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Future 02

The Future

Text: Michael Pekler / 07. Dez. 2011

Wer das künstlerische Universum von Miranda July betreten will, braucht ein Geheimwissen. Denn die Filmemacherin, Schauspielerin, Performance-Künstlerin und Autorin («Zehn Wahrheiten») empfängt auf ihrer Homepage ihre Besucher mit der Aufforderung «Enter Secret Password». Nun hat man zwei Möglichkeiten: Entweder man beginnt zu überlegen, mithilfe welcher geheimer Losung einem der Zutritt gewährt wird, oder man liest das Kleingedruckte: «You know the password, just clear your mind and look within. It will probably be the first word that you think of. (If this doesn’t work, try looking at a candle for a few seconds.)» Der eigentliche Witz dieses doppelsinnigen Spiels ist aber, dass man natürlich gar kein Passwort benötigt – ein einfacher Klick genügt, und man ist dort, wo man sein will. Aber möglicherweise hat man wenigstens eine Sekunde in den Gedanken an eine solche geheime Losung investiert.

In der ersten Szene von The Future wiederum hat es sich ein junges Paar auf der Couch seiner Einzimmerwohnung gemütlich gemacht. Während beide in ihre Laptops starren, entspinnt sich ein Dialog darüber, was man wohl nur kraft seiner Gedanken zu leisten imstande sei. Ob man sich wohl ein Glas Wasser herbeiwünschen könne? Dafür seien seine Gedanken zu schade, meint Jason zu Sophie, denn er könne etwas Spezielles, nämlich die Zeit anhalten. Ob Sophie sehen wolle, wie das funktioniert? Und weil sie es ihm natürlich nicht glaubt, zählt Jason bis drei, klatscht in die Hände und – die beiden bleiben wie versteinert sitzen.

Hier wie dort geht es also um Innehalten und Introspektion, und wer möchte, kann dieses besondere Verhältnis von Zeit und Subjektivität fast in allen Arbeiten von Miranda July, die ihren gebürtigen Namen schon früh in den ihres «kreativsten» Monats änderte, finden. In ihrem interaktiven Onlineprojekt «Learning to love you more», das sie mit dem Künstler Harrel Fletcher fünf Jahre lang bis 2009 betrieben hat (und das auf www.learningtoloveyoumore.com nach wie vor einsehbar ist), fordert July dazu auf, bestimmte Aufgaben auszuführen und das Ergebnis in Bild oder Textform einzuschicken.

Future 04

«Klettere auf einen Baum und mache ein Foto von dem, was du siehst» lautet etwa eine der Aufgabenstellungen. Als Audiofile einsenden konnte man die Eigenkomposition des «traurigsten Songs, der dir einfällt», während die für das Gesamtkunstwerk Miranda July vielleicht aufschlussreichste Aufforderung lautete: «Gib dir selbst einen Ratschlag in der Vergangenheit.»

Wenn man sich nämlich einen solchen geben könnte, müsste man nicht nur in die eigene Vergangenheit zurückkehren können, sondern müsste sich überlegen, was man im Hier und Jetzt ändern möchte, also innehalten und in sich gehen. So wie die Mittdreissiger Sophie und Jason in The Future, die nicht so recht wissen, was sie mit ihrem Leben anfangen sollen. Sophie gibt in der Kindertanzschule rosa gewandeten Mädchen Ballettunterricht, Jason bei einer Telefonhotline technisch überforderten Kunden Ratschläge. Um ihre Krise zu überwinden, die längst auch von ihrer Beziehung Besitz ergriffen hat, entschliessen sich die beiden zur Adoption einer verletzten Katze (der die Regisseurin mit verfremdeter Stimme eine eigene traurige Geschichte gönnt), die sie in genau einem Monat aus dem Tierheim abholen sollen. Und, wichtiger noch, sie schmeissen ihre Jobs und werfen ihr bisheriges Leben über Bord.

Was folgt ist eine zwischen melancholischer Poetik und skurrilem Humor schwankende Erzählung, die Sophie und Jason bei ihrer Selbstsuche begleitet. Während Sophie an einem Internet-Tanzprojekt scheitert und dafür in eine Affäre stolpert, freundet sich Jason bei seiner neuen Herausforderung als Umweltaktivist mit einem alten Mann an, der vielleicht er selbst sein könnte – jedenfalls entdeckt er als Indiz dafür in der fremden Wohnung dasselbe Sofa und dieselben Nippes wie bei ihm zuhause. Ein Sprung in die Zukunft, die schon jetzt begonnen hat, ohne dass er es gemerkt hätte.

Future 03

Wie bereits in ihrem Langfilmdebüt me and you and everyone we know (2005) übernimmt July auch in The Future die weibliche Hauptrolle und bringt damit einmal mehr ihre eigene Person buchstäblich ins Spiel. Allerdings ohne jedweden Narzissmus und ohne ausgestelltes Aussenseitertum, sondern als jemand, der sich bewusst seiner Umwelt (und somit auch seinem Publikum) aussetzt und umgekehrt bewusst auf diese Umgebung reagiert. Im Gegensatz zu all den schwätzerischen jungen Männern des sogenannten Mumblecore--Kinos, deren Welt zwangsläufig so klein ist wie ihr Blick auf sie, zeichnet die Arbeiten von Miranda July trotz ihrer Extravaganz und ihrer Bizarrerie eine Ernsthaftigkeit aus, mit der sie sich den grossen Fragen des Lebens stellt.

In ihrer grossartigen Ausstellung «The Hallway» (2008), bestehend aus fünfzig von Hand beschriebenen Tafeln, die abwechselnd von beiden Seiten in einen schmalen Gang ragen und den Besucher zu einer Art Slalom-Parcours zwingen, taucht einmal ein Schild mit folgender Inschrift auf: «The decision of your lifetime. Everything depends on this. There is a right and a wrong choice. (…) Don’t make an intellectual decision, it’ll be wrong. Just go this way or that way.» Doch kaum hat man sich entschieden, nach links oder nach rechts weiterzugehen, wartet hinter der nächsten Biegung die Überraschung: «Did you make the right choice? You’ll never really know. You can always wonder though, “Maybe I should have gone the other way.”» Denn selbst wenn man wie Jason die Meereswellen und die Zeit anhalten kann – im Gang des Lebens kann man sich nur für eine Zukunft entscheiden.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 8/2011 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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