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En kongelig affære / A Royal Affair

Die Geschichte einer verbotenen Liebe und einer unmöglichen Revolution – lange, bevor in Frankreich die Menschen auf die Barrikaden gingen. Drehbuchautor und Regisseur Nikolaj Arcel hat das kurze, aber bedeutende Kapitel dänischer Historie ebenso elegant wie klug in einen opulenten Kostümfilm gekleidet, der – aufgeschrieben in Briefen an ihre Kinder – der Sicht der Königin folgt.

Text: Michael Ranze / 25. Apr. 2012

Die Geschichte einer verbotenen Liebe und einer unmöglichen Revolution – lange, bevor in Frankreich die Menschen auf die Barrikaden gingen. Eine wahre Geschichte zudem: Johann Friedrich Graf von Struensee, ausgerechnet ein Deutscher und 1737 in Halle geboren, wurde 1769 Leibarzt von Christian VII., dem dänischen König. Durch sein Verhältnis mit Königin Caroline Mathilde übte Struensee nicht nur Einfluss auf den König aus. Er wurde auch Geheimer Kabinetts-Minister mit unumschränkter Regierungsvollmacht. Dabei fühlte er sich dem Geist der Aufklärung verpflichtet und schaffte Folter und Zensur ab. Das konnte dem Adel nicht recht sein. Struensee wurde im Januar 1772 gestürzt und zum Tode verurteilt. Das ist natürlich der Stoff für einen historischen Politthriller – mit Hofintrigen, Dreiecksgeschichte und melodramatischen Forcierungen, die auch immer von Tragik umwoben sind: Da ist ein Mann seiner Zeit um Jahre voraus und bewirkt Gutes; doch Unverständnis und Dummheit, Neid und Eifersucht seiner Umgebung verurteilen ihn zum Scheitern.

Drehbuchautor und Regisseur Nikolaj Arcel hat dieses kurze, aber bedeutende Kapitel dänischer Historie ebenso elegant wie klug in einen opulenten Kostümfilm gekleidet, der – aufgeschrieben in Briefen an ihre Kinder – der Sicht der Königin folgt. Schon als Mädchen war die englische Prinzessin Caroline Mathilde dem dänischen Thronfolger Christian VII. versprochen. Doch als sie jetzt, als junge Frau, nach Kopenhagen kommt und den zukünftigen Gatten kennenlernt, ist sie höchst irritiert. Sie begegnet einem labilen Exzentriker, der seine Furcht vor Verantwortung und Entscheidungen hinter kindlichem Benehmen versteckt und auf Aussenstehende den Eindruck eines Schwachsinnigen macht. Mikkel Boe Følsgaard, im Februar bei der Berlinale mit dem Preis als Bester Darsteller ausgezeichnet, spielt diesen König lustvoll, mit gestenreicher Mimik, unstetem Temperament und unschuldigen, grossen Augen als reinen Tor, der mit seiner Flucht ins Unschickliche und Kindische das Unheil erst heraufbeschwört, ohne ihm später etwas entgegensetzen zu können. Gleichzeitig lässt er durchscheinen, dass ihm die Manipulation durch andere stets bewusst ist. Von einer Reise nach Altona (das damals noch zu Dänemark gehörte) kehrt Christian VII. mit dem Medicus Johann Friedrich Graf von Struensee zurück, den er rasch zu seinem Leibarzt ernennt. Struensee ist das Gegenteil des Königs: ein stattlicher, fast schon viriler Mann, gutaussehend und beherrscht, klug und eloquent. Das bleibt auch Königin Caroline Mathilde, die sich nach der pflichtgemässen Geburt eines Sohnes längst von ihrem Mann entfremdet hat, nicht verborgen.

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Der Beginn einer Liebe, die sich zunächst mit Blicken begnügen muss. Erst sind es schüchterne und zufällige, dann neugierige und interessierte Blicke, die zunehmend einladender und fordernder werden. Zum Höhepunkt des Begehrens und Verführens, das noch auf stillschweigendem Einverständnis beruht, zählt dabei ein Ball, bei dem die Kamera den Blick Struensees nachahmt, sich der Schulter der Königin sehnsüchtig nähert und sie fast zu berühren scheint. Auch die seltenen Begegnungen haben zunächst noch etwas Keusches: hier ein kleiner Umweg bei einem Spaziergang, dort eine flüchtige Unterhaltung auf einer versteckten Parkbank. Die Stärke von Arcels Film liegt in diesen Andeutungen. In hochgeschlossene Anzüge oder enge Korsetts eingezwängt, ist es schwer für die Figuren, ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen.

Über Caroline Mathilde, von der bezaubernden Alicia Vikander in einer Mischung aus Leidensfähigkeit und Willensstärke perfekt dargestellt, gewinnt Struensee immer mehr Einfluss auf den labilen König – bis er de facto die Regierungsgeschäfte übernimmt. Eine Revolution, die quasi von oben kommt: Struensee veranlasst die Presse und Meinungsfreiheit, er schafft die Folter und Leibeigenschaft ab und reformiert das Schulwesen. So ganz klar sind seine Absichten nicht, eine reizvolle Ambivalenz bestimmt die Figur: Wird er von gesundem Menschenverstand geleitet oder pragmatischem Kalkül? Mads Mikkelsen interpretiert Struensee jedenfalls nicht als Revoluzzer, der leidenschaftliche Reden hält. Kühl und überlegen trifft er seine Entscheidungen. Der Adel aber fürchtet um seine Pfründe und holt mit einer Intrige zum Gegenschlag aus.

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En kongelig affære ist eine packende, erkenntnisreiche Parabel über politisches Denken und Taktieren. Dem liberalen Idealismus setzen konservative Kräfte, von Eigeninteresse getrieben, unsichtbaren Widerstand entgegen, dem Fortschritt folgt die Reaktion. Arcel macht auch in den Bildern deutlich, was das bedeutet. Sowohl in Altona als auch in den Armenvierteln Kopenhagens hausen die Menschen unter unwürdigen Bedingungen, ohne ausreichende Lebensmittel, ohne ärztliche Versorgung. Bilder, die im krassen Gegensatz zum Leben am Hof mit all seinem detailgenau recherchierten Prunk stehen. Mit Beginn der Pressefreiheit wächst auch das Bewusstsein für soziale Ungerechtigkeit, und in der Journalistenschelte mag man durchaus Parallelen zur Gegenwart entdecken. En kongelig affære lässt sich am ehesten mit Saul Dibbs The Duchess über Georgina Spencer, die Herzogin von Devonshire, vergleichen. In beiden Filmen wehrt sich das Bürgertum erfolgreich gegen die feudale Ordnung. Doch während sich England nachhaltig veränderte, nahm Dänemark seinen Wandel regressiv zurück. Geschichte lässt sich auch umkehren, und nur die hoffnungsvollen Bilder des Schlusses, in denen der Kronprinz die Briefe der verbannten Mutter liest und so über die Intrige informiert ist, federn diese erschreckende Erkenntnis ab.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/2012 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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