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Last friday 01

Al juma al akheira / The Last Friday

Was bringt eine Story? Im besten Fall liefert sie das narrative Rückgrat für das, was uns der Filmemacher zeigen will. Wie interessant ist die Geschichte eines Taxifahrers, der dringend operiert werden sollte und der auf der Suche nach dem dafür benötigten Geld ist?

Text: Martin Girod / 31. Okt. 2012

Was bringt eine Story? Im besten Fall liefert sie das narrative Rückgrat für das, was uns der Filmemacher zeigen will. Wie interessant ist die Geschichte eines Taxifahrers, der dringend operiert werden sollte und der auf der Suche nach dem dafür benötigten Geld ist? Wohl so sehr oder so wenig wie die Geschichte eines Polizisten, dem man die Dienstpistole gestohlen hat und der sie wieder in seinen Besitz bringen möchte. Oder jene eines einfachen Mannes, der nicht zu Hause war, als ihm der Postbote eine sehnlich erwartete Geldanweisung bringen wollte, und der sich durch die Bürokratie kämpfen muss, um zu diesem Geld zu kommen. Filmschaffende wie Akira Kurosawa (Nora inu / Der streunende Hund) oder Ousmane Sembène (Mandabi / Die Postanweisung) haben gezeigt, dass man aus solchen a priori banalen Geschichten spannendes Kino machen kann: Sie weiteten sich unter ihrer Hand zu packenden Gesellschaftbildern.

Der 1979 in Libyen geborene, in Saudiarabien aufgewachsene und nun in Jordanien lebende Yahia Alabdallah hält es in seinem ersten Langspielfilm ähnlich wie seine in die Filmgeschichte eingegangenen Berufskollegen: Er situiert die Geschichte seines rund vierzigjährigen Taxifahrers Youssef zu einer bestimmten Zeit (unserer heutigen) an einem ganz konkreten Ort, um uns in ruhigen Bildern und sprechenden Details eine Welt nahezubringen und sie zu befragen. Schauplatz ist die jordanische Metropole Amman, eine der ältesten kontinuierlich besiedelten Städte der Erde. Die Grossstadt ist in diesem Film fast permanent präsent, wenn nicht im Bild, dann durch den Strassenlärm und andere Geräusche im Off. Es scheint ein unwirtlicher Ort zu sein, in der die kleinen privaten Refugien – ein Gärtchen, eine Dachterrasse – wesentlich werden. Hier kann man sich noch Zeit nehmen für einen Café oder Tee, für ein Tawli-Spiel (alias Backgammon) oder eine Pokerpartie.

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Der von der Literatur und Literaturkritik herkommende Regisseur setzt weitgehend auf das Bild; die zur Klärung notwendigen Worte sind auf wenige Szenen konzentriert. Durch geschickt gesetzte Ellipsen weiss er die angenehm unhektische Handlung doch filmisch zu verdichten. Getragen wird sie von einem homogenen, von sicherer Führung zeugenden Schauspielerensemble, dominiert, in der Rolle des Youssef, vom intensiv-verhaltenen Ali Suliman, den man aus palästinensischen Filmen und dem israelischen Lemon Tree kennt.

Die bevorstehende Operation ebenso wie die Mittelsuche dafür lassen den wortkargen Youssef einen prüfenden Blick auf sein bisheriges Leben werfen: Auf seine gescheiterte Ehe, aus der er einen die Schule schwänzenden, an der Schwelle zur Mittelstufe noch beinahe analphabetischen Sohn hat. Auf seine berufliche “Karriere” als – zum Überredungszweck auch mal wortgewandter – Autoverkäufer, der wegen des höheren Verdiensts in einen Golfstaat auswanderte, von der dortigen Rechtlosigkeit als Ausländer desillusioniert zurückgekommen ist und nun von seinem früheren Boss erniedrigt und als Taxifahrer ausgenützt wird. Und auch auf seine Spielleidenschaft, die ihn um sein Erspartes gebracht hat und seine Familie zerbrechen liess; eine Leidenschaft, die ihn noch immer zu packen und zu ängstigen scheint – und die ihm, in einer der wenigen willkürlichen Wendungen des Films, schliesslich die anderswo so vergeblich gesuchten Mittel für die Operation bringt.

Die Suche der Hauptfigur nach einer Existenz, einer Beziehung, einem Platz im Leben steht in Alabdallahs Film stellvertretend für die Orientierungsprobleme einer ganzen Gesellschaft, die überstürzt in einer westlichen “Moderne” angelangt zu sein scheint, mit der sie wenig Sinnvolles anzufangen weiss. Eine Welt der Autos (da gehört Youssef dazu) und der Mobiltelefonie (da verweigert er sich), in der so vieles – Youssefs Feuerzeug, der Motor seines Taxis, die Versorgung mit Elektrizität – prekär bleibt. Es ist zugleich eine Welt selbstbewusster Frauen, die mehr medialen Vorbildern nachzuleben als sich selbst gefunden zu haben scheinen, eine Gesellschaft, in der das traditionelle Männerselbstverständnis nicht mehr funktioniert (Youssefs Hodenverdrehung hat wie vieles in diesem Film auch eine symbolische Bedeutung). Wir sehen eine Welt der kleinen Tricksereien und des alltäglichen Betrugs, in der sich nur der Rücksichtslose behaupten kann. Daneben gibt es offenbar noch eine andere Lebensweise, jene der noch nicht in der Moderne Angelangten oder sich aus Verunsicherung wieder daraus Zurückziehenden: die Scheichs mit ihren verschleierten Frauen, ein sich abkapselndes Universum für sich.

So führt uns Yahia Alabdallah mit seiner Story um den Taxifahrer Youssef auf einer alltäglichen, plausiblen und einfühlbaren Ebene ein in eine Gesellschaft, die uns sonst eher in abstrakten Begriffen und spektakulären Schlagzeilen vermittelt wird. Plötzlich sind uns diese Araber ganz nahe, erleben wir sie als Menschen mit ihren bescheidenen Glücksansprüchen und ihren Verunsicherungen. Wir bekommen ganz selbstverständlich Einblick in eine Welt im Umbruch und spüren, dass sie – wie Youssef – nur noch wenig Zeit hat, ihre lebensbedrohenden Verwicklungen zu lösen. Youssef jedenfalls, der vor Freitag hätte operiert werden sollen, liegt erst nach diesem Termin auf dem Operationsschragen. In der nächsten, der letzen Einstellung sehen wir ihn, wie er sich auf einem Friedhof umschaut, während der Piepston aus dem Operationssaal weiter erklingt, dann nach und nach verstummt. Ein unspektakuläres Ende, das manches offen lässt, und doch eine bedenkenswerte Warnung, wie leicht Problemlösungen zu spät kommen können.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 7/2012 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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