Filmbulletin Print Logo
Tambien la lluvia 03

Tambien la lluvia

Filme, die sich mit dem Entstehungsprozess von Filmen beschäftigen, unterliegen bestimmten dramaturgischen Gesetzmässigkeiten und bilden damit fast schon ein eigenes Genre. Seit den siebziger Jahren geht es dabei häufig um den Zusammenprall zweier Kulturen, das Eindringen Fremder in traditionelle soziale Zusammenhänge – auch in Tambien la lluvia.

Text: Daniela Sannwald / 18. Mai 2011

Filme, die sich mit dem Entstehungsprozess von Filmen beschäftigen, unterliegen bestimmten dramaturgischen Gesetzmässigkeiten und bilden damit fast schon ein eigenes Genre. Seit den siebziger Jahren geht es dabei häufig auch um den Zusammenprall zweier Kulturen, um das Eindringen Fremder in traditionelle soziale Zusammenhänge mit eigenen ökonomischen Gesetzen und um den Widerstand, der den Eindringlingen entgegenschlägt. Berühmte Beispiele sind Rainer Werner Fassbinders Warnung vor einer heiligen Nutte (1970) und Wim Wenders’ Der Stand der Dinge (1982); und auch wenn Werner Herzogs Fitzcarraldo (1982) nicht von Dreharbeiten, sondern von der Errichtung eines Opernhauses im Dschungel erzählt, so weist der auf der diesjährigen Berlinale uraufgeführte spanische Spielfilm Tambien la lluvia deutliche Parallelen zu jenem auf, zumindest was die Produktionsgeschichte betrifft.

Der culture clash wird vom ersten Moment an thematisiert. Da castet eine spanische Produktionsfirma Statisten in einer bolivianischen Kleinstadt, aber es sind so viele gekommen, dass der Regisseur und seine Assistenten völlig überfordert sind; es ist einfach nicht möglich, sie alle vorspielen zu lassen, wie es ein Aufruf in den lokalen Medien versprochen hatte. Entnervt versucht man, sie nach Hause zu schicken, aber der indigene Daniel, der mit seiner kleinen Tochter von weither gekommen ist, protestiert lautstark, besteht darauf, dass alle ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen dürfen. Produzent und Regisseur gehen darauf ein, denn schon schart Daniel Sympathisanten um sich.

Tambien la lluvia 04

Gedreht wird ein Film über Christoph Kolumbus, und der junge, politisch engagierte Regisseur Sebastián möchte zeigen, welchen Preis die spanische Weltherrschaft vor 500 Jahren gekostet hat: die grausame Unterjochung der Bevölkerung in den Kolonien, die Ausbeutung der Ressourcen und die Kollaboration der katholischen Kirche. Er gibt Daniel die Rolle eines widerständigen Indio-Häuptlings, auch wenn sein Produzent und bester Freund Costa Bedenken hat, da ihm Daniel nach seinem Auftritt beim Casting nicht geheuer ist.

Tatsächlich erweisen sich seine Sorgen als berechtigt. Daniel wird nicht nur zum Sprecher der indianischen Darsteller im Film, sondern engagiert sich auch in den Unruhen, die plötzlich im Ort ausbrechen, weil die Wasserversorgung privatisiert werden soll. Die auf realen Vorfällen, dem Wasserkrieg von Cochabamba im Jahr 2000, beruhenden Ereignisse wirken sich zunehmend auf die Dreharbeiten aus. Regisseur, Produzent und die aus Spanien angereisten Schauspieler und Stabmitglieder müssen Stellung beziehen.

Die von der spanischen Regisseurin Iciar Bollain inszenierte mexikanisch-spanisch-französische Koproduktion ist von der ersten Minute an spannend. Bollain hat ihre Karriere als Schauspielerin begonnen und ist für ihre sozialkritischen Regiearbeiten, etwa Flores de otro mundo (1999), bereits mehrfach mit Preisen bedacht worden. Ihre Kunst besteht darin, Sozialkritik nicht als Lehrstück, sondern als Entertainment zu präsentieren, ohne dass ihrem Gegenstand dadurch die Brisanz genommen würde.

Immer wieder lässt Bollain die Europäer an den ihnen unbekannten bolivianischen Gepflogenheiten scheitern, und damit thematisiert sie die Naivität des Filmteams, die jener der einstigen Kolonisatoren gar nicht unähnlich ist. Während die Kolonisatoren vor 500 Jahren mit Gewalt versuchten, ihr Ziel zu erreichen, probieren es die Filmleute mit Geld. Die Haltung gegenüber der einheimischen Bevölkerung unterscheidet sich dabei kaum: Es wird nicht einmal ansatzweise versucht zu verstehen, was sie umtreibt, aufreibt und aufregt.

Tambien la lluvia 01

In einer eindrucksvollen Szene soll eine Gruppe von Statistinnen, junge Mütter, die mit ihren Kindern zusammen besetzt wurden, ihre Babys ertränken, damit sie den Kolonisatoren nicht in die Hände fallen. Die Frauen weigern sich. Die Versicherungen des Regisseurs, dass den Kindern natürlich nichts geschähe, nützen nichts. Sie wollen die Szene einfach nicht spielen, da sie ihnen zu nahe geht. Oder ein Empfang beim Bürgermeister während der Unruhen um die Wasserversorgung: Draussen finden Strassenschlachten statt, in den im diffusen Dämmerlicht liegenden Innenräumen des Rathauses werden Häppchen und Wein gereicht, und der Lokalpolitiker, offenbar mit den ausländischen Käufern der Wasserbetriebe im Bunde, sinniert ob der Klagen der Filmleute süffisant: «Haben wir nicht alle ein kleines Budget?»

Die europäischen Protagonisten des Films, der Produzent Costa und der Regisseur Sebastián verändern ihre Haltungen im Verlauf des Films. Das Engagement Sebastiáns erweist sich, geprüft auf seine Realitätstauglichkeit, als wenig glaubwürdig, während Costa, dessen vordringliche Aufgabe es eigentlich ist, aufs Budget zu achten, plötzlich Empathie für die Einheimischen entwickelt. Als es darauf ankommt, ist er der Einzige, der nicht nach Spanien zurückfliegt, sondern seine Ressourcen in den Dienst der um ihre Lebensgrundlage kämpfenden Bevölkerung stellt.

Der Schauspieler Juan Carlos Aduviri, im April zu Gast auf dem Istanbuler Filmfest, wo Tambien la lluvia ebenfalls gezeigt wurde, berichtete dort, dass der internationale Erfolg des Films in Bolivien eine Diskussion darüber angestossen habe, warum nicht einheimische Filmemacher die Geschichte der Wasserkriege von Cochabamba erzählt hätten, oder eigentlich, warum eine bolivianische Filmproduktion wegen fehlender Finanzierung praktisch nicht existent ist. Um seine eigene Zukunft als Darsteller braucht er sich freilich keine Sorgen zu machen.

Tambien la lluvia 02

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 4/2011 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

Weitere Empfehlungen

Kino

23. Jan. 2013

Post Tenebras Lux

Die Rührung kommt überraschend, erst gegen Schluss. Nach der erwarteten Gewalt, nach beklemmenden Gehässigkeiten, bilderwirrigen Irrfahrten, verstörenden Brüchen. Von Anfang an war er uns suspekt, dieser Juan mit seinem Dreitagebart.

Kino

23. Apr. 2014

Los insólitos peces gatos

Wie sich die isoliert lebende Familie auf den Tod der immer heiteren Mutter vorbereitet, erzählt Sainte-Luce nicht frei von Pathos: Vor allem Marthas Vermächtnis, kleine Abschiedsbriefe an alle ihre Kinder inklusive Claudia, sind rührselig. Aber meistens konzentriert sich die Regisseurin auf die kleinen Routinen und unverhofften Zärtlichkeiten des Alltags.