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To the Wonder

Alles bewegt sich. Bond-Girl Olga Kurylenko breitet die Arme aus, wirbelt durch Kornfelder, Strassen, über Wiesen und Plätze. Die Kamera tanzt und fliegt mit ihr dahin, schwebt über Dächer, gleitet durch Zimmer, Flure. Ständig unterwegs, auf einer Suche, die nur anfangs unbeschwert wirkt, am Ende vor allem rastlos, haltlos. Dabei haben Marina und Neil doch gleich zu Beginn die Stufen zum Wunder erklommen.

Text: Erwin Schaar / 31. Juli 2013

Alles bewegt sich. Bond-Girl Olga Kurylenko breitet die Arme aus, wirbelt durch Kornfelder, Strassen, über Wiesen und Plätze. Die Kamera tanzt und fliegt mit ihr dahin, schwebt über Dächer, gleitet durch Zimmer, Flure. Ständig unterwegs, auf einer Suche, die nur anfangs unbeschwert wirkt, am Ende vor allem rastlos, haltlos. Dabei haben Marina und Neil doch gleich zu Beginn die Stufen zum Wunder erklommen. Zum «Wunder des Abendlandes», wie der Klosterberg Mont-Saint-Michel an der Küste Nordfrankreichs genannt wird. Und damit natürlich zum Wunder ihrer Liebe. «Du hast mich aus dem Schatten geführt», wispert Marina aus dem Off, «du hast mich vom Boden aufgelesen» und noch reichlich mehr solcher Poesiealbumslyrik. Spätestens da wird das Wagnis deutlich, das Terrence Malick mit seinem neuen, hochambitionierten Werk unternimmt.

Der Mut, mit dem Malicks Drehbuch alles ignoriert, was man in einem Filmseminar an goldenen Dramaturgieregeln so beigebracht bekommt, ist bewundernswert. Gesprochen – oder eigentlich eher: geraunt – wird fast nur im Off. Selten finden Bild und Ton zu einem “normalen” Dialog zusammen. Ungleich öfter bewegen die Protagonisten tonlos ihre Lippen, während dazu Hanan Townshends sphärisch-melancholische Klänge wahlweise schwelgen oder dräuen und die verschiedenen Figuren ihre Gedanken, Erinnerungen, Eindrücke, manchmal auch Gesprächsfetzen auf Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch mehr hauchen als aussprechen. Eine Handlung gibt es zwar, aber sie wird von der wuchtigen Präsenz der Bilder, einer bizarren Melange aus romantischen Kinogemälden, Postkartenkitsch und naturalistischen Milieustudien, in den Hintergrund gedrängt. Man muss das Geschehen aus dieser furchtlosen Collage von Szenen und Stilen erst rekonstruieren, es zwischen den in dokumentarischer Härte fotografierten Elendsgesichtern und den sich im Gegenlicht erhaben ausbreitenden Landschaften zusammensuchen.

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Zu Beginn, auf dem Mont-Saint-Michel, in Paris und Frankreich lieben sich Marina und Neil noch, auch wenn Ben Affleck den Geliebten hier schon demonstrativ passiv spielt, seltsam regungslos, wortkarg, während Marina, die Liebende, im Off von ihrem Glück schwärmt und im On mädchenhaft kreatürlich um den Geliebten herumschwirrt, herumhüpft, lächelnd, lachend, scheinbar ausgelassen. Dann zieht die Französin mit ihrer Tochter zu Neil in die Vereinigten Staaten. Ihr gemeinsames Haus in einer Kleinstadt in Oklahoma bleibt bis zum Schluss halbleer, provisorisch, die Liebe in den Umzugskartons stecken. Trotzdem flattert Marina noch eine ganze Weile weiter, bis sie sich schliesslich mehr windet als dreht. Stattdessen vollführt an Neils Seite plötzlich eine andere ihre Pirouetten: Jane, eine alte Jugendliebe, amerikanisch-blond, leicht zu unterscheiden von der leidenschaftlichen dunkelhaarigen Marina. Einmal balanciert Jane auf einem Zuggleis. Da ist sie glücklich.

Auch Jane und Neil erreichen gemeinsam wunderbare Höhen. Statt auf den Mont-Saint-Michel klettern sie auf das Dach ihres Autos; irgendwo im weiten Weideland, umgeben von einer Bisonherde, in die sich die Kamera nur in ehrfurchtsvoller Stille hineintraut. In diesem epiphanischen Augenblick überträgt sich das Staunen des Liebespaares. Ein kostbarer Kinomoment. Doch ein paar Schnitte später legt Neil, der noch immer quälend lethargisch und abweisend dreinschaut, Jane einen Strick um die Handgelenke. Eine nur schwer zu missdeutende Symbolik. Kurz danach ist die Affäre beendet. Marina kehrt zu Neil zurück; diesmal allerdings ohne Tochter. Neil und Marina heiraten, werden aber trotzdem nie mehr so recht glücklich. Sie sucht einen Priester auf, Pater Quintana, der selbst auf der Suche nach einer verlorenen Liebe ist. Angesichts des sozialen Elends, das ihm in einer Sozialsiedlung mit albtraumhafter David-Lynch-Aura tagtäglich begegnet, zweifelt er an Gott. Und dank Javier Bardems kraftvollem Spiel könnte man ihm das auch beinahe abnehmen, würde die Montage sein Ringen nicht zerstückeln und ins Allgemeingültige, Metaphysische entrücken.

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as nämlich ist es, worum es Malick geht: ums Ganze. Nicht um noch eine Liebesgeschichte. Statt mit Handlungen hantiert er lieber mit sprechenden Bildern, expressiven Gesten. Klischees sind bei einem solchen Kinovisionär keine unerwünschten Nebenprodukte, sondern Rohmaterial. Ausdrucksstarke, symbolmächtige, stummfilmartige Bilder verbindet er zum Mosaik einer urmenschlichen Sinnsuche, bei der das flüchtige Glück zwar aufflackert, sich aber nicht festhalten lässt. Wie zuletzt mit Tree of Life wagt sich Malick mit To the Wonder weit über die narrativen Grenzen herkömmlichen Hollywoodkinos hinaus. Nur kommt er diesmal nirgends an. Die Klischees verselbständigen sich. Junge, moderne Frauen scheinen sich in der Nähe des dauergriesgrämigen Neils zwanghaft in Schmetterlingsmädchen verwandeln zu wollen. Das ewig Weibliche kreiselt mit ausgebreiteten Armen so lange feenhaft durch die Szenerien, bis einem fast schwindlig wird. Zwischendurch filmt die Kamera zum wer weiss wievielten Mal von unten durch eine Baumkrone den Himmel.

Es ist ein schmaler Grat zwischen Esoterik und Metaphysik, Magie und Kitsch. Terrence Malick, der zuvor in fast vierzig Jahren fünf Filme gedreht hat, legt mit To the Wonder nun nach weniger als zwei Jahren seinen sechsten vor. Vielleicht hätte er sich mehr Zeit lassen sollen. Wer aber das Kino liebt, muss sich eigentlich noch viel mehr solche Autorenfilme und Regisseure wünschen, die den Mut haben, aufs Ganze zu gehen; auch auf die Gefahr hin, damit komplett zu scheitern.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 5/2013 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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