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The Tree of Life

In Days of Heaven liess Terrence Malick seine kleine Erzählerin über ihre Zukunft sinnen: Ein «ErdeDoktor» könnte sie werden und die Erde untersuchen. Eben das ist es, was dieser gewaltige Solitär unter den Filmemachern in seinen bisher nur fünf Filmen selber stets getan hat und noch immer tut. In The Tree of Life wie nie zuvor.

Text: Martin Walder / 18. Mai 2011

Vor über dreissig Jahren, in Days of Heaven, hat Terrence Malick seine altkluge kleine Erzählerin der Geschichte in den unendlichen Weizenfeldern von Texas über ihre Zukunft sinnen lassen: Ein «ErdeDoktor» könnte sie werden und die Erde untersuchen. Es ist, was auch dieser 68-jährige gewaltige Solitär unter den Filmemachern in seinen bisher nur fünf Filmen stets getan hat und, nun mit
ultimativer Geste, noch immer tut. Doch kann die Erde nicht untersuchen, wer nicht gleichzeitig den Himmel erforscht. Die ganze unfassbar schöne Schöpfung, wie sie sich letzten Endes auch in der überwältigenden visuellen Kraft seiner Filme manifestieren soll, ist das Thema des studierten Philosophen aus Harvard. In The Tree of Life wie nie zuvor.

Keinen Aufwand scheut Malick, der Künstler, die Schöpfung fürs Kino zu gewinnen. Bis zur Gefährdung grossartig gewollt ist das, mit dem Risiko, dass die Vision von Menschen und Monden, Blüten und Sonnen, Gräsern und Himmeln, von Insekten und Fluten, Samenfäden und Lavaströmen zurück ins Illustrative zu kippen droht. So etwas wie «Die Welt, in der wir leben», grossformatiges Patengeschenk meiner Generation, als Film, nur inzwischen auf dem letzten digitalen Stand der Kunst. Aber wie auch immer: Terrence Malicks visuelle Evokationen der Natur sind Filmgeschichte. Unübertroffen wohl noch immer in Nestor Almendros’ Bildern der Days of Heaven, eher behauptet denn wirklich heraufbeschworen im Pocahontas-Film The New World, am schmerzhaftesten aber in The Thin Red Line, wo in einer Schlüsselschlacht des Zweiten Weltkriegs um die pazifische Salomonen-Insel Guadalcanal mit den Körpern der Soldaten das Innerste und Kostbarste der Natur zerfetzt wird, in die der Film gleichzeitig so trügerisch idyllisch eintaucht.

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Jenseits der magistralen filmischen Einbildungskraft und Montagen ist es wohl diese Empfindung von Schmerz ob all der Schönheit, die das Bild vom drohenden Ewigkeitsraunen rettet. Woher rührt dieser Schmerz? Er ist tief und soll uns ständig an das erinnern, was sich für Malick seit der Gangsterballade seines legendären Erstlings Badlands wie ein klaffender Riss durch die Schöpfung zieht: das Übel. Dieses tritt nicht erst mit dem Sündenfall in die Welt, immer war es in der Eigennützigkeit der Natur schon vorgesehen. Das Paradies himmlischer Tage, der days of heaven, wäre dann auf Erden allenfalls noch durch Lug und Trug vorübergehend zu erschwindeln. Oder es zieht sich in Malicks wohl bestem Film im mörderischen Artilleriefeuer entlang der thin red line des Kriegs ganz in letzte seelische Halluzinationen zurück.

Oder aber es ist durch den Glauben an Gnade und demütige Versöhnung mit der Existenz zu erahnen, wie es nun nach jahrelanger Inkubationszeit The Tree of Life predigt. Ja, predigt, das Wort ist hier nicht zu umgehen. Es sind die hohen Fragen und Repliken aus dem Buch Hiob, die durch diesen Film flüstern, der viel mehr gigantisches Poem als Epos, geschweige denn Drama ist (Malicks Filme sind nie Dramen). «Wo warst Du, als ich die Erde gründete?» fragt der alttestamentarische Gott den leidenden Menschen rhetorisch mit seinem unbedingten Machtanspruch (Hiob 38, 4) und stellt die Grössenverhältnisse erst einmal klar. Die Frage ist als Motto dem Film vorangestellt. Und des Menschen Antwort darauf kann auf ewig nur eine sehr kleinlaute Frage sein: «Herr, was sind wir für Dich?», «Wie soll ich rechtschaffen sein, wenn Du es nicht bist?»

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Der sich der Frage der Theodizee, der Rechtfertigung des guten Gottes angesichts seiner problematischen Schöpfung, stellt und – wenn man das als roten Erzählfaden festmachen wollte – eine läuternde Flutwelle an Erinnerungsfetzen und Schöpfungsphantasmagorien in seinem Kopf auslöst, heisst Jack. Ein im Film optisch eher marginal auftretender Einsamer in der Chefetage irgendeines himmelhohen Glaspalastes im texanisch urbanen Heute. Verkörpert wird er von Sean Penn, in dessen kantig zerfurchtem Gesicht alle Skepsis dieser Welt misanthropisch eingeschrieben scheint. Reden tut er kaum etwas. Es ist eher seine halblaut zu sich selber sprechende Stimme aus dem Off, die uns die Empfänglichkeit für die Akzeptanz seines Schicksals verrät. Ein mit neunzehn Jahren verstorbener Bruder und eine engelsgleich (oder madonnenhaft?) leidende Mutter haben sich als die Leitfiguren der Hoffnung in seinem Wesen festgesetzt. Dessen Formung aus einem hypersensiblen, unter der gnadenlos liebenden väterlichen Autorität leidenden Knaben evoziert der Film in Rückblenden auf eine Kindheit im Texas der fünfziger Jahre.Aber was heisst hier Rückblenden? The Tree of Life spannt den grösstmöglichen erdgeschichtlichen Horizont auf und blendet nicht weniger als eine kinematografische Kreation der Welt aus der kosmischen Ursuppe und die individuelle Schöpfung des Menschen in einem einzigen Strom übereinander und ineinander. Bis der Planet eines fernen Tages wieder kalt und schwarz durch das Universum rotieren wird. Elliptisches Erzählen muss da zwangsläufig zum Prinzip werden. Meisterlich, wie Terrence Malick auf der Ebene der Familiengeschichte der O’Briens Erinnerung konstruiert, wie er Jacks Kindheit mit seinen Brüdern aus lauter Erzählfetzen zu einem schillernden, nie ganz fassbaren Bild gerinnen lässt. Flüchtig sind diese Bilder und auf unserer Netzhaut zugleich wie unter dem Brennglas entzündet.

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Ein Beispiel nur: Als der Postbote die Nachricht vom (nicht weiter erklärten) Tod des einen Sohnes überbringt, reisst mit der seelischen auch narrativ jede äusserliche Kontinuität auf: Das Erstarren der Mutter im Schock, ihr Fliehen an Ort in den so schönen eigenen vier Wänden ins Nichtwahrhabenwollen, der schreckliche Telefonanruf an den fernen Vater im ohrenbetäubenden Propellerlärm eines Flugzeugs auf dem Rollfeld, der sich in dem Masse qualvoll bis in die Totenstille ausblendet, als die Nachricht in sein Bewusstsein sickert – all dies fesselt der Film in einer assoziativ unbarmherzigen Wahrnehmung, die jener der Figuren im Film entspricht und alles realistische Erzählen nur noch hausbacken erscheinen lässt.

Texas in den fünfziger Jahren also: mit seinen stromlinienförmigen Studebakers vor den Vorstadthäuschen und geputzten Rasen, seinen proper duldenden Müttern und schrecklich rechtschaffenen Vätern, die züchtigen, wen sie lieben. Diese Eltern werden bei Malick zu Ikonen der herrischen Natur und der sanften Gnade im Dualismus der Schöpfung – solche gar eindeutige Beschwerung der Figuren bekommt dem Film freilich nicht nur gut. Brad Pitt ist die Verkörperung dessen, der die Gesetze des (amerikanischen) struggle for life internalisert hat und seinen Söhnen weitergibt. Kein Phantast wie Millers Handlungsreisender Willy Loman, sondern ein unerschütterlich wandelndes Prinzip Rechtschaffenheit auf Erden, dem der Herr aber Haus und Kind nehmen wird. Er ist der Vater mit der erdrückend liebenden Hand, unter deren Zugriff der kleine Jack und sein bohrender Blick sich buchstäblich in die Adoleszenz hinein verkrümmen. Auf der andern Seite die Mutter, rothaarig wehend mit sommersprossiger Alabasterhaut und liebevollem Blick, sanft und duldend, bis das Mass eines Tages voll ist. In diesem Strom des Erinnerns spiegeln sich alle Farben einer Kindheit. Dass die Konzentration, Kern des elliptischen Erzählprinzips, sich in einem langen additiven Taumel von Kindheitsmustern in Haus und Garten auch zunehmend zu verlieren droht, sei dabei nicht unterschlagen.

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Exzessiv wird der Bildtaumel schliesslich auf der kosmischen Ebene, und natürlich kann man gar nicht anders als an Kubricks 2001: A Space Odyssee denken. Anspruch und Imagination sind vergleichbar, der theologische Horizont nicht. Terrence Malick versucht, uns den Gott Hiobs visuell ahnen und darob verstummen zu lassen: Wo warst Du, als ich die Erde gründete?! Vulkanisch ist Malicks Vision, symphonisch deren Gestaltung (inklusive Mahler, Brahms & Co.) – unentrinnbar schön, in abstrakten Transformationen sich auflösend, und durchaus nicht davon gefeit, auch mal in den Kitsch zu plumpsen, wenn etwa die Mutter in den Wolken oben zu Smetanas aufrauschender «Moldau» mit jäher Geste Gott ortet.

Umso anmutiger, wenn Terrence Malick in einem Anflug von Ironie ein einziges Mal das Pathos unterläuft: In einer hübschen Anti-Spielberg-Episode des erdgeschichtlichen Exkurses erleben wir einen mächtigen Dino, der seine Donnerpranke einen langen Augenblick fast graziös über seiner Beute schweben, sie touchieren und demonstrativ etwas stauchen lässt, bevor er sich wieder davontrollt. Ein kleines prähistorisches Gleichnis vielleicht für unseren Mann aus Texas? Jedenfalls hat auch Jack mit Hiob im Kosmos ein Fetzchen gnädiger Natur gefunden, mag auch am Ende Sean Penns Lächeln in seiner Wolkenkratzerwelt, die so gar nichts mit dem eigentlichen Leben zu tun hat, sehr scheu sein. Einmal wird die Erde verglühn, und auch dieser Film. Terrence Malicks Opus magnum als Parforcetour.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 4/2011 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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