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Blocher 01

L’expérience Blocher

Er habe zu viele Geheimnisse, gesteht der Unternehmer, Industrielle, Magnat, Kunstsammler, Politiker und Polemiker ungefragt gleich selbst, weshalb es schwierig sei, mit ihm und über ihn einen Film zu machen. Citizen B. wird den Milliardären zugeschlagen und hat, lebhaft angefochten und über eine beschränkte Weile hin, in der Regierung seines schmalen Landes gesessen.

Text: Pierre Lachat / 25. Sep. 2013

Politik ist die Weiterführung des Geschäfts mit andern Mitteln. Versprechen lassen sich schnell vom Hals schaffen, indem sie abgegeben werden. Wählerstimmen legt sich ein Anwärter zu, um seinen Umsätzen auf die Sprünge zu helfen. Wer den Rassismus der andern nur bewirtschaftet, ist kaum höher zu achten als jene selbst, die sogenannt Artfremde ausdrücklich verachten und für unerwünscht erklären. Entlang solcher Linien bewegen sich die Gedanken, ungezügelt wie immer, beim Anschauen von L’expérience Blocher.

Indessen spricht der Titel Erfahrung und Versuch, sogar das Experiment an und zielt weder auf Behauptungen noch auf Ursachen, Erkenntnisse oder Vorschläge. Die bemerkenswerte Erscheinung des Citizen B., heisst das, lässt sich keinem abschliessenden Befund unterordnen; schon eher ist an die Eröffnung eines Verfahrens gedacht, das auch einen Freispruch oder eine Einstellung erlaubt und zumal die Anwaltschaften aller Seiten in Atem hält. Ganz im Geiste der Epoche, die den Aufstieg seines Helden gesehen hat, setzt der Film weniger auf Erwiesenes und mehr auf das Etwaige, Erwartete, Erratene und Projektierte, auf Risiko, Nachricht und Gerücht: zwischen Sein und Schein, zwischen Bauernschläue und Luftspiegelung.

Er habe zu viele Geheimnisse, gesteht der Unternehmer, Industrielle, Magnat, Kunstsammler, Politiker und Polemiker ungefragt gleich selbst, weshalb es schwierig sei, mit ihm und über ihn einen Film zu machen. Citizen B. wird den Milliardären zugeschlagen und hat, lebhaft angefochten und über eine beschränkte Weile hin, in der Regierung seines schmalen Landes gesessen. Er kauft sich in allerhand Medien ein, um sie auf Kurs zu bringen. Auch lautet offenbar eine seiner wiederkehrenden Devisen, für jedes Ding gebe es eine Zeit zu reden und eine Zeit zu schweigen. Er beherrscht das eine wie das andere, in gelenkigem Wechselspiel: gelegentlich mitten im Satz.

Alles schon durchgemacht

Die Methode einer unvoreingenommenen Annäherung ohne beigefügte Ausrufezeichen, wie Jean-Stéphane Bron sie befolgt, weist in der Filmgeschichte bis auf den epochalen Citizen Kane von 1941 zurück; darin spielte Orson Welles, weiter heranrutschen war unmöglich, gleich selber den ebenso verehrten wie geschmähten Protagonisten. Dem seinen jetzt versucht Bron, physisch so satt auf die Pelle zu rücken, wie es recht und schlecht komfortabel sein mag; er macht sich aber keine Illusionen über die verbleibende innere Distanz und Reserve.

Kein Zweifel, Bron ist ein Dokumentarist, greift aber auch gern zu Mitteln der Inszenierung: Etwa wenn er beharrlich, wieder und wieder und professionell terminiert, mit in die fahrergesteuerte Limousine des Citizen B. hineinklettert. Aus der Kabine kann der volatile Kerl kaum so rasch entflattern, sein Schatten allerdings ebenso wenig. Die Gefängnisse der Mobilität sind bekanntlich eng und überbesetzt.

Doch was dem Film das Gepräge gibt und seinen Sinn verleiht, ist die Art und Weise, wie die herumkutschierte Persönlichkeit des öffentlichen Lebens, begleitet und beschützt von der wortkargen Gattin, die Anwesenheit eines Rechercheurs, samt seiner Kamera, über sich ergehen lässt: ohne zu murren. Er tut es im offenkundigen Wissen von den vermutlich schwankenden Absichten seines ungewohnten Fahrgastes, mehr aber noch resigniert, ja hilflos, sogar ausgeliefert. Es ist, als käme es Citizen B. kaum noch darauf an, was für Themen auf dem jeweiligen Ausflug wieder zu erörtern oder zu beschweigen seien. Da hat einer alles schon durchgemacht, was es an offenen und versteckten, scheinbaren und echten Anfeindungen geben kann, anderseits aber auch an entsprechenden Respektbezeugungen, Wertschätzungen, Würdigungen, Danksagungen und vermessenen Lobhudeleien.

Bäumlein wechsle dich

Mit gutem Grund, jedoch spürbar überrascht, meinen jetzt viele, der Alte könne einem schon ein wenig leidtun, und zwar ganz abgesehen davon, welches seine wirtschaftlichen und politischen Partnerschaften seien, zu schweigen von der bestimmten einen Formation, die er vorab vertritt. An den Urnen heimst jene Gruppierung bisweilen die meisten Stimmen ein. Alles Heillose wird von ihr in die Fremde abdelegiert, und dem Inland bleibt alles unversehrt Gebliebene gutgeschrieben. Gegen alle wird zur Wachsamkeit angehalten, denen es noch einmal in den Sinn kommen könnte, wer weiss wann, sich als Usurpatoren oder Burgvögte breitmachen zu wollen, wie es einst die inzwischen davongejagten Habsburger taten.

Auf den Veranstaltungen der vereinigten Populisten singt der beliebte Animator zwar nie vor, aber umso lieber mit, von Frohmut ereilt und von den Anhängern demonstrativ beklatscht. Seine Eloquenz stösst im Übrigen an enge Grenzen. Denn es kann kein Mensch volkstümlich und beredt zugleich sein. Wo Einmütigkeit walten soll, klingt einzig das schlichte Wort richtig in den Ohren.

So ist denn Citizen B. weniger im Vollbesitz seiner Kräfte und Aussichten zu sehen und stattdessen aus einer Art von melancholischem Nachhinein heraus, wie es so gern mit der finalen Vergebung sämtlicher Sünden verbunden wird: auch solcher, die nur in Gedanken begangen wurden oder die immer sich noch in Planung befinden. Nur etwas Geduld, gleich wird er alles beichten und bereuen, was bis dahin verschwiegen worden ist, so wähnt das Publikum in atemloser Erwartung. Freilich, das alte Bäumlein wechsle dich, zwischen Reden und Schweigen, ist dann doch stärker bei ihm: noch, vielleicht letztmals.

Sichtbare Elemente einer Biografie

Die besinnlichsten Bilder zeigen ihn umkreist von den gesammelten Gemälden des Albert Anker und dennoch wie verlassen. Allzu lange, und völlig unnötig, wurden sie als folkloristischer Kitsch abgetan; die Kollektion in der Villa ihres Eigentümers, mit dem Panorama von oben auf einen langgezogenen See, scheint den Werken einiges an künstlerischem Rang zurückzugeben.

Dass gerade sie von jemandem wie Citizen B. konserviert und verliehen werden, ausgerechnet, hat eine ganz eigene Konsequenz und wohl auch seine Richtigkeit. Just in einer Angelegenheit von der heikleren Art kann er kaum fehlgehen und benötigt keinen besonderen Beifall. Die matten Farben, der liebevolle Pinselstrich und die ausgewogenen Kompositionen spiegeln eine Welt, die noch ganz in sich zu ruhen glaubte, verschont von kriegerischem Getöse. Und wer hätte für die eine oder andere Form des Idyllischen keine verschämte Schwäche, wenigstens in der Malerei?

Er werde dereinst als verdienter Visionär und Wohltäter anerkannt sein, und auf dem Platz vor dem Parlament hätte ihm die Nachwelt ihre Dankesstatuen zu errichten. So schwärmt jemand, der zu seinen Adlaten, ja Zöglingen gezählt wird. Erst aber müsse der Verehrte sterben, dann sei die Zeit reif für Huldigungen anstelle von übeln Nachreden. Citizen B. kann seinerseits wohl kaum verkennen, welches da der Vater des Gedankens wäre; es ist ein Wunsch, der wohl manche Kritiker und Gegner umtreibt; desgleichen aber sucht er mehr als einen ambitionierten Zudiener heim, wenn früher oder später mit der Erbfolge zu rechnen ist. Wo unverändert nur einer das Sagen wird haben dürfen, schmeissen sie sich gleich scharenweise heran, von langer Hand eingewiesen.

Das umfassende Rätsel

So vermögen also weder Abrechnung noch Denunziation oder gar Verurteilung zu greifen, und sie sollen es auch ruhig unterlassen; was überwiegt, ist ein Abwarten und Zeuge davon werden, wie Citizen B. sich, letztlich naiv, in ein paar sichtbare Elemente seiner Biografie auseinanderfaltet und zerlegt. Die Herkunft aus ländlichekklesiastischem Milieu an den Ufern des Rheins bleibt stets präsent, samt Blick ins benachbarte Ausland; und wäre es nur, weil seine frühen Ahnen, damals womöglich selbst Unerwünschte, aus jenen lichtlosen Gefilden im Norden ins gelobte Land eingewandert waren.

Der Bauernsohn aus vielköpfiger religiöser Familie ist sich selbst geblieben und schiebt einsam die Wacht an jenem väterlichen Gewässer; vom gegenüberliegenden Ufer des Rheins aus, so lässt er landauf landab verbreiten, drohte und droht der Heimat jegliche Bedrängnis und hat ewig zu drohen. Ohne ersichtliche und gegenwärtige Gefahren könnte nichts um sich greifen als Schutzlosigkeit.

Dass er keine einzige seiner zweckgerichteten Behauptungen je bezweifelt, still für sich, wäre noch zu beweisen. Das umfassende Rätsel des Citizen B. aber besteht darin: Was hält er nun persönlich, wenn überhaupt etwas, von Taten, Worten und Gesten, von Siegen und Niederlagen, von Triumph und Schmach, von Auf- und Abstieg, vom Lauf und Irrlauf der Welt, national und international, und von den Mäandern der Geschichte: ob die Bewegungen ihn betreffen oder andere, seine seligen Insulaner oder die tückischen Auswärtigen? Der Eindruck ist schwer beiseitezuwischen, alles im irdischen Jammertal habe er von Anfang an bloss erdauert und möge es länger nicht tragen mehr. Und schon ist er Geschichte, Schlaufe rückwärts vorbehalten.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 6/2013 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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