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Amantes pasajeros 01

Los amantes pasajeros

Text: Michael Lang / 24. Apr. 2013

Nach dem unterkühlt-eleganten, trashig-sperrigen Transgender-Thriller La piel que habito und famosen Melodramen wie Los abrazos rotos, Volver oder Habla con ella kapriziert sich Spaniens Filmikone Pedro Almodóvar mit einer zwar flott servierten, aber an seinem Standard gemessen doch sehr leichtgewichtigen Komödie. Angelegt ist sie als Huis-Clos-Drama über den Wolken – eine Idee, die nach der Hollywood-Comedy Airplane! (1980) von Jim Abrahams und David Zucker längst nicht mehr neu ist, aber noch immer etwas Bestechendes hat.

Die Story beginnt in Madrid, ein Jet der fiktiven Gesellschaft «Peninsula» wird startklar gemacht – von zwei langjährigen Almodóvar-Mitstreitern: den Hollywoodstars Antonio Banderas und Penelope Cruz. Sie spulen ihren superkurzen, aber werbewirksamen Cameo-Auftritt ab und verschwinden. Weiter geht es im Flugzeug selbst, das auf dem Weg nach Mexiko wegen gravierender technischer Probleme noch über spanischem Territorium umkehren muss. Leider ist kein Landeplatz frei, so kreist Kurs 2549 über der Gegend von La Mancha.

An Bord ist nun alles zu tun, um eine Panik zu verhindern. Darum wird den Gästen in der prallvollen Economy-Class (und den Stewardessen ebenso!) ein Schlafmittel in die Getränke gegeben. Bald sind alle ruhig-gestellt, der Vorhang zur Business-Class wird zugezogen. Dort sind ein halbes Dutzend Passagiere mit der männlichen Restbesatzung nun allein. Sie besteht aus drei tuntigen Stewards (brillant: Javier Cámara, Raúl Arévalo, Carlos Areces) und aus zwei Piloten, die sich aus Statusgründen anfangs hetero-orientiert geben, aber aus ihrer Bisexualität bald kein Hehl mehr machen.

Das kokette Jonglieren mit sexuellen Präferenzen gehört zum Stilprinzip des bekennenden Homosexuellen Almodóvar und dient ihm oft als Transmissionselement für provokante, skurrile, sozialkritische Seitenhiebe. In Los amantes pasajeros wird Sex zum dominierenden Stimulans gegen Todesgefahr. Besonders, nachdem sich Personal und Fluggäste mit Tequila und anderen geistigen Getränken zugedröhnt haben. Dann wird, salopp gesagt, verbal und handfest kopuliert, in der Kabine und sogar im Allerheiligsten eines jeden Fluggefährts: im Cockpit – nomen est omen!

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Zugange sind ein ewiges Mädchen mit hellseherischen Fähigkeiten, das seine Jungfräulichkeit verlieren will; eine reife Berufsdomina mit delikaten Verbindungen ins Königshaus; ein Mime mit mehreren Geliebten; ein fieser Geschäftsmann sowie ein sexbesessenes Flitterwöchner-Paar. Der Bräutigam, ein Drogendealer, verteilt zwecks ultimativer Steigerung des Lustempfindens generös Meskalin aus Kapseln, die er im Allerwertesten an Bord geschmuggelt hat. Unappetitlich? Nein, denn man diskutiert verzückt die Vorzüge von Hinterteilen an sich und im Speziellen. Klar, dass man bei so viel eindeutiger Zweideutigkeit beinahe den mitfliegenden Auftragskiller vergisst, der wie die anderen Business-Class-Passagiere gute Gründe hat, nach Mexiko abzuhauen.

Das leichthändig inszenierte Lust-Spiel aalt sich gar derb im phallischen Humor und weist eine gewisse Pointen-Redundanz auf. Allerdings ist die Potenz (um im Jargon zu bleiben) des Ensembles jederzeit beeindruckend. Das gilt auch für die formale Gestaltung. Los amantes pasajeros ist Pedro Almodóvars erster Film, der ganz digital gedreht wurde. Jedoch von einem seiner analogerfahrenen Stamm-Kameramänner José Luis Alcaine, der für eine gewohnt stilsichere Farbgebung und eine reizvolle Werbespot- und Tele-Novela-Anmutung sorgt. Doch – anders als in den schrill bunten, anarchistischen Kinodelikatessen der achtziger und neunziger Jahre – mangelt es an der explosiven Almodóvar-Mischung aus Versatzstücken des surrealistisch-absurden Theaters und dem originären narrativen Esprit, der Tabuthemen satirisch, punktgenau zuspitzte. Davon ist höchstens in den Szenen etwas spürbar, wo die Fluggäste über ein Bordtelefon Kontakt zur Aussenwelt aufnehmen, das aufgrund einer Fehlschaltung mit den Kabinenlautsprechern gekoppelt ist, sodass jeder alles mithören kann. Hübsch auch eine Passage, wo gezeigt wird, was einer der Anrufer unten auf der Erde in der Gefühlsstruktur seiner beiden stutenbissigen Geliebten auslöst. Zu erwähnen bleibt zudem die umwerfend choreografierte Discoeinlage des Trio-Infernale im Steward-Outfit zum Ohrwurm «I’m So Excited» von The Pointer Sisters.

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Almodóvar hat betont, dass Los amantes pasajeros als Metapher auf den desolaten wirtschaftlichen Zustand Spaniens zu sehen sei. Was, bei allem Respekt gesagt, etwas weit hergeholt ist. Denn der tiefere Sinn der wenigen diesbezüglichen Andeutungen erschliesst sich einem nicht wirklich. Ausser vielleicht am Schluss: Das Flugzeug landet, trotz einem Fahrwerk weniger, sicher, und die glücklichen Passagiere schwärmen auf dem Gelände aus. Dem menschenleeren Ort haftet aber etwas Friedhof-ähnliches an. Kein Wunder, denn es handelt sich um den 2008 eröffneten, 2012 wieder geschlossenen, ersten privat betriebenen Airport Spaniens in Ciudad Real. Er ist Paradebeispiel für die kolossale Bau-Misswirtschaft, die das Land mit an den Abgrund des ökonomischen Ruins gerissen hat.

Augenzwinkernd gut gewählt, dieser Schauplatz: In der Gegend ist nicht nur das spanische Nationalepos «Don Quijote» verortet, sondern auch der Geburtsort des filmischen Vordenkers der legendären Movida Madrileña, die nach dem Tod des Diktators Francisco Franco 1975 die alternative spanische Kulturlandschaft befruchtend revolutionierte: Pedro Almodóvar.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/2013 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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