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Jane Eyre

Die BBC-Version von Jane Eyre aus dem Jahr 2006 hat reichlich Zeit zur Verfügung; mühelos münzen sich die geschlagenen vier Stunden Länge ins Überdeutliche um. Da mag in der neuesten Version ein ominöses Wetterleuchten zuviel am Horizont sein, und die Geigen könnten diskreter schluchzen. Dennoch tut sich Cary Fukunagas Jane Eyre durch eine gewisse Kargheit und Verknappung hervor.

Text: Pierre Lachat / 21. Sep. 2011

Kaum fünf oder sechs Jahre sind es her, dass der Stoff einen TV-Mehrteiler hergegeben hat, und schon folgt, mit Jahrgang 2011 und unter dem immergleichen Titel, ein Kinofilm nach. An beiden Produktionen ist die britische BBC beteiligt, woraus allein schon ersichtlich wird, dass kein Zufall mitspielt, sondern eine Tradition; sie geht auf die Stummfilmzeit zurück und setzt sich aus eigener Kraft fort. Um die zwei Dutzend mehr oder weniger gelungene Versionen liessen sich aus nächstens zehn Dekaden eruieren, was «Jane Eyre» vermutlich zu einem der meistverfilmten Romane überhaupt macht. Gesamthaft sind allein fünf Fassungen mit Zutun der BBC entstanden, doch im Lauf der Zeit haben sich auch Amerikaner, Inder, Brasilianer, Holländer und Griechen an der Fabel versucht oder vergriffen.

Vergleichbare Epik aus dem europäischen neunzehnten Jahrhundert verrutscht zu gern ins Schmökerformat und beschert der Leinwand regelmässig statistenreiche Monsterschaustücke mit Kanonendonner und kostümierter Farbenvielfalt. Wenn sich der Klassiker von Charlotte Brontë schon so oft und so lange als Vorlage bewährt hat, dann keineswegs etwa wegen des mehrhundertseitigen Umfangs, sondern eher dank der präzisen Anschaulichkeit, mit der die Figuren, die Schauplätze und der Verlauf der Handlung beschrieben sind; die Gradlinigkeit erklärt auch die Eignung für den Bildschirm, sparen doch die Anstalten, um ein Programm auf seine doppelte Länge zu dehnen, gern die Hälfte eines mittleren Budgets ein.

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Die BBC-Version von 2006 hat reichlich Zeit zur Verfügung und verschlingt sie auch mit Haut und Haar; mühelos münzen sich die geschlagenen vier Stunden Länge ins Überdeutliche um, so dass kaum eine Frage unbeantwortet bleibt.

Da mag jetzt, in der neuesten Version, ein ominöses Wetterleuchten zuviel am Horizont sein, und auf der Tonspur könnten die Geigen etwas diskreter schluchzen. Dennoch tut sich Jane Eyre von Cary Fukunaga durch eine gewisse Kargheit und Verknappung hervor; seine Fassung insistiert häufiger auf einer meist öden englischen country side samt rollendem Donner und prasselnden Niederschlägen. Dadurch bleibt dem Zuschauer einiges von dem kalten Protz der ländlichen Herrschaftssitze erspart, von denen einer dann sowieso als verkohlte Ruine im Verfall enden wird.

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Rede um den heissen Brei

Dazu passend erscheint die rurale Aristokratie oder <landed gentry< als einstmals vermögend und inzwischen chronisch überschuldet, was gerade im pleitenreichen frühen einundzwanzigsten Jahrhundert wieder von lebhafter Aktua
lität ist. Statt von Glanz und Elend erzählt die Geschichte der Gouvernante Jane Eyre von Armut, Mittelmass und Hilflosig
keit auf unterschiedlich hohen Ebenen. Was die Klassen auf Distanz zueinander setzt, sind keineswegs etwa die krass ungleich verteilten Güter, sondern die arrogante Selbstüberschätzung der Wenigen und die demütige Gefügigkeit der Vielen; aber heftiger noch wirkt sich, zwischen den Wohl und den Unwohlgeborenen, das stillschweigend geltende Verbot einer Verständigung aus.

Mit blitzender Intelligenz ausgestattet und mit bescheidensten Mitteln versehen, ist plain Jane, die unscheinbare Johanna, alles andere als auf den Mund gefallen. Aus eigenem Antrieb ertastet sie, die ewige Waise, erst einen gewundenen Pfad durch die festgefügten Verhältnisse und kehrt ihnen schliesslich entmutigt den Rücken. In der Person des Edward Rochester kreuzt sie jemanden, der zwar keine Privilegien mit ihr teilen wird, aber sehr wohl das, was er mit dem Schlüsselbegriff des Stoffes <a tale of wo<e nennt. Eine derartige Leidensgeschichte habe ihresgleichen doch gewiss erdulden müssen, mutmasst er, selbst wenn dazu fast nie ein Wort von ihrer Seite verlaute. Ohne es gleich zu bekennen, hat er dabei auch sein eigenes Verhängnis im Nacken; worin es allerdings besteht, weiss er ausdauernder zu verschweigen, als sie es mit dem ihren zu tun vermag.

Als Dienstmagd, die den Nachwuchs aufzieht, darf die Protagonistin nur auf Geheiss hin Themen anschneiden, wenn sie sich aufdrängen; und selbst dann wird es einzig durch die Blume geschehen können. Bloss kein Kind beim Namen nennen, so lautet die Leitlinie ihres konditionierten Verhaltens. Die Dialoge, heisst das, sind in «Jane Eyre» darum so sprechend, weil sie der Kunst des Redens um den heissen Brei herum zu gehorchen haben. Was immer die Gouvernante an Ungesagtem und an Unsagbarem zu erkunden versucht, ist in ausgewählte Verschlüsselung und Schönrede gefasst, und es begegnet ebensolchen Antworten.

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«An Autobiography»

Was für Motive versucht eine vereinbarte Wahl des Vokabulars hervorzuheben, und welche andern werden nur oberflächlich gestreift, so dass sie sich schlecht ohne die obligaten Missverständnisse diskutieren lassen? Ungewollt verraten sich der Geist einer Epoche und ihr Ungeist durch die herrschende Ordnung der Wörter und der Unwörter. Ein Austausch von einiger Freimütigkeit wird erst möglich, nachdem Rochester in der Hausangestellten eine Leidensgenossin erkannt hat und er endlich auch zu seiner eigenen Kümmernis stehen kann und muss.

Doch lässt sich die festgeschriebene Aufteilung der Rollen nur um Weniges lockern, ein offener Bruch der Konventionen wäre unvorstellbar. Das tiefste Leid, das über die Zwei kommt und das sie vereinen müsste, wird sie am Ende nur wieder auseinanderbringen. Zwischen einem nominell Begüterten und einer erwiesen Mittellosen hat selbst das Wehe nach Ständen abgestuft zu sein. Statt den Wunden der Vergangenheit entwächst es einer unerreichbaren Zukunft. Rochester wie Jane sind gehalten, eines allein zu befolgen, nämlich das Verharren an den zugewiesenen Plätzen: in den höheren Rängen der eine, in den tieferen die andere. So manifestiert sich the woe anfangs als schmerzliche Erinnerung; dann gehen Klage und Trauer in gegenwärtiges, bestürzendes Erleben über.

Die Gouvernante und Lehrerin Charlotte Brontë unterbreitet 1836 dem damaligen Hofdichter der Krone ihre literarischen Versuche zur Beurteilung. Niemals dürfe das Schreiben zur Aufgabe einer Frau werden, fertigt Robert Southey die hoffnungsfrohe Bittstellerin ab. Wohl auch deshalb nennt «Jane Eyre» in der Erstausgabe von 1847 jemanden namens Currer Bell als Autor: mit einem Pseudonym, das sich so sehr als männlich wie weiblich lesen lässt. Die Unterzeile freilich lautet forsch «An Autobiography», was wiederum auf eine Verfasserin schliessen lässt. Kein ganzes Jahr nach Erscheinen des Buches wird die Fabel bereits auf die Londoner Bühne gebracht. Charlotte erwartet von der Aufführung «etwas Unverschämtes und Affektiertes» und bleibt dem Spektakel fern.

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Unvergreiste Geschichten

Sechs Jahre später ist sie verheiratet: kaum neun Monate vor ihrem Tod, mit siebenunddreissig, am Anfang einer Schwangerschaft. So fallen die Leidensgeschichten im England jener Periode oft genug mit den Lebensgeschichten in eins. Das zwanzigste Jahrhundert wird ihr Buch als feminis
tisch vor Erfindung des Wortes auffassen. Bis dahin sind Charlotte und ihre Schwestern alle drei Schriftstellerinnen geworden und mit ihren Romanen in den festen Bestand der geläufigen Literaturverfilmungen eingegangen. Im September 2011 hat eine neue Fassung von »Wuthering Heights» Premiere, womit «Sturmhöhe» von Emily Brontë zum gut sechzehnten Mal herhält. Wiederholt mischte die BBC mit, doch haben sich auch sieben andere Länder der Vorlage angenommen, selbst Japan und Mexiko. «The Tenant of Wildfell Hall» von Anne Brontë hat zwei TV-Versionen erbracht, während ihre «Agnes Grey» vorerst ungenutzt bleibt.

Darüber hinaus ist das Schicksal der drei Schwestern auch selber auf die Leinwand gebracht worden. Entgegen aller Wahrscheinlichkeit realisiert 1979 ein Franzose §Les sœurs brontë  mit Marie-France Pisier als Charlotte, während Emily und Anne von Isabelle Adjani und Isabelle Huppert verkörpert werden. Der Film von André Téchiné führt namentlich vor Augen, wie die Lebens und Leidensgeschichten der Autorinnen sozusagen kollektiv autobiografisch in ihren Büchern gespiegelt sind. Folgenlos geblieben ist §Devotion von Curtis Bernhardt, der 1946 recht freihändig mit den biografischen Fakten umspringt. Ida Lupino, Olivia De Haviland und Nancy Coleman spielten die Brontës.

Die Schwestern versuchten, ihre Rechte als Frauen geltend zu machen, und setzten die dabei gemachten Erfahrungen in Literatur um. Inzwischen ist der Film an die Stelle des Geschriebenen getreten. Mit ungleichen Ergebnissen versucht das Kino, die Stoffe aus heutiger statt gestriger Sicht zu lesen. §Jane Eyre von Cary Fukunaga erreicht das Ziel um ein Haar. Die Geschichten selbst vergreisen nie; meistens lässt sie eine verunfallte Auffrischung altersrunzelig erscheinen, ähnlich wie in der Gesichtschirurgie.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 6/2011 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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