Filmbulletin Print Logo
Hasta la vista 01

Hasta la vista

Geoffrey Enthoven hat sich von der BBC-Dokumentation Foronenightonly über Asta Philpot, einen querschnittgelähmten Briten, der sich für Behinderte und ihre sexuellen Bedürfnisse einsetzt, inspirieren lassen. Dabei schildert der Regisseur zunächst, was es bedeutet, behindert zu sein.

Text: Michael Ranze / 13. Juni 2012

Es beginnt mit einem lüsternen und unverschämten Blick auf zwei Joggerinnen, die mit ihrem engen Sportdress und ihrem in Bewegung befindlichen, wogenden Körper, durch Zeitlupe noch zusätzlich ästhetisiert und idealisiert, die Phantasie des Schauenden beflügeln. So kann nur ein Mann gucken, und für einen Moment befürchtet man als Zuschauer, dass er sich in einer dieser sattsam bekannten Teenager- und Highschool-Komödien befindet, in denen sich alles um das erste Mal dreht. Doch Regisseur Geoffrey Enthoven hatte anderes im Sinn. Sein neuer Film ist eine Geschichte über die Selbstfindung dreier behinderter Freunde und ihr Recht auf Lust und Sex.

Der beschriebene Blick gehört Philip. Er ist vom Hals ab gelähmt und darum ständig auf die Hilfe anderer angewiesen. Lars hingegen leidet an einer Krankheit, an der er bald sterben wird. Auch er sitzt im Rollstuhl. Dritter im Bunde ist Jozef, fast blind, doch einer, der seiner Hilflosigkeit auch komische Seiten abgewinnt und somit aufkommendes Mitleid seiner Umgebung (und des Zuschauers) stets unterläuft. Was alle drei trotz unterschiedlicher Charaktere und Behinderungen gemeinsam haben: Sie hatten, obwohl schon über zwanzig Jahre alt, noch nie Sex, und das soll sich endlich ändern. In Spanien gibt es nämlich ein Bordell, das auf Behinderte und ihre besonderen Umstände spezialisiert ist. Ihren überfürsorglichen Eltern tischen die drei Jungs eine Lüge von einer ausgedehnten Weintour auf. Was jetzt noch fehlt, ist ein ausgebildeter Fahrer, der sie rund um die Uhr betreut. Nach einigen dramaturgischen Umwegen geraten sie an die füllige und robuste, zunächst ruppige und verschlossene Claude, soeben aus dem Gefängnis entlassen und mit eigenen Sorgen belastet. Damit nicht genug: Aus dem angekündigten Hightech-Kleinbus ist eine rostige Klapperkiste geworden. Und wie sollen die drei Männer einer Frau erklären, dass sie ins Puff wollen?

Hasta la vista 02

Geoffrey Enthoven hat sich von der BBC-Dokumentation Foronenightonly über Asta Philpot, einen querschnittgelähmten Briten, der sich für Behinderte und ihre sexuellen Bedürfnisse einsetzt, inspirieren lassen. Dabei schildert der Regisseur zunächst, was es bedeutet, behindert zu sein: immer auf andere angewiesen, auch bei den kleinsten Alltagstätigkeiten, nie allein, ohne Intimsphäre. Dass sich drei Männer nach Wärme und Zärtlichkeit sehnen, nach körperlicher Liebe vor allem, kommt ihrer Umgebung gar nicht in den Sinn, und aus diesem Gefälle bezieht der Film seine Spannung. Lars, Philip und Jozef vermeiden jedes Selbstmitleid, sie machen Witze auf ihre eigenen Kosten, weil sie sich ihrer Handicaps bewusst sind und sie akzeptieren. Der Zuschauer lacht mit ihnen, nicht über sie, und wird so veranlasst, über seine eigenen Schwächen, über seine eigenen Träume nachzudenken.

Natürlich gehorcht Hasta la vista den Gesetzen des Road Movies. Es gibt auf dem langen Weg Hindernisse und Reibereien, Konflikte und Zuspitzungen. Philips Verbitterung über seine Hilflosigkeit, seine Frustration und Dünnhäutigkeit, setzt Claude lebensklugen Pragmatismus entgegen. Trotz ihrer Unterschiedlichkeit wachsen die vier Reisenden mit jedem Kilometer immer mehr zusammen, es geht um Freundschaft und Vertrauen, um Hilfsbereitschaft und Toleranz, um Mut und Selbstbewusstsein, und wie in jedem guten Road Movie gerät das Ziel irgendwann aus den Augen. Das ist das Schöne an Hasta la vista: Enthoven hat sehr reale, glaubwürdige Charaktere gezeichnet, die sich in witzigen, lakonischen Dialogen beharken oder – in einer Hommage an die Weinverkostungen in Sideways – auch mal andere Gegner (in diesem Fall grossspurige Niederländer) suchen. Man begleitet sie gern auf ihrer Reise, ob nach Spanien oder zu sich selbst.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 4/2012 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

Weitere Empfehlungen

Kino

21. Jan. 2015

Danioth – Der Teufelsmaler

Danioth – Der Teufelsmaler ist ein Film mit Nachhall, auch weil er das oft abschätzige Etikett vom «Heimatmaler» korrigiert. Danioth war ein bewegter Künstler, der im wörtlichen und metaphorischen Sinn den Teufel an die Wand gemalt, sich mit dem Dämonischen an sich und in seinem Innersten auseinandergesetzt hat.

Kino

18. Jan. 2022

The Worst Person in the World

Joachim Triers The Worst Person in the World stillt den Hunger nach einer komplexen, zeitgemässen Liebesgeschichte mit endorphingeladener Energie und traurigem Wirklichkeitssinn. Getragen wird der Film von seinen Schauspieler:innen und einem sezierenden Blick auf Millennials und ihre Beziehungen.