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Wuthering Heights

Über Heathcliff, den imposanten Antihelden des englischen Romanklassikers «Wuthering Heights», bemerkte Arno Schmidt einst, er hinterlasse den «Eindruck eines riesenschwarzen Steingesichtes, gleich den Klippenköpfen der Osterinsel». Die neueste filmische Inkarnation der Figur, deren Aussehen seine Erfinderin Emily Brontë als dunkel und zigeunerhaft beschrieb, ist nun tatsächlich: schwarz.

Text: Julia Marx / 25. Juli 2012

Über Heathcliff, den imposanten Antihelden des englischen Romanklassikers «Wuthering Heights», bemerkte Arno Schmidt einst, er hinterlasse den «Eindruck eines riesenschwarzen Steingesichtes, gleich den Klippenköpfen der Osterinsel». Die neueste filmische Inkarnation der Figur, deren Aussehen seine Erfinderin Emily Brontë als dunkel und zigeunerhaft beschrieb, ist nun tatsächlich: schwarz. Regisseurin Andrea Arnold hat zwei afrokaribische Laiendarsteller besetzt, Solomon Glave für die Rolle des jungen und James Howson für die des erwachsenen Heathcliff. Das ist der erste auffällige Unterschied zu den zahlreichen anderen Adaptionen, aber nicht der einzige. Um zu der schroffen Wucht dieser neuen Version zu gelangen, vielleicht nicht einmal der bedeutendste.

Ein dunkelhäutiger Heathcliff, zumal mit Narben auf dem Rücken, legt natürlich die Vermutung nahe, es könnte sich um einen entlaufenen Sklavenjungen handeln. Die Vorgeschichte des vielleicht dreizehnjährigen Strassenkindes, das der Gutsbesitzer Earnshaw eines Abends aus Liverpool mitbringt und den Seinen im Sinne gelebter christlicher Wohltätigkeit als neues Familienmitglied vorstellt, bleibt aber auch hier im Ungewissen. Die heftige Ablehnung, die das Kuckucksei besonders von seinem Adoptivbruder zu spüren bekommt, oft genug in Form körperlicher Misshandlung, gewinnt aber nun eine offen rassistische Dimension: «Er ist nicht mein Bruder. Er ist ein Nigger!» Ganz anders gestaltet sich sein Verhältnis zu Catherine, der etwa gleichaltrigen Tochter des Hauses. Bald unzertrennlich, strolchen sie gemeinsam durchs Moor, raufen sich im Matsch oder reiten über die Heide.

Wohl nie ist das Yorkshire von Wuthering Heights in solcher Rauheit dargestellt worden; rau die Landschaft, rau das Wetter, rau die Menschen. Da wird schon mal auf offenem Feld kopuliert oder geboren. Das titelgebende Anwesen auf dem windumtosten Hügel ist kein stattliches Herren, vielmehr ein ärmliches Bauernhaus, aus nacktem Bruchstein errichtet. Man glaubt beim Zuschauen fast, die klamme Feuchtigkeit in diesem Gemäuer in seine Glieder kriechen zu spüren. Die ungewöhnlich haptische Qualität des Films verdankt sich zu einem guten Teil der Kameraarbeit von Robbie Ryan, für die er denn auch am Festival von Venedig ausgezeichnet wurde.

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Wie in Fish Tank, Ryans letzter Zusammenarbeit mit Arnold, sind seine Handkameraaufnahmen im Academy Ratio gedreht, dem fast ausgestorbenen Format, das etwa dem alten Röhrenfernsehschirm entspricht. Dem teils in einer Mietskaserne spielenden sozialrealistischen Drama verlieh er damit eine passend klaustrophobe Anmutung. Die Idee, dasselbe enge Format für einen Film zu verwenden, der zu grossen Teilen in einer weiten Hügellandschaft spielt, wirkt hingegen geradezu abwegig. Doch sie geht auf; statt sich in gemäldehaften Landschaftspanoramen zu ergehen, engt Ryan das Gesichtfeld gerne durch Unschärfen, angeschnittene Figuren und Türrahmen noch weiter ein und geht immer wieder ganz nah ran. Etwa in dem zauberischen Moment, als Heathcliff hinter Cathy auf dem Pferd sitzt und ihr im Galopp wehendes, rotbraunes Haar im Gesicht spürt. Ein Bild, das die latente Erotik ihrer Kinderliebe sinnlicher einfängt als die viel stärker sexuell konnotierte Szene, in der Cathy dem geprügelten Heathcliff das Blut von den Wunden leckt.

Cathys und Heathcliffs Vertreibung aus ihrem Kindheitsparadies beginnt mit dem Tod von Cathys Vater und Heathcliffs anschliessender Degradierung und Verbannung in den Stall. Bald darauf erhält Cathy Aufnahme bei den Lintons, den neuen Nachbarn in ihrem herrschaftlichen Haus mit farbigen Tapeten und schön geschnitzten Möbeln, die Heathcliff (und damit der Zuschauer, der immer auf dessen Perspektive beschränkt bleibt) nur durchs Fenster bestaunen kann. Als Cathy sich schliesslich mit dem LintonErben verlobt, flieht ihr Kindheitsgefährte von Wuthering Heights.

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Bis hierhin ist Andrea Arnold das Kunststück gelungen, ihre Literaturverfilmung kaum über Worte und völlig ohne Musik zu erzählen, sondern mit Bildern und Tönen (Sounddesigner Nicolas Beckers Symphonie aus Vogelstimmen, Hundegebell, Regengeprassel, Zweigen, die an Fenster schlagen, und einer Vielzahl unterschiedlichster Windgeräusche vom sanften Rauschen bis zum düsenjetartigen Dröhnen). Es ist darum schade, dass ihr dies in der zweiten Hälfte nicht mehr so gut glückt, wenn der inzwischen erwachsene Heathcliff zurückkehrt, in feines Tuch gehüllt, mit wohlgefüllter Börse und ungestillter Sehnsucht. Wie sich diese dann zu Rachsucht und Wuthering Heights zu einem Ort der Trauer und Verzweiflung wandelt, das vermögen James Howson (dessen Stimme jedoch von jemand anderem nachsynchronisiert wurde) und Kaja Scodelario, welche jetzt die Hauptrollen übernehmen, weit weniger intensiv zu vermitteln als Glave und die eindrückliche Shannon Beer zuvor die Jugendepisode.

Es mag daran liegen, dass Arnold und ihre Co-Autorin Olivia Hetreed ihren Figuren immer noch wenig Dialog an die Hand geben, obwohl die emotionalen und dramatischen Verwicklungen sich im zweiten Teil nicht mehr über noch so gelungene Naturbeobachtungen und finstere Blicke erschliessen lassen. Vielleicht mangelt es den Hauptdarstellern schlicht an Ausdruckskraft. Dennoch trägt ihre undurchsichtige «Klippenköpfigkeit» mit dazu bei, dass dieser elementar anmutende Film in seiner Wirkung durchaus dem erratischen Block ähneln mag, als der Brontës Roman einst unter die Viktorianer fiel.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 5/2012 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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