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Mon pire 01

Mon pire cauchemar

Mit Komödien ist es meist wie mit Volksweisheiten von der Art «Lachen ist die beste Medizin». Sie erscheinen konstruiert, um beweisen zu wollen, dass das Leben doch eine Art Revue der guten Laune zu sein hat. Für zwei Stunden mag das dann auch seine Berechtigung haben, bevor uns wieder die Patsche des alltäglichen Frustes trifft.

Text: Erwin Schaar / 11. Jan. 2012

Mit Komödien ist es meist wie mit Volksweisheiten von der Art «Lachen ist die beste Medizin». Sie erscheinen konstruiert, um beweisen zu wollen, dass das Leben doch eine Art Revue der guten Laune zu sein hat. Für zwei Stunden mag das dann auch seine Berechtigung haben, bevor uns wieder die Patsche des alltäglichen Frustes trifft.

Bergsons These «Le rire est le rire d’un groupe» müsste eigentlich gegen die internationale Wirksamkeit des Komödiantischen sprechen, aber vielleicht hat die Vermischung von Völkern und Rassen auch zur Internationalität des Lachens beigetragen, sodass zum Beispiel dieser Film von Anne Fontaine zumindest den Menschen als witzig erscheinen mag, die (mittel)europäische Konventionen einer gewissen Analyse unterziehen können.

Die 1959 geborene Anne Fontaine (Natalie …, 2003; Coco avant Chanel, 2009) will gute Laune mit einer Beziehungsgeschichte vermitteln, die unterschiedlichste Stände in eine emotionale Abhängigkeit zwingt. Isabelle Huppert spielt eine erfolggewohnte Galeristin, verheiratet mit einem Verleger. Sie haben einen gemeinsamen Sohn. Und der Gegenspieler der Story ist ein ungebildeter Tölpel, der mit seinem Sohn in einem Wohnwagen lebt, dem Alkohol zugeneigt ist, keiner geregelten Arbeit nachgeht. Was ihn besonders auszeichnet, ist sein nie endender Redeschwall mit dem Witz des Underdogs und sein – wie der frivole Volksmund sagen würde – «schwanzgesteuertes» Verhalten, das ihn vor allem mit schwerbrüstigen Frauen zusammenführt.

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Und diese beiden gesellschaftlichen Extremfiguren entdecken einen gemeinsamen Nenner, natürlich nach diversen Auseinandersetzungen, weil das vornehme Blut immer wieder von den wüsten Ausfällen Patricks ihr, Agathe, gegenüber konsterniert ist. Vor einer feinen speisenden Gesellschaft düpiert er sie, wenn er den Vornehmen mitteilt, dass er Agathe ficken würde. Soweit ist es immerhin schon gekommen, weil Agathe ihren wesentlich älteren Mann François in der Hinsicht kaum mehr belasten möchte. Und François goutiert dieses Verhältnis, da auch er eine ihm bequeme andere Partnerin gefunden hat.

Ja, und da wären noch die beiden pubertären Söhne der ungleichen Partner, die eigentlich die Voraussetzung dafür schaffen, dass der Prolet die Society-Lady für sich einnehmen kann. «Vor einigen Jahren brachte mein Sohn einen Freund mit nach Hause, der auf mich wirkte, als sei er von einem fremden Planeten. Mein Sohn erklärte ihn zu seinem besten Freund. Alles an ihm schien geheimnisvoll. Dann traf ich seinen Vater, eine exzentrische Figur, der in sehr prekären Verhältnissen lebte, sich aber keineswegs als Opfer begriff», erzählt Anne Fontaine. Das machte sie zur Grundlage ihrer Komödie, «denn in einer Komödie kann man Utopien entstehen lassen».

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Nun muss man sagen, dass dieser Film mit dieser äusserst zwiespältigen Geschichte nur von den Darstellern leben kann, und es ist auch ein richtiger Schauspielerfilm geworden, in dem vor allem Benoît Poelvoorde in Gestik und Worten die Sau rauslassen kann. Viele seiner Äusserungen sind witzig, auch wenn man oft über Vorurteile lacht, die für den politisch Korrekten tabu sein sollten. Er grimassiert sich mit einer solchen Vehemenz durch die Rolle, dass die schon mit ältlichem Charme ausgestattete Huppert die ideale Gegenspielerin ist, deren beider Einvernehmen dann wie das Ende einer Commedia dell’Arte erscheinen mag.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2012 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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