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12 Years a Slave

In Hunger und Shame hatte Steve McQueen die Extreme seiner Protagonisten ausgelotet und in streng komponierte, kühle Bilder gekleidet. Sein neuer Film mag da in der Erzählhaltung konventioneller sein, in den lichtdurchfluteten Cinemascope-Bildern der farbigen Baumwollfelder, der grünen Landschaften Louisianas und der opulenten Herrenhäuser auch schöner”, verführerischer, fast märchenhaft. Und doch hat Steve McQueen erneut einen Film inszeniert, der dem Zuschauer nichts erspart und ihn zwingt hinzusehen.

Text: Michael Ranze / 22. Jan. 2014

Es gibt eine Szene in diesem Film, die seine Essenz – ohne dass erklärende Worte nötig wären – exemplarisch beschreibt. Ein schwarzer Sklave baumelt, gelyncht von drei weissen Männern, an einem Ast. Nur sein gestreckter Fuss erlaubt noch Kontakt zum Boden, und so würgt der Mann, während seine Augen vor Entsetzen und Todesangst hervorquellen. Im Hintergrund spielen derweil schwarze Kinder, als sei es das Selbstverständlichste von der Welt, ihre Mütter verrichten achtlos weiter ihre Hausarbeit. Mehrere Minuten dauert diese Qual – bis endlich der weisse Hausherr den Schwarzen losschneidet und rettet. Eine Szene, die ein grosses Dilemma verdeutlicht: Schwarze Sklaven hatten im Amerika des neunzehnten Jahrhunderts nie die Möglichkeit, sich gegenseitig zu helfen, Solidarität zu zeigen oder gar sich aufzulehnen. Jeder Widerstand wäre sofort grausam im Keim erstickt worden. Die beste Strategie, um zu überleben, ist – so heisst es einmal im Film – nicht aufzufallen, ohne Murren die auferlegte Arbeit zu verrichten und Fähigkeiten wie Lesen und Schreiben zu verheimlichen. Das Misstrauen der Baumwollpflücker untereinander und ihre Isolation ist pures wirtschaftliches Kalkül: Nur so lassen sie sich gewinnbringend ausbeuten. Vor diesem Hintergrund erzählt der neue Film von Steve McQueen die wahre Geschichte eines freien Afroamerikaners, der entführt und versklavt wurde. Und sich trotzdem nicht brechen liess. «I don’t want to survive», sagt er einmal, «I want to live.» Genau dieser Unterschied macht seine Menschenwürde aus.

Die Handlung beginnt 1841 in Saratoga im US-Staat New York, zwei Jahrzehnte vor Ausbruch des Amerikanischen Bürgerkriegs. Solomon Northup arbeitet als Tischler, spielt vorzüglich Geige und hat sich mit Frau und zwei Kindern ein bürgerliches Leben aufgebaut. Ein anerkanntes Mitglied der Gesellschaft also, und seine gepflegte Kleidung zeugt von bescheidenem Wohlstand. Die Beschreibung einer normalen Existenz in einem normalen Staat lässt das nun folgende Verbrechen umso grausamer erscheinen. Zwei Männer eines Wanderzirkus engagieren Northup für einen kurzfristigen Musikerjob in Washington, D. C., anschliessend laden sie ihn zum Essen in ein Restaurant ein. Als er am nächsten Morgen mit schwerem Kopf aufwacht, findet er sich in Ketten gelegt auf einem Sklavenschiff nach Louisiana wieder. Northup ist entführt und verkauft worden, seine Proteste und Hinweise auf seinen Status als freier Mann werden sogleich mit Prügel beantwortet. Das Wort eines schwarzen Mannes gilt hier nicht viel, und da ist niemand, der sich für ihn einsetzen würde. Obwohl nicht jeder Weisse, mit dem es Northup im Folgenden zu tun bekommt, ein schlechter Mensch ist, partizipieren und profitieren die Sklavenhalter doch willentlich von einem System, das auf der Ausbeutung der Schwarzen beruht.

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Drehbuchautor John Ridley hat North-ups gleichnamige Memoiren, die 1853 erschienen sind, verschlankt und lässt die Hauptfigur, die sogar ihrer Identität beraubt wird und fortan Platt Hamilton heisst, drei Mal den Besitzer wechseln. Während zwei von ihnen, dargestellt von Benedict Cumberbatch und Bryan Batt, sich angesichts der Umstände als halbwegs anständige Kerle, die Northup sogar zum Geigenspiel ermuntern, erweisen, wird der von Michael Fassbender gespielte Edwin Epps zu seiner Nemesis. Ein Mann, der stolz darauf ist, den Willen von Sklaven zu brechen, koste es, was es wolle.

In Hunger und Shame hatte Steve McQueen die Extreme seiner Protagonisten ausgelotet und in streng komponierte, kühle Bilder gekleidet. Sein neuer Film mag da in der Erzählhaltung konventioneller sein, in den lichtdurchfluteten Cinemascope-Bildern der farbigen Baumwollfelder, der grünen Landschaften Louisianas und der opulenten Herrenhäuser auch “schöner”, verführerischer, fast märchenhaft. Und doch hat Steve McQueen erneut einen Film inszeniert, der dem Zuschauer nichts erspart und ihn zwingt hinzusehen. Die Beleidigungen, Demütigungen, Erniedrigungen, vor allem aber die körperlichen Bestrafungen, manchmal aus nichtigem Anlass, sind für den Zuschauer nur schwer zu ertragen, wegen ihrer ausführlichen Länge, wegen ihrer Brutalität und wegen des zurückhaltend-distanzierten Blicks, mit dem sie gezeigt werden. Fast scheint man sich in einem Horrorfilm zu befinden. Diese Szenen belegen, wie wenig das Leben eines Schwarzen gilt, wie sehr ihm das Menschsein verweigert wird. Dabei schlägt die Unbarmherzigkeit und Grausamkeit des Films nie in Mitleid um, statt Rührung stellt sich Entsetzen ein. Wenn eine junge Sklavin, die von Epps – zum Unwillen seiner Frau – mehrmals vergewaltigt wird, Northup anfleht, ihr Leben (und damit ihr Leiden) zu beenden, könnte dies kaum deprimierender sein.

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McQueen erzählt seinen Film ganz aus der Sicht Northups und lässt den Zuschauer so unmittelbar an dessen Erfahrungen teilhaben. Wir sehen das Geschehen durch seine Augen. Das führt zwangsläufig dazu, dass Chiwetel Ejiofor die grösste Last des Films trägt. Wie er den ganzen Film über die Würde seiner Figur bewahrt und auch die körperlichen Belastungen erträgt, ist bewundernswert. Aber auch Paul Dano (als rassistischer Vorarbeiter), Lupita Nyong’o (als junge Sklavin) und Brad Pitt (als hilfsbereiter Arbeiter aus Kanada) haben kurze, prägnante Auftritte.

Das Ende, im Filmtitel bereits angekündigt, kommt dann nach über zwei Stunden unspektakulär, unpathetisch, kurz, fast beiläufig daher. Es hat weder etwas Befreiendes noch etwas Erfreuliches. Dafür hat Solomon Northup zwölf Jahre lang viel zu sehr gelitten.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2014 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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