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Enders game 01

Ender's Game

Anders als in den restlichen gross budgetierten Science-Fiction-Filmen dieses Jahres erscheint die Erde in Ender’s Game als Paradies unberührter Naturlandschaften – fünfzig Jahre nach der Invasion durch eine ausserirdische Rasse, genannt Formics, die nach hohen Verlusten schliesslich zurückgeschlagen werden konnte, ist die Ordnung wieder hergestellt.

Text: Frank Arnold / 06. Nov. 2013

Der Gegner liegt bereits am Boden, doch der weitaus schmächtigere Junge, den er zum Kampf herausgefordert hat, versetzt ihm noch ein paar gezielte Tritte. Damit sind der Angreifer und dessen Gang gewarnt, so etwas in Zukunft nicht noch einmal zu versuchen. Der Zuschauer kann gar nicht anders, als dem schmächtigen Jungen Bewunderung zu zollen. Das ist der Beginn der Verführung.

Anders als in den restlichen gross budgetierten Science-Fiction-Filmen dieses Jahres erscheint die Erde in Ender’s Game als Paradies unberührter Naturlandschaften – fünfzig Jahre nach der Invasion durch eine ausserirdische Rasse, genannt Formics, die nach hohen Verlusten schliesslich zurückgeschlagen werden konnte, ist die Ordnung wieder hergestellt. Doch diese Idylle ist bedroht, in Erwartung einer neuen Invasion sei die «Ausrottung» des Feindes notwendig, verkündet ein ranghoher Militär im Fernsehen. Durch sein eingangs beschriebenes Handeln hat sich der zwölfjährige Ender Wiggin für die Militärakademie empfohlen, an der die Frischlinge einem harten Training unterzogen werden.

Es ist die Doppelgesichtigkeit des Militärs, die den Zuschauer sich lange Zeit fragen lässt, ob er es hier mit einem Propagandafilm für das Militär zu tun hat oder aber mit einer milden Variante von Paul Verhoevens rabiater Satire Starship Troopers.

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So steht dem Drill-Sergeant Dap mit seinem schroffen Befehlston der überwiegend gütige Vater(ersatz) Oberst Hyrum Graff gegenüber (besetzt mit Harrison Ford, der nur ein einziges Mal in seiner Karriere, in Robert Zemeckis’ What Lies Beneath, den Schurken gespielt hat und als Han Solo und Indiana Jones eine Identifikationsfigur für männliche Jugendliche ist). Einerseits wird von den Rekruten Teamgeist gefordert, um in simulierten Schlachten gegen den gegnerischen Trupp zu gewinnen, andererseits ist nicht zu übersehen, dass ein Ausleseprozess unter ihnen stattfindet. Setzt sich Ender in seiner Gruppe zuerst gegen den tonangebenden Bean durch, so erwächst ihm nach seiner Versetzung zu einem bereits höher qualifizierten Trupp in dessen Anführer, dem egomanischen Bonzo, ein weitaus gefährlicherer Gegner. Wie er mit den Hindernissen, die ihm als Prüfsteine immer wieder in den Weg gelegt werden, fertig wird, das nötigt dem Zuschauer Respekt ab, ruft aber auch gegenläufige Gedanken hervor: Mit was für einer Gesellschaft haben wir es zu tun, die auf der verzweifelten Suche nach einem militärischen Genie dieses nur in einem Zwölfjährigen finden kann?

Diese Zwiespältigkeit hat sicherlich auch mit der Vorlage zu tun. Autor des 1985 erschienenen Romans «Ender’s Game», in den USA gleich mit einem renommierten SF-Literaturpreis ausgezeichnet, ist der Mormone Orson Scott Card, der sich als konservativ bezeichnet und sich wiederholt gegen gleichgeschlechtliche Partnerschaften ausgesprochen hat. «Ender’s Game», so ist dem Presseheft zu entnehmen, «gehört zur Pflichtlektüre im Literaturprogramm des U.S. Marine Corps.»

Regisseur und Autor Gavin Hood hat bei seiner Adaption der Romanvorlage geschickt den Handlungszeitraum von sechs Jahren auf ein Jahr verdichtet und auf den Prozess der Verführung zugespitzt – man darf durchaus an den Nazi-Propagandafilm Junge Adler denken, der unter den Kadetten einer Flugschule spielt. Begriffe wie «Käfer», «Ratten» und «Ameisen», mit denen der Feind hier belegt wird, erinnern an das Vokabular des Nationalsozialismus, aber auch an das des Kalten Kriegs. Am Ende muss der Protagonist erkennen, dass er einer Lüge aufgesessen ist, das Spiel Realität geworden ist. Der Film vermittelt das, indem er den Zuschauer selber verführt.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 7/2013 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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