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Bouton

Bouton von Res Balzli ist ein aussergewöhnlicher Film. Eine subtile Gratwanderung von seltener Schönheit, die man keineswegs tröstlich nennen mag, aber auch nicht deprimierend. Er bewegt sich gleichermassen auf Augenhöhe mit dem Leben und mit dem Tod.

Text: Martin Walder / 13. Apr. 2011

Eine Schweizer Winterlandschaft. Drei junge Frauen intonieren hauchzart chromatisch pulsierende Akkorde. Am Strassenrand, halb eingeschneit vor einem Baum, eine jener rührend verspielten Installationen von Memorabilien, wie sie auf einen Verkehrsunfall an der Stelle hindeuten. «C’est quoi ces trucs là?», fragt eine kindliche Stimme aus dem Off, und eine Frauenstimme antwortet einem Wesen, das sie Bouton nennt, jemand sei gestorben. Beide Stimmen gehören der Marionettenspielerin Johana Bory, ihr selber – und verfremdet einem Naseweis aus gelbem Stoff mit einer grossen Maulklappe, der aus Johanas Bauch redet. Sie selber ist da schon tot.

Mit Bouton zog die Puppenspielerin, gebürtige Französin und in Biel wohnhaft, durch die Lande. Gestorben ist sie am 15. März im vergangenen Jahr, nicht als Opfer eines Unfalls, sondern zuhause, an Krebs. Von ihrer letzten Zeit erzählt Bouton, entstanden aus dem Wunsch, «einmal im Leben noch in einem Film zu spielen». Ohne ihre Krankheit, sagt sie da leuchtend mit letzten Kräften, wäre es zu dem Film nie gekommen. Gesehen hat sie diesen nicht mehr, nur Rushes.

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Es wird zurzeit viel gestorben im Schweizer Film, und die Werke von Spielfilm-Regisseurinnen wie Léa Pool (La dernière fugue) und Sophie Heldman (Satte Farben vor Schwarz) rufen unerbittlich in Erinnerung, wie schwer es ist, dem Thema filmisch auf Augenhöhe zu begegnen. Anderseits ist dem Spitalfilm Stationspiraten von Michael Schaerer auf respekterheischende Weise das Kunststück gelungen, einem Film über krebskranke Buben so viel Kinoleben wie möglich abzutrotzen, ohne wohlfeil nach dem Publikum zu schielen.

Bouton von Res Balzli ist ein aussergewöhnlicher Film. Eine subtile Gratwanderung von seltener Schönheit, die man keineswegs tröstlich nennen mag, aber auch nicht deprimierend. Er bewegt sich gleichermassen auf Augenhöhe mit dem Leben und mit dem Tod. Zumindest gestalterisch; geistig kann man mit dem Tod ja nie auf Augenhöhe sein. Auch dies spricht Bouton an, lässt weder die Angst noch die Schmerzen aus, noch die durch diesen Tod kalt auf den Kopf gestellte Logik der Natur und ihres Generationenzyklus, dass
eine blühende junge Frau mit Dreiunddreissig sterben muss.

Ein Dokumentarfilm also? Etiketten bringen einen hier nicht weiter. Bouton dokumentiert eine eigene, künstlerische Auseinandersetzung mit dem Leben und Sterben und ist insofern inszeniert. Johana erklärt Bouton in einem ihrer kleinen Sketches, dass sie krank sei und vielleicht einmal nicht mehr da, und Bouton, ihr Geschöpf, weiss, dass auch er dann nicht mehr würde leben können. Dank Bouton kann die Kranke spielerisch in einen Dialog mit sich selber treten – Puppenspiel als Methode, den Schrecken und auch den Schmerz für Momente schöpferisch zu bannen; so changieren Performance und Therapie, Fiktion und Authentizität ineinander.

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Johana Bory stellt sich selber dar, ohne der Selbstdarstellung zu verfallen; man kann dies nicht hoch genug würdigen. Ihr Spiel schafft nicht falsche Nähe, ihm gelingt im Gegenteil ruhige teilnehmende Distanz. Es ist todernst, bleibt aber Spiel auf einer (Lebens-)Bühne, in dem auch einiger Humor Platz hat. Johana erklärt Bouton ihre Krankheit, und der kleine Kerl antwortet, er habe dafür Schnupfen. Und überdies hoffe er, sie bekomme nie Zwillinge, da doch die eine Brust nie mehr Milch geben könne.

Drohenden Voyeurismus zu bannen, Nähe durch Distanz hat der Regisseur Res Balzli als Prinzip auf den ganzen Film übertragen. Die Diskretion des Blicks ist ihm in der Art seiner Bildkomposition von gerahmten Räumen eigen. Die Kranke in ihrem Bett wirkt durch Türausschnitte hindurch ebenso nahe und präsent wie dem intimsten Blick entrückt. Dasselbe gilt für die kleinformatigen in den Film einmontierten Videoausschnitte ihres Lebenspartners, welche die beiden im privaten Gespräch im Bett oder im Selbstgespräch zeigen. Mehr und mehr muss sich der Film in der letzten Lebensphase Johanas zurücknehmen, muss und will den nächsten Angehörigen, Vater, Mutter, ihren Platz lassen. Und der Tod selber wird im Bild ausgespart: Der Lebensgefährte, der als Spitalclown arbeitet, sitzt schweigend in einer nüchternen Garderobe, und wir wissen Bescheid; als Erinnerung sehen wir Johanas letzten Auftritt mit Bouton, bei dem sie sich kaum mehr vom Boden erheben konnte.

An den drei Vokalistinnen des Trio vocal Nørn, die mit raffiniert schönen Klangwelten den Film tragen, scheiden sich bei Bouton offenbar die Geister, zumal sie als Akteurinnen – als die drei Nornen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – Johanas Weg begleiten, da und dort szenisch kommentieren und dann in einem wirklich gewagten Schlussbild den Sarg mit sanftem Ruderschlag aus dem Film gleiten lassen. Nicht jedermanns Sache. Aber auch hier gälte zu rühmen, wie die wunderschön filigranen und wie in die Luft gestochenen vokalen Kompositionen sich exakt und stimmig in den Rahmen des Bildes fügen, dem Atem des Filmes (zumindest in der längeren Kinoversion) voll und ganz entsprechen.

Dies ist vielleicht das Schönste, was dem erstmals als Regisseur arbeitenden Produzenten Res Balzli in dieser Meditation über das Sterben gelungen ist: ihr sanfter, aber nie verhauchter, sondern klarer Atem. Dieter Fahrers Gespür an der Kamera für Präsenz und Wirkung des Bilds trägt das Seine dazu bei, und vor allem auch Loredana Cristellis unfehlbare Sensibilität in der Montage, die jeder Einstellung genau den Wert, die Zeit und das Gewicht im Erzählfluss gibt, das Johana Bory, Bouton – und wir Zuschauer – brauchen.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/2011 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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