eine Szene zeigt ein paar Kinder, die frisch gemähtes Gras auf einen Spielzeugtraktor laden – Nachahmung und Mitarbeit zugleich. So bilden die Landwirtschaft und das Leben mit der Natur ein verbindendes Glied zwischen den Generationen: Es fällt den Kindern leicht, sich in die Welt ihrer Eltern einzureihen, weil Kindheit hier, fernab von urbanen Erlebniswelten, Hello-Kitty-Kitsch und Happy Meals, weniger als Sonderstatus betrachtet wird.

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Nebst ihrer Arbeit als Regisseurin ist Alice Schmid auch als Schriftstellerin tätig. Kinder stehen im Zentrum ihrer Filme und Bücher. Nach Reisen in Afrika, Südamerika und Asien, wo sie Reportagen über den Kinderalltag und seine spezifischen Probleme drehte, kehrte Schmid auf den Napf zurück, wo sie ein Bauernhaus besitzt. Hier entstand 2011 auch ihr Romandebut «Dreizehn ist meine Zahl», das vom Leben eines Mädchens im Napf der sechziger Jahre erzählt. Die Kinder vom Napf ist ihr erster Kinofilm.

Dass Schmid viel Zeit mit ihren Darstellern verbracht und eine gute Beziehung zu ihnen aufgebaut hat, zeigt sich: Die Kinder beweisen im Auftreten vor der Kamera grosse Natürlichkeit. Der Film thematisiert auch, wie sie mit der Präsenz der Kamera umgehen: «Jetzt hab ich’s falsch gesagt; soll ich nochmal?» fragt etwa ein Junge die Kamerafrau, und ein kleines Mädchen rennt auf die Kameralinse zu und verkündet: «Ich habe die Lippen geschminkt, damit’s schön aussieht.» Konsequent bleibt die Kamera auf Kinderaugenhöhe, teilweise nimmt sie gar die Untersicht ein: Die Welt der Kleinen wird dadurch gross und rührt an universelle Themen. Diese sind bestimmt auch für einen Kinobesuch mit Kindern interessant.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 7/2011 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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