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Ides of march 11

The Ides of March

Text: Michael Ranze / 07. Dez. 2011

Ein junger Mann spricht in einer grossen, leeren Halle, nur von einem Scheinwerfer beleuchtet, in ein Mikrofon: «If you don’t want to vote for someone with my positions, don’t vote for me. In fact, don’t vote for me at all.» Für einen Moment ist man als Zuschauer irritiert: Spricht so ein Gouverneur der Demokraten, der ins Weisse Haus gewählt werden will? Doch plötzlich gibt der junge Mann noch einige Anweisungen, macht ein paar dumme Witze, dreht sich um und verlässt die Halle: Dies ist gar nicht der von George Clooney verkörperte Präsidentschaftskandidat Mike Morris, der in der sogenannten «primary season» mit äusserst liberalen Ansichten über Abtreibung und Wohlfahrtsstaat die Vorwahlen in Ohio gewinnen will. Dies ist sein zweitwichtigster Mann: Presseagent und Politberater Stephen Meyers, der soeben den Soundcheck für eine TV-Debatte zwischen Morris und Senator Pullman, dem grössten Gegner, vorbereitet hat. Beide Kampagnen werden von erfahrenen, fülligen Männern geleitet. Paul Zara arbeitet für Morris, Tom Duffy für Pullman. Damit sind die Frontlinien gezogen. Stephen Meyers, von Ryan Gosling ähnlich konzentriert, aufmerksam und auf den Punkt gespielt wie seine Hauptfigur in drive, ist hingegen ganz anders: dreissig, drahtig, schnell, charmant, intelligent, entscheidungsfreudig. Kurzum: ein Macher. Dabei geht es ihm mehr um sich selbst und seine Karriere als um den Wahlgewinn von Morris. «He is fresh and everyone else is tired» hat jemand über John F. Kennedy im Vorwahlkampf 1960 geschrieben – ein Diktum, das sich ohne weiteres auf Stephen übertragen lässt. Doch dann macht er einen grossen Fehler: Er trifft sich heimlich mit Tom Duffy, der untrügliche Beweise hat, dass Morris’ Vorsprung dahinschwindet. Senator Thompson, ohne den in Ohio nichts gehe, werde mit seinen Stimmen Pullman unterstützen, nicht Morris.

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Ob Meyers dar-um nicht ins gegnerische Lager wechseln wolle? In seiner ersten Irritation beichtet der junge Mann Zara, seinem unmittelbaren Vorgesetzten, das Treffen – und wird prompt wegen Illoyalität gefeuert. Kompliziert wird die Angelegenheit noch durch Molly Stearns, eine zwanzigjährige Praktikantin, mit der Meyers ins Bett geht. Molly ist schwanger – allerdings von Morris. Mit einem Mal weiss der junge Mann, was zu tun ist.

The Ides of March entstand nach dem Off-Broadway-Stück «Farragut North» von Beau Willimon, der auch am Drehbuch mitschrieb. Es basiert lose auf der Wahlkampagne, die Howard Dean 2004 geführt hatte. George Clooney machte daraus einen packenden, realitätsnahen und hochaktuellen Film über traditionsbewusste Demokraten und ihre anachronistischen Wahlkämpfe, ähnlich wie es Franklin J. Schaffner in The best man, Michael Ritchie in The Candidate, Robert Altman in Tanner 88 und Mike Nichols in Primary Colors getan hatten. Republikaner oder die Tea Party tauchen hier gar nicht auf. Denn: Die Demokraten haben genug mit sich selbst zu tun, und einmal erklärt Zara ebenso treffend wie zynisch, warum sie gegen die disziplinierten und rücksichtslosen Republikaner keine Chance haben: «They’re afraid to get in the mud with the fucking elephants!» Deutlicher kann man die taktische Unzulänglichkeit der Demokraten nicht auf den Punkt bringen. Zu den Stärken des Drehbuchs zählt, wie sich hier persönliche Schwächen mit politischen Ambitionen mischen, wie der Sex – Bill Clinton lässt grüssen – Machtmenschen ein Bein stellt. In der amerikanischen Politik überlebt nur derjenige, der alle Tricks kennt und sie skrupellos anwendet, Kompromisse und Gegengeschäfte inklusive. Das spiegelt sich auch im Zynismus einer Reporterin der New York Times, die Stephen vor Morris warnt: «He’s a politician. He’ll let you down, sooner or later.» Dass sie dabei ihr eigenes Süppchen kocht und auch vor Erpressung nicht zurückschreckt, um an Informationen zu kommen, sei nur am Rande erwähnt.

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Clooney kennt sich aus mit den Mechanismen der Politik, weil sie auch immer etwas von Schauspielerei haben. Es geht ums Verkaufen von Inhalten, das Darstellen einer anderen Persönlichkeit, das Verführen der Öffentlichkeit, das Überzeugen von Unentschiedenen. Clooney schildert das in zahlreichen Vignetten: Händeschütteln, Reden halten, rhetorische Volten schlagen, Strippen ziehen, taktieren, integrieren. Zum Anwalt des Teufels, also der schillerndsten Figur des Films, wird dabei Tom Duffy. Hat er Meyers wirklich einen Job anbieten wollen? Oder war dieses Jobangebot nur ein nützliches Manöver in einem grösseren Zusammenhang?

The Ides of March ist nach Confessions of a Dangerous Mind, Good Night and Good Luck und Leatherheads der vierte Film von George Clooney als Regisseur, The American und The Men Who Stare at Goates hat er mitproduziert. Clooney scheint dabei ein Faible für Männer zu haben, die trotz ihrer Intelligenz und ihres Idealismus schwer unter Druck geraten. Manchmal, wie in Good Night and Good Luck, halten sie diesem Druck stand. Hier jedoch muss Morris, der zu Beginn des Films so sehr an sich glaubte und sich nie auf Deals mit Politikern wie Thompson eingelassen hätte, klein beigeben. Eine ebenso erschreckende wie deprimierende Erkenntnis – auch wenn sie nicht ganz neu ist und zu erwarten war.

Das letzte Bild des Films gehört denn auch nicht George Clooney, sondern Ryan Gosling. Wie zu Beginn des Films steht er vor einem Mikrofon, und die Intensität, die Bestimmtheit und die Kälte, mit der er in die Kamera blickt, hat etwas Beängstigendes. Diesen Mann sollte man nie unterschätzen.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 8/2011 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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