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Master of the universe 01

Master of the Universe

In den stummen Zeugen der Vergeudung wächst weder eine Rendite noch gähnen Defizite. Einsam gibt ein gewesener Manager Auskunft über seine Laufbahn und versucht, zu einer Beurteilung der Branche und ihres Aufstiegs und Niedergangs am persönlichen Beispiel zu gelangen.

Text: Pierre Lachat / 06. Nov. 2013

Der Sozialismus sowjetischer Prägung hat sich aus einer ganzen Reihe von Gründen selber aufgelöst. Zu ihnen gehörte zweifellos das Übermass an staatlicher Bürokratie, das die Freiheit und Initiative des Einzelnen beschränkte, um ihn an die alles beherrschende Politik zu ketten. Seinerseits ist nun das etwas mildere System Europas und der USA kaum wirklich schon im Begriff, sich von allein zu liquidieren. Indessen hat es seit Jahren unter drastischen Unpässlichkeiten zu ächzen; dabei hätte es Anlass genug gehabt, sich nach 1989 als der wahre «Master of the Universe» zu gebärden: mit dem Ziel, das Ende der Geschichte, statt es nur verbal zu dekretieren, wahrhaftig herbeizuführen.

Die Zeit reichte kaum aus, den Kraftakt ernsthaft anzugehen. Inzwischen hat die Historie im Sauseschritt alles wieder überrollt. Gesetzt hat sich das anfängliche Hochgefühl aus mancherlei Gründen. Einer davon sind zweifellos die staatlich garantierten Aus- und Wildwüchse an privater Bürokratie; mit ihnen wird die Freiheit und Initiative des Einzelnen gelähmt und an die alleinseligmachende Knete gefesselt, die als idealer Lebenszweck figuriert. Den zentralen Bereich der westlichen Mechanismen okkupiert, keine Frage, das sogenannte Bankenwesen, das noch bis vor kurzem Unberührbarkeit beanspruchte und praktisch keiner Aufsicht unterstand. Ob sich daran etwas ändern kann oder ob nur zwei, drei Dinge husch retuschiert werden, steht dahin. Die leere Dose liesse sich auch nur etwas weiter die Strasse hinunterkicken.

<Master of the Universe> von Marc Bauder gibt einen schmalen und gleichwohl reichen Einblick in die Usancen, die während der letzten zwei, drei Jahrzehnte den alles überragenden einen Zweig dominiert haben. Der Titel des Films zitiert eine parodistische Kennzeichnung, die den Bankiers teils nachgetragen worden ist, die sie sich aber auch selber übergestreift haben. Schauplatz des Geschehens ist eine desolate Flucht leerstehender Büros turmhoch über dem Finanzviertel von Frankfurt. Die Räume bildeten einmal den Sitz einer Firma, die sich verflüchtigt oder verflüssigt hat; vielleicht wars auch eine ihrer Filialen.

Die Rechnungslegung der Deutschen Bank

In den stummen Zeugen der Vergeudung wächst weder eine Rendite noch gähnen Defizite. Einsam gibt ein gewesener Manager Auskunft über seine Laufbahn und versucht, zu einer Beurteilung der Branche und ihres Aufstiegs und Niedergangs am persönlichen Beispiel zu gelangen. In den Mittelpunkt rückt die Frage, ob die Theorie und Praxis der Krediteure überhaupt je habe verstanden werden können, und zwar von egal wem; oder ob, im Gegenteil, die Routinen bis heute darauf beruhen, dass schon ihre Erfinder und Betreiber letztlich ausserstande waren zu kapieren und zu kontrollieren, was sie initierten und adaptierten. Es ist ein Verdacht, der sich in den letzten paar Jahren verdichtet und verbreitet hat.

Haben die Akteure schliesslich das gesamte Institut, wie gewonnen, so zerronnen, dem eigenen Schicksal überantwortet; und verlassen sie dann möglicherweise, wie die Ratten, das sinkende Schiff? Der Protagonist jedenfalls hat es bereits getan. Ohne dem Blendwerk für alle Zeiten abzuschwören und sich etwa unter die Durchschnittsverdiener zu mischen, ist Rainer Voss auf Distanz zu den Roulettetischen gegangen: entfernt ähnlich, wie es bei einer Sekte die Abtrünnigen tun. «Das ist ein geschlossenes System», sagt er, «in dem man immer weiter sich von der Wirklichkeit entfernt. Deswegen mache ich mir auch keine Gedanken darüber, ob das, was ich in meinem Job mache, die Deals, die ich abschliesse, oder die Aktionen, die ich mache: ob die irgendwelche Auswirkungen auf die Welt da draussen haben.»

Dass seine Aussagen und Befunde so manche Frage offen lassen wie sie ansprechen, um sie teilweise auch transparent zu beantworten, liegt wohl in der Natur der Sache. Die Rechnungslegung der Deutschen Bank, davon ist er überzeugt, vermag kein Sterblicher zu interpretieren. Niemand, heisst das, ist imstand, Bonität oder Schieflage des vielleicht gewichtigsten europäischen Bankhauses aufgrund eherner Zahlen und Fakten zu bekräftigen oder zu bestreiten. Ein Gleiches, sagt der Protagonist, gelte etwa für einen Jahresbericht der UBS.

Eine Frage der Sprache

Denn eines schwebt von Anfang an über dem gesamten Gespräch, nämlich das Gesetz des Schweigens. Ihm verpflichtete sich der Auskunftswillige schon, als er schimmerlos seine erste oder zweite Stelle antrat, damals noch in München, später in Frankfurt. «Bei einer Bank ist es letzten Endes wie bei der Armee.» Das heisst, es wird kommandiert und kein Widerspruch geduldet, mithin auch kein Weiterspruch, der als glatter Verrat gilt.

Master of the universe 02

Hat er es wirklich zustande gebracht, sich aus der omertà dauerhaft herauszulösen, die mit einem Begriff aus dem Vokabular der italienischen Mafia so heisst? Da wissen alle von allen, bloss bleibt das Gewusste unauffindbar zwischen den Beteiligten hängen. Das Schweigen wird gewährt und erwartet. Oder hockt der eine oder andere eingefleischte Reflex noch immer im Nacken des inzwischen angegrauten Aktienschubsers? In einem Mass trifft wohl beides zu. Ob der Gehülfe glaubwürdig sei, bleibt deswegen schillernd, weil die Methoden des Kassierens, Belehnens, Verwaltens, Verschiebens, Investierens und Spekulierens, wie er sie gerade selber beschreibt, landläufige Unterscheidungen einebnen: zuvorderst die zwischen Wahrheit und Unwahrheit, zusammen mit einer Reihe von weiteren Gegensatzpaaren.

Geglaubt wird, was von jemandem geglaubt werden will. Einer vorab genügt, andere werden dann schon folgen. Wer unbelehrbar seine Zweifel kultiviert, bleibt hingegen auf der Strecke. Die Sprache des Rainer Voss ist entsprechend geschliffen, farbig, sogar von einer gewissen folkloristischen Eigenart. Seine Wortwahl trägt Entscheidendes bei zum Verständnis des Unverstandes. Mehr und mehr erscheinen etwa Gewinne und Verluste, Schulden und Guthaben, Pleiten und Profite, das Ansteigen und Absinken der Kurse wie zwei Seiten der jeweils selben Sache: schöngefärbt, austauschbar und in jedem Fall glänzende Geschäfte verheissend. Schuldenwirtschaft herrscht, wo Schulden behandelt werden, als wärens Reserven: in bad banks zwischengelagert, ausser Sicht und Sorge.

Jenseits von Protest und Propaganda

Nichts davon ist erstaunlich, wo er doch etwa daran erinnert, dass vor zwanzig Jahren die Haltedauer eines Wertpapiers im Durchschnitt vier Jahre betrug, während die Spanne inzwischen auf zweiundzwanzig Sekunden gesunken ist. Worin der Sinn bestehe, eine frisch angeeignete Beteiligung nach weniger als einer halben Minute weiterzuverkaufen, das könne ihm keiner erklären, versichert Rainer Voss. Verstehen wollte und will offenbar niemand von den Eingeweihten, solange bloss das Rad des unfehlbaren Glücks sich weiter zu drehen scheint.

Die Penunze gewinnt eine phantomatische Allgegenwart in Worten, Zahlen und Formeln, auf Bildschirm, Papier, Karte und Fensterscheibe; sicht- und hörbar jedoch wird sie weder in baren Scheinen noch in klingender Münze. Selbst Zitate aus dieser oder jener Reportage oder Sendung zum Thema zeigen Bilder von Noten und Handgeld nur zurückhaltend. Denn im Idealfall hat die Reibe etwas zu sein, das einen besitzt oder das besessen wird: verehrt, verwahrt und verrechnet, aber niemals in die Hand genommen, pfui, oder zwecks Beweises unterbreitet; es wäre denn, da schaut keiner hin.

Der Umgang mit dem Gesetz des Schweigens, das bald befolgt, bald gebrochen wird, ergibt im Übrigen den einen Punkt, bei dem <Master of the Universe> von Marc Bauder und <é’expérience Blocher> von Jean-Stéphane Bron einander berühren. Beide Beispiele zeigen, wie Interviewfilme inzwischen, auch zufolge ihrer massenhaften Verbreitung, feiner abgestufte Formen und Töne entwickelt haben, jenseits von Protest und Propaganda. Statt einfach aufgeregt, neugierig und vertrauensselig, gehen heute die Befragten und Porträtierten viel umsichtiger zu Werke, indem sie die dokumentarischen Arbeiten gleich selber mit entwerfen, die sie dann drehen lassen. Mehr als einmal unterbricht Rainer Voss, ehe ihm ein Wort zu viel entschlüpft, und möchte das eine oder andere, etwa aus seinem Familienleben, lieber übersprungen sehen oder es auf sich beruhen lassen.

In der erstickenden Umarmung

Es wäre dem entlaufenen Seiltänzer zu wünschen, dass er sich aus der erstickenden Umarmung noch restlos wird lösen können. Einstweilen scheint immerhin die Gefahr gebannt, der gut genährte einstige Meister des Universums könnte der Armengenössigkeit anheimfallen. Im Besitz des Zasters kann jedermann sein und bleiben; doch finanziell korrekt ist der Ausdruck umgekehrt zu deuten: indem die garstige Schmiere Besitz ergreift von ihrem Besitzer und ihn, versklavt wie einst Onkel Dagobert, in dem köstlichen Schlamassel untergehen lässt.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 7/2013 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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