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No 01

¡No!

¡No!, entstanden nach dem Theaterstück «Referendum» von Antonio Skármeta, ist der dritte Film, den Pablo Larraín nach Tony Manero (2008) und Post Mortem (2010) über das Chile der Pinochet-Diktatur gemacht hat. Eine Verbindung, die erst gar nicht beabsichtigt war, in der Rückschau aber doch Sinn ergibt, weil stets Figuren im Mittelpunkt stehen, die sich von der politischen Situation unberührt glauben.

Text: Michael Ranze / 13. Mär. 2013

Am Schluss greift sich René Saavedra sein Skateboard, wirft es auf den Asphalt und braust mit Schwung lachend davon, nicht nur wegen der Freude an der mühelos scheinenden Bewegung – René lacht, weil eine Last von ihm abgefallen ist. Er hat eine Kampagne gewonnen, er hat ein Land verändert. Und so wird das Skateboard zum Symbol der jungenhaften Unbeschwertheit, die Vorwärtsbewegung zum Äquivalent des Blicks nach vorn.

Wir befinden uns im Chile des Jahres 1988. Seit 1973 schon unterdrückt das Pinochet-Regime die Bevölkerung mit brutaler Hand. Der internationale Druck auf den Diktator wird immer grösser, und so erklärt er sich bereit, ein Referendum um den Erhalt seiner Macht durchzuführen. «Si» – das wären acht weitere Jahre unter seiner Fuchtel, «No» – dann wäre der Weg frei für demokratische Wahlen. Eine Verneinung, eine Weigerung, ein negativer Wunsch, wenn man so will – das ist zumindest eine Option, eine Wahl, eine Chance. Doch Pinochet hält die Fäden in der Hand, sein Regime kontrolliert die Medien. Und so muss sich die Opposition vier Wochen vor der Wahl mit einem täglichen, aber nur fünfzehnminütigen TV-Slot zu mitternächtlicher Stunde zufrieden geben. Pinochet glaubt nicht wirklich daran, das Referendum zu verlieren.

Auftritt René Saavedra, smarter, hochintelligenter Werbefuzzi mit Sinn für das Ironische, Witzige, Positive, so eine Art Don Draper (aus Mad Men) Südamerikas, immer mit einer Idee zur Stelle, wenn anderen nichts mehr einfällt. Bis vor kurzem hat er noch Werbung für Softdrinks gemacht, jetzt kümmert er sich – engagiert von der zersplitterten Opposition – um Politik, und zu den schönen Ideen des Films von Pablo Larraín zählt, dass dies für Saavedra (der auf die Leiter der historischen Werbekampagne Juan Forch und Eigenio García zurückgeht, die wiederum in Nebenrollen zu sehen sind) keinen Unterschied macht. Er ahnt instinktiv, dass es nicht darum gehen kann, Pinochet an den Pranger zu stellen, seine Greueltaten aufzuklären, in die Vergangenheit zu blicken. Tote, Gefolterte, Verschwundene – das sind schlechte Nachrichten. «La alegría ya viene», «Die Freude kommt», dazu ein Regenbogen als Symbol, Clips von fröhlichen Menschen, die singen und tanzen: Pinochet gerät in die Defensive. Doch dann Verfolgung, Überwachung, Bedrohung – das System wehrt sich.

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Das wirft mehrere Fragen auf: Macht sich Saavedra nicht zum Helfer eines Regimes, indem er die Spielregeln von Pinochets Charade – und als solche wird das Referendum von vielen Linken empfunden – akzeptiert? Ist sein hemmungsloser Populismus nicht ein Verrat an den vielen Opfern der Schreckensherrschaft? Oder heiligt der Zweck die Mittel, auch jenen optimistischen, antiintellektuellen Pragmatismus, für den Saavedra stellvertretend steht? Auf die Spitze getrieben wird dieser Konflikt ausgerechnet durch seinen Boss Lucho Guzman, der innerhalb der Agentur auch eine Kampagne betreibt, allerdings für das Pinochet-Regime, und nun seinen besten Mann auf seine Seite ziehen will. René lehnt ab, der Rest ist Geschichte, und dass ein Diktator durch eine demokratische Wahl gestürzt wurde, macht diese Geschichte so einzigartig.

¡No!, entstanden nach dem Theaterstück «Referendum» von Antonio Skármeta, ist bereits der dritte Film (und somit das Ende einer Trilogie), den Pablo Larraín nach Tony Manero (2008) und Post Mortem (2010) über das Chile der Pinochet-Diktatur gemacht hat. Eine Verbindung, die erst gar nicht beabsichtigt war, in der Rückschau aber doch Sinn ergibt, weil stets Figuren im Mittelpunkt stehen, die sich von der politischen Situation unberührt glauben, es in Wahrheit natürlich nicht sind. Die wichtigste Frage für Larraín bei ¡No!: Wie finde ich Bilder für die Vergangenheit, ohne die Vergangenheit zu verraten? Ein Drittel des Films besteht aus dokumentarischem Archivmaterial, aufgenommen mit analogen Ikegami-Umatic-Kameras im Format 4:3, und so sollten auch die narrativen Passagen des Films entstehen. Eine Entscheidung, die zwangsläufig dazu führt, «dass der Zuschauer vom Bild her nie genau wissen kann, was Archivmaterial ist und was für den Film gedreht wurde», berichtet der Regisseur in den Produktionsnotizen. «Es ging uns um eine Verschmelzung von Raum und Zeit.» Es gibt keinen Bruch mehr, Fiktion und Wirklichkeit gehen ineinander über, bedingen sich sogar. Ein überaus cleveres Konzept, weil der Erzählfluss hier nicht durch eingeschobene, fremd wirkende TV-Nachrichten gestört wird. Für das ästhetische Ergebnis auf der Kinoleinwand hat die Verwendung der Umatic-Kameras weitreichende Folgen, besonders bei digitalen Vorführungen. Schmutzige Bilder, verwaschene Konturen, grelle Überbelichtungen, blasse Farben, die ineinander übergehen zu scheinen, und blendendes Gegenlicht, das andere Bildinformationen überstrahlt und somit zum wesentlichen Gestaltungselement wird: Das ist gewöhnungsbedürftig, zugegeben, doch hat man sich erst einmal auf diesen eigenwilligen Look eingelassen, wird man wie von einem Sog mitgetragen. Lebendig gehaltene Geschichte, die die Brücke zu heute schlägt, denkt man an die Regierungswechsel in Frankreich und den USA, vor allem aber in der arabischen Welt.

Natürlich ist ¡No! auch ein Film über die Werbung, über ihre Lügen und Manipulationen, über ihre Aussenlenkung und Oberflächlichkeit. «Es ist alles eine Kopie einer Kopie einer Kopie», ruft Veronica, Saavedras entfremdete Frau, einmal voller Entsetzen. Vielleicht ist Werbung aber auch eine grobe Kunst, die Diktatoren ein Bein stellt. Auch diese Ironie ist von Larraín beabsichtigt.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 2/2013 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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