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Potiche 11

Potiche

Manchmal kommt man einem Film auf die Spur, indem man sich ihm von der anderen Seite nähert: von der der Rezeption. Sie macht zum Beispiel deutlich, wie sehr François Ozon die Wahrnehmung seiner Filme zu steuern versteht.

Text: Michael Pekler / 13. Apr. 2011

Manchmal kommt man einem Film auf die Spur, indem man sich ihm von der anderen Seite nähert: von der der Rezeption. Wie sehr zum Beispiel François Ozon die Wahrnehmung seiner Filme zu steuern versteht, merkt man daran, dass seit seiner Erstaufführung beim Filmfestival von Venedig im vergangenen Herbst über Potiche kein Text geschrieben wurde, in dem folgende Szene nicht erwähnt worden wäre: Während knallige, rotgelbe Titel die Namen der Hauptdarsteller ankündigen, sieht man Catherine Deneuve mit einem ebenso knallroten Adidas-Trainingsanzug und einem lustig wippenden Haarnetz beim morgendlichen Waldlauf. Unterdessen teilt sich die Leinwand in mehrere Bildausschnitte, die Stimmung und Szenerie einfangen: Frühnebel hängt noch zwischen den Bäumen, aber ein herrlicher Sonnentag kündigt sich bereits an. Unterdessen arbeitet sich die Kamera langsam über eine Grossaufnahme weisser Turnschuhe an ihre Hauptdarstellerin heran. Noch ein Crescendo der beschwingt gefälligen Musik, und endlich sieht man die Deneuve von vorne. Jetzt purzeln auch die Lettern des Titels wie vom Himmel auf die Leinwand. Der Höhepunkt dieser Ouvertüre – eine Szene mit entzückenden Waldtieren und entsprechend entzückten Ausrufen – braucht erst gar nicht beschrieben zu werden. Wenn Deneuve am Ende des Prologs in die Einfahrt eines Herrschaftshauses einbiegt, ist man auch so längst Teil dieses Mikrokosmos geworden: «Sainte-Gudule. Printemps 1977».

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Diese Fertigkeit, sich mit wenigen, ausgesuchten Bildern auf einprägsame Weise Räume und Zeiten anzueignen, beherrscht François Ozon seit Jahren derart hervorragend, dass sie längst charakteristisches Merkmal seiner Arbeiten geworden ist. Nicht nur für die Filme im für ihn typischen Retro-Look wie 8 femmes oder Gouttes d’eau sur pierres brûlantes, sondern auch für Melodramen wie Sous le sable oder einem Kostümfilm wie Angel. In Potiche etwa genügen ein Vorspann mit charakteristischer Typographie, satte Farben und stilistische Verspieltheiten – und schon hat man als Zuseher eine nostalgische Heimat für die kommenden zwei Stunden gefunden. Ist auch Deneuve zuhause angekommen und hat man sich am Accessoire der Siebzigerjahre in Küche und Wohnzimmer satt gesehen, trällert sie als Draufgabe noch zu «Emmène-moi danser ce soir» von Michèle Torr.

Es sind bis ins Detail kalkulierte Filme, die als selbstreferentielle Systeme ebenso funktionieren wie als Hommage an bestimmte Genres oder – durch den Einsatz alternder Starschauspielerinnen wie Catherine Deneuve und Charlotte Rampling – an eine vergangene Ära des französischen Kinos. Sei es ein Kammerspiel wie 8 femmes oder ein rückwärts erzähltes Beziehungsdrama wie 5 x 2: François Ozon ist sich der Wirkung seiner Arbeiten für ein bestimmtes Publikum sehr bewusst, und er sucht und erlangt diese Wirkung immer wieder in ausgewählten Momenten.

Dieses postmoderne Spiel zeitigt mittlerweile natürlich auch Verweise aufs eigene Werk, das nicht nur durch Schauspielerinnen wie Deneuve und Rampling (in Swimming Pool und Sous le sable) auffallend verknüpft wird, sondern auch durch einzelne Einstellungen: Gibt die Kamera in Swimming Pool langsam den Blick von der Themse frei auf ein dunkelgraues London, senkt sie sich in Sous le sable von einer wolkenlosen Stadtansicht von Paris hinab in die Seine. Oder dieses Spiel dreht sich um scheinbare Nichtigkeiten wie ein liebliches Reh, das man vor dem verschneiten Haus in 8 femmes ebenso bestaunen kann wie am Beginn von Potiche.

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Überhaupt zeigen diese beiden Filme einige Gemeinsamkeiten: Wie 8 femmes, Ozons in den Fünfzigerjahren angesiedelte Kriminalkomödie, spielt auch Potiche im grossbürgerlichen Milieu und basiert ebenfalls auf einem Bühnenstück, und zwar auf der gleichnamigen Boulevardkomödie des Autorenduos Pierre Barillet und Jean-Pierre Grédy aus dem Jahr 1980 (die Ozon also um drei Jahre zurückverlegt, so wie er auch 8 femmes um ein paar Jahre weiter in die Vergangenheit gerückt hat). Bezog 8 femmes seine Stärke jedoch aus einem (fast) gleichwertig agierenden Ensemble der acht Frauen, steht und wirkt im Mittelpunkt von Potiche Catherine Deneuve als Suzanne Pujol, eine in die Jahre gekommene Industriellengattin, die, wenn sie nicht gerade ihren Morgenlauf absolviert, schlechte Verse in ein Notizbüchlein schreibt. Sie hat sich ganz in ihre Rolle als Mutter zweier erwachsener Kinder und als Schmuckstück («la potiche») des Hauses gefügt, während sie von ihrem Mann Robert, der die Regenschirmfabrik ihres Vaters übernommen hat, mit dessen Sekretärin betrogen wird. Nicht trotzdem, sondern gerade deshalb hat sie beschlossen, glücklich zu sein.

Ganz im Geist der Theatralik der Vorlage sind die Figuren – von Charakteren kann hier nicht die Rede sein – und Schauplätze schnell eingeführt, gibt eine schwungvolle Dynamik das Tempo vor und ergibt buchstäblich ein Wort das andere. Doch diesmal verharrt Ozon nicht bei einer Typenkomödie, sondern skizziert eine Entfaltung seiner Hauptfigur: Nachdem Monsieur Pujol die Forderungen der streikenden Arbeiter kategorisch ablehnt, geben ihm schliesslich die Drohungen des kommunistischen Bürgermeisters Babin den Rest. Der herzkranke Hysteriker verlässt vorübergehend die Bühne Richtung Krankenhaus, und die Stunde von Madame Pujol hat geschlagen. Mit Stola und Schmuck behängt («Zur Ehre der Arbeiter – ohne sie hätte ich ihn nicht») tritt sie dem revolutionären Betriebsrat entgegen und schafft es tatsächlich innerhalb kürzester Zeit, nicht nur sozialpartnerschaftlichen Frieden einkehren zu lassen, sondern auch Tochter und Sohn ins Firmenboot zu holen. Dass die Rolle Babins sich nicht nur auf die des Vermittlers zwischen neuer Chefin und Belegschaft beschränkt, liegt daran, dass er und Madame sich schon früher bei einer Wagenpanne klassenüberschreitend näher gekommen sind. Diese Ausgangslage bereichern innerfamiliäre Lagerbildungen, drohender Inzest aufgrund weiterer Jugendsünden und ein von Ozon zusätzlich geschriebener letzter Akt, in dem Madame Pujol nach der Rückkehr des Mannes und dem Kampf um die Firma eine zweite Karriere in der Politik startet. Ein Epilog, der den Film erst zu jener emanzipatorischen Komödie macht, als die er sein Publikum finden soll. Das Plakatsujet mit Deneuve im Trainingsanzug passt hier nur zu gut, weil es die beabsichtigte Wirkung und den zu erwartenden Werdegang dieser Frau auf dieses eine Bild komprimiert.

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All das entspricht einer mehrfachen Aneignung: Während die literarische Gattung der Boulevardkomödie den Boden aufbereitet (und Pierre Barrillet bei der Adaptierung konsultierend zur Verfügung stand), greift Ozon zugleich auf die kollektive Erinnerung an Filme der Sechziger- und Siebzigerjahre etwa von Jean Girault und Claude Zidi zurück (nicht zufällig erinnert der exaltierte Fabrice Luchini an Louis de Funès). Selbstverständlich fehlt auch nicht die eine oder andere filmische Reverenz an Jacques Demys Les parapluies de Cherbourg. «Ozon hat etwas von einem Schmetterlingssammler, dessen leidenschaftliche Bewunderung für die Objekte seiner Begierde einhergeht mit einer gemeinen Lust am Aufspiessen», hat Ralph Eue in seiner Besprechung von 8 femmes (Filmbulletin 2.02) geschrieben. Das muss zwangsweise mit einer Schönheit und Wiedererkennbarkeit der Objekte für die einhergehen, denen er seine Sammlung präsentieren möchte: uns. Was wiederum schön zum letzten Bild von potiche passt: Nach ihrer Dankesrede an die Wählerschaft, die zukünftige Erfolge eher verhindern dürfte («Es ist an der Zeit, dass die Frauen an die Macht zurückkehren. Es ist an der Zeit, zum Matriarchat zurückzukehren»), verlässt Suzanne Pujol das Podium und nimmt ein Bad in der Menge. Und plötzlich, während sie Jean Ferrats «C’est beau la vie» singt, nimmt auch die Kamera Fahrt auf und macht ihr den Weg frei – bis die Bewegung im letzten Bild zu einem Freeze Frame einfriert. Dann steht sie da wie ein schöner, aufgespiesster Schmetterling.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/2011 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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