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Nom des gens 03

Le nom des gens

Die Handlung von Le nom des gens lässt sich mit gleichem Recht als Liebes- wie als Politkomödie nacherzählen. Beide Leidenschaften sind unauflöslich miteinander verknüpft. Leclerc und seine Co-Autorin Baya Kasmi erzählen die Liebesgeschichte als zweifache politische Biografie.

Text: Gerhard Midding / 13. Apr. 2011

Es hätte gründlich schiefgehen können, der Auftritt hätte leicht als blosser Publicity-Gag durchschaubar sein können. Aber dann ist doch ein kleiner, magischer Kinomoment daraus geworden. Arthurs Geburtstagsfeier ist alles andere als harmonisch verlaufen. Seine Eltern und die seiner Freundin Bahia sind heftig in Streit geraten. Ihre Herkunft ist zu gegensätzlich. Aber dann wendet Bahia den Abend doch noch zu einem glücklichen Ende. Kaum sind die Elternpaare gegangen, da präsentiert sie mit Lionel Jospin einen Überraschungsgast.

Der ehemalige französische Regierungschef spielt, gut aufgelegt, sich selbst. Arthur ist einer seiner wackersten Anhänger. Bahia hätte ihm kaum ein schöneres Geschenk machen können. Natürlich kann der Gast nicht umhin, auch über Politik zu sprechen. Aber dann spricht er über Privates: Sein Familienname, erläutert er, stamme aus Flandern. Was der Name über die Herkunft eines Menschen offenbaren oder verbergen kann, ist ein Thema, das Michel Leclercs zweiter Langfilm schon in seinem Titel anspricht. Bahia liesse auf brasilianische Wurzeln schliessen. Ihr Nachname lautet jedoch Benmahmoud, denn ihre Mutter hat einen algerischen Einwanderer geheiratet. Arthur Martin hingegen ist mit einem Allerweltsnamen geschlagen, der jeden Franzosen über Dreissig an die gleichnamige Firma für Küchengeräte erinnert. Dass seine Grosseltern griechische Juden waren, die während der Okkupation deportiert wurden, verrät sein Name nicht.

Das Geschenk, das Bahia ihm zum Geburtstag macht, ist eine grosszügige, respektvolle Geste. Es erzählt über den Beschenkten ebensoviel wie über die Schenkende: Der Jospinsche Besetzungscoup gemahnt daran, dass man für politische Überzeugungen mit seiner Person eintreten muss. Das Geschenk entbehrt freilich nicht der Romantik: Es verrät den Glauben an ungekannte Möglichkeiten. Seit La nouvelle eve von Catherine Corsini hat keine französische Komödie derart beharrlich die Erotik des politischen Engagements gefeiert wie dieser Film.

Nom des gens 04

Die Handlung von Le nom des gens lässt sich mit gleichem Recht als Liebes- wie als Politkomödie nacherzählen. Beide Leidenschaften sind unauflöslich miteinander verknüpft. Der Film folgt einerseits der gutgeölten Mechanik einer screwball comedy: Ein schüchterner, reservierter Wissenschaftler, für den das Leben in lauter engen Grenzen verläuft, trifft auf eine etwas überspannte Frau, die diese Grenzen freizügig und unternehmungslustig überschreitet. Die ehernen Gesetze der romantischen Komödie sähen eigentlich vor, dass Arthur und Bahia Antagonisten sein müssen; in der Liebe wie in der Politik. Le nom des gens genügt es jedoch bereits, dass sie gegensätzliche Temperamente sind. Allzu deutlich gibt der Film sich hier mitunter als Hommage an Woody Allens Annie Hall zu erkennen (wo er thematisch doch Sydney Pollacks The Way We Were viel näher steht!). Dankenswerterweise vermeidet er die schematische Opposition zwischen Links und Rechts: Die Komik nistet in den Nuancen, schlägt Funken aus den unterschiedlichen Graden politischer Hingabe.

Leclerc und seine Co-Autorin Baya Kasmi erzählen die Liebesgeschichte als zweifache politische Biografie. Übergeordnete Ereignisse setzen sie als deren Wegmarken und verwenden aktuelle Konflikte sowie historische Traumata als dramaturgisches Unterfutter. Es zahlt sich aus, dass sie das Drehbuch vierhändig geschrieben haben. Es kokettiert mit dem zweifach Autobiographischen, ist angereichert mit zahlreichen Anekdoten aus ihrem jeweiligen familiären Hintergrund. Die doppelte Perspektive setzt die Hauptfiguren in gleiches Recht. Dieser Geschlechterkrieg wird nicht durch Siege entschieden, sondern durch die Annäherung, den wechselseitigen Lernprozess.

Nom des gens 01

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/2011 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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