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The Woman in the Septic Tank

Es ist ein schwieriges Thema, die Darstellung von Armut in Filmen aus Entwicklungsländern, denn die Grenze zwischen Betroffenheit und Voyeurismus ist schnell überschritten. Wann wird das Land zur Projektionsfläche für ein westliches Publikum, das sich selbst seines Mitgefühls und politischen Bewusstseins vergewissern möchte? Wann wird Selbstdarstellung zur Selbstausbeutung der Filmemacher, die ihre Herkunft als exotisches Kapital für den globalen Filmmarkt nutzen?

Text: Natalie Böhler / 23. Jan. 2013

Es ist ein schwieriges Thema, die Darstellung von Armut in Filmen aus Entwicklungsländern, denn die Grenze zwischen Betroffenheit und Voyeurismus ist schnell überschritten. Wann wird das Land zur Projektionsfläche für ein westliches Publikum, das sich selbst seines Mitgefühls und politischen Bewusstseins vergewissern möchte? Wann wird Selbstdarstellung zur Selbstausbeutung der Filmemacher, die ihre Herkunft als exotisches Kapital für den globalen Filmmarkt nutzen? «Thirdworldism», «Drittweltismus» wurde das Phänomen von kritischen Stimmen schon genannt. Gerade auf den Philippinen, wo The Woman in the Septic Tank entstand, wird dies in der Filmszene lebhaft debattiert: Einerseits sind Wanderarbeiter, Slums und Kinderprostitution gravierende Probleme, die auch im Ausland ins Bewusstsein gerufen werden sollten, andererseits führt deren inflationäre Thematisierung in Filmen zu einer einseitigen Darstellung des Landes, zur Ausschlachtung des Elends als Filmmotiv und vielleicht sogar zu einer gewissen Abstumpfung.

Marlon Riveras Film ist seinerseits eine Art satirisches Making-of eines solchen Films. Die jungen Filmemacher Bingbong und Rainier kommen frisch von der Filmschule und wollen nun mit ihrem Erstlingswerk die internationalen Festivals knacken. Sie träumen von Reisen und Auszeichnungen, Erfolg ist ihr Ziel. Ihr Drehbuch handelt von Mila, einer mausarmen Slumbewohnerin, die ihre sieben Kinder mehr schlecht als recht durchbringt und schliesslich aus Not eine ihrer Töchter an einen Pädophilen verkauft. Die Filmemacher indessen entstammen der privilegierten oberen Mittelschicht. Sie fahren im schicken Auto durch Manila, trinken im lokalen Starbucks-Verschnitt teure Kaffees mit komplizierten Namen und besitzen je einen ganzen Arm voll Mac-Geräte, mit denen sie im Café gleichzeitig am Filmprojekt arbeiten und die Facebook-Profile der Kollegen kommentieren.

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Rivera, selbst unabhängiger Filmemacher aus Manila mit eigener Produktionsfirma, kennt die Independent-Szene wohl bestens und macht sich auf amüsiert-gutmütige Weise über den Ehrgeiz und die Egos ihrer Mitglieder lustig. «Wunderschön, authentisch, pittoresk!», rufen seine Figuren verzückt beim Anblick des Slums am Fuss einer riesigen Müllkippe, den sie als Drehort besichtigen. Auch die Drehbuchelemente wollen strategisch überlegt sein: Soll es statt einer Tochter nicht besser ein Sohn sein, der an den Pädophilen verkauft wird? Ist das zu abartig oder erst recht kontrovers und deshalb noch publikumswirksamer? Und für die englische Version des Filmtitels, der auf Tagalog schlicht «Walang Wala» («Mit nichts») heisst, fallen ihnen reihenweise reisserische Phrasen ein – das fremdsprachige Vokabular für die landeseigene Armut scheint äusserst eloquent zu sein.

Die grösste Knacknuss aber ist der Erzählstil. Im Geist spielt das Team verschiedene Versionen durch, die wir alle als umgesetzte Fassungen derselben Sequenz sehen. Diese witzigen Film-im-Film-Episoden sind gelungene Fingerübungen in verschiedenen filmischen Stilen, ihren jeweils sehr unterschiedlichen Wirkungen aufs Publikum und ihren Herausforderungen. So sehen wir erst eine vom Neorealismus inspirierte, naturalistische Umsetzung mit langen Einstellungen und ohne Erzählstimme oder Dialoge, kurz darauf gefolgt von einer Musical-Version mit schnittigen Tanzeinlagen und einem Slum-Ensemble, das fröhlich seine Armut besingt. Da wäre auch die Dokudrama-Version mit echten Slumbewohnern, die in Cinéma-vérité-Manier vom Filmteam interviewt werden – bloss wirken diese gar nicht so unzufrieden mit ihren Lebensumständen, wie es sich die Filmemacher für ihr Projekt wünschen würden. Im Gegenteil: Die Kinder in der ärmlichen Hütte versichern strahlend, es gehe ihnen bestens und sie seien keineswegs hungrig.

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Die Hauptdarstellerin wiederum hat ihre eigenen Vorstellungen: Das Filmteam hat Eugene Domingo, eine philippinische Filmdiva, die hier sich selbst spielt, für das Projekt gewinnen können. So sehr sie erpicht ist, in einem als hip geltenden Independent-Film mitzuspielen (und damit auf den Zug der internationalen Festivals mitaufzuspringen), so sehr hat sie doch Bedenken zur Publikumstauglichkeit und zum mangelnden Glamour. Deshalb schlägt sie ein kitschiges Melodrama vor, mit einer sorgfältig geschminkten, dramatisch schluchzenden Mutter, pathetischem Voice-over, Orchestermusik und viel Product Placement.

Da dieselbe Sequenz mehrmals wiedergegeben wird, stellt sich mit der Zeit ein Wiederholungseffekt ein. The Woman in the Septic Tank konzentriert sich stark auf die Parodierung eines Themas unter vielen detaillierten Aspekten; die Stärke des Films liegt denn auch eher in seinem Witz und seiner Beobachtungsgabe als in der etwas statischen (und teilweise absehbaren) Entwicklung der Handlung. Als kritisch-humorvolle Bestandesaufnahme einer Filmindustrie ist der Film gepfeffert mit Insiderwitzen, lustigen Dialogen und Seitenhieben auf aufstrebende Filmemacher, die gefallen wollen. Damit scheint Rivera einen Nerv getroffen zu haben: Auf den Philippinen war der Film ein Grosserfolg.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2013 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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