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Mein bester feind 05

Mein bester Feind

Text: Michael Ranze / 07. Dez. 2011

Wir befinden uns im Wien der dreissiger Jahre. Victor Kaufmann arbeitet in der Kunstgalerie seines Vaters, eines reichen Juden. Rudi Smekal hingegen ist “nur” der Sohn der Putzfrau der Kaufmanns. Ein Standesunterschied, der der Freundschaft der Männer zwar nie geschadet hat, den Rudi aber auch nicht übersehen kann. Man ahnt: Der junge Mann will seiner kleinbürgerlichen Herkunft entfliehen, und dann kommt endlich seine Chance: Hitler annektiert Österreich, Rudi tritt der NSDAP bei und steht plötzlich in SS-Uniform vor Victor. Eine Uniform, die ihm Macht und Bedrohlichkeit verleiht. Die Kaufmanns hingegen haben den richtigen Zeitpunkt zur Flucht verpasst und hängen in Wien fest. Schlimmer noch: Übermütig hat Victor Rudi verraten, dass sie eine waschechte Zeichnung von Michelangelo besitzen. Berlin wird hellhörig – die Zeichnung könne man doch Mussolini bei seinem nächsten Hauptstadtbesuch überreichen, als Festigung der Waffenbrüderschaft. Dummerweise ist das überreichte Kunstwerk eine Fälschung, dummerweise wurden die Kaufmanns zwischenzeitlich ins KZ verfrachtet, so dass man sie nicht befragen kann. Darum erhält Rudi den Auftrag, Victor per Propellerflugzeug zum Verhör nach Berlin zu überführen. Doch das Flugzeug stürzt ab, nur die ehemaligen Freunde überleben. Aber da ist Victor schon längst in Rudis Uniform geschlüpft …

Mein bester feind 01

Kleider machen Leute – das wusste bereits Gottfried Keller, und wie überlebensnotwendig das Tragen von Nazi-Uniformen sein kann, hat Ernst Lubitsch in to be or not to be vorzüglich bewiesen. Auch hier geht es ums nackte Überleben, um die Komik im Grauen, um das Spiel im Ernst, und weil der österreichische Regisseur Wolfgang Murnberger sich mit Komödien wie Komm, süsser Tod, Silentium und Der Knochenmann als Meister des schwarzen Humors erwies, ist man zunächst überrascht. Murnberger hat nämlich einen erstaunlich realistischen Ansatz gewählt: nie übertreibt er, nie geht er zu weit, das Drehbuch hat er von bereits geplantem Slapstick entschlackt. Fast unterläuft er ein wenig die Erwartung des Publikums, das auf eine überdrehte Satire wie Dani Levys Mein Führer gehofft hat. Murnberger spart die ständige Bedrohung durch die Nazis, den Terror und den Schrecken nicht aus. Nicht einmal Rudi kann sich auf Absprachen verlassen – mehr als einmal überschätzt er seinen Einfluss und gefährdet sich selbst. Eine eigentümliche Beunruhigung legt sich so über den Film: Auch wer dazu gehört, kann sich niemals sicher sein.

Mein bester feind 06

Wie bei Lubitsch führt auch hier das Wechseln der Uniformen und mit ihnen der Identität zu einem reizvollen Spiel zwischen Schein und Realität. Doch weil Victor kein Schauspieler ist, muss er – im Gegensatz zum Ehepaar Tura aus To Be or Not To Be – seine Rolle als SS-Mann erst noch einüben, er muss, wie Murnberger in einem Interview gesteht, «erst noch in die Uniform hineinwachsen». Ein kluger Schachzug von Drehbuchautor Paul Hengge, mit dem er gleichzeitig Hitchcockschen Suspense einführt: Ständig droht die Aufdeckung Victors. Sehr viel komischer hingegen Rudis verzweifelte Versuche, in gestreiften KZ-Lumpen, die einer Uniform ähnlich auch Zugehörigkeit signalisieren, seine Kameraden davon zu überzeugen, dass er kein Jude ist. Murnberger und Hengge treiben ihre Prämisse noch ein wenig weiter und halten trotzdem, nicht zuletzt wegen des präzisen Spiels der Schauspieler, bewundernswert das Gleichgewicht. Am Schluss, der Krieg ist längst vorbei, gibt es noch einmal eine Maskerade, einen Mummenschanz, einen Tausch von Original und Fälschung. Ein Tausch, der die Unversöhnlichkeit von Victor und Rudi manifestiert. Sie werden keine Freunde mehr werden.

Mein bester feind 02

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 8/2011 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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