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Im Keller: Zwischen Hitlerporträts und Babypuppen

Es ist durchaus nicht so, dass jeder seine Leichen im Keller hat, wie gerne behauptet wird. Aber Einem Ulrich Seidl, kann Österreich natürlich nichts vormachen.

Text: Till Brockmann / 10. Dez. 2014

Es ist durchaus nicht so, dass jeder seine Leichen im Keller hat, wie gerne behauptet wird. Viele bewahren dort nur ihre Skiausrüstung auf oder Quittengelee. Sie waschen Wäsche, basteln und spielen Schlagzeug – wenn es arg kommt, rauchen sie nebenbei einen Joint. Mindestens die Hälfte der Menschheit hat wohl gar keinen Keller: In der asiatischen Baukunst beispielsweise ist dieser in der Regel nicht vorgesehen, da fehlt also nicht nur Stauraum, sondern auch ein mögliches Tummelfeld der Perversionen. Arme Asiaten.

Doch im Westen ist dieses lieb gewonnene Gemach, das am Ende einer in die Tiefe (ver)führenden Treppe liegt, zum Sinnbild des Verborgenen, des Verdrängten, der kindlichen Angst vor der Dunkelheit, des Unbewussten und damit der psychischen Abgründe geworden. Von wegen Quittengelee! Dazu kommt, dass darüber die gute Stube oder der blumenbebeetete Garten liegen, Repräsentations- und Prahlräume des wackeren Kleinbürgertums. Diese implizite Antithese: Bei uns ist alles in Ordnung.

Einem Ulrich Seidl, der das österreichische Bürgertum seit langem als wichtigsten Stofflieferanten angeheuert hat, kann man damit natürlich nichts vormachen. Spätestens nach den weltweit publik gewordenen Verbrechen von Wolfgang Priklopil und Josef Fritzl – nach Seidls Angaben sogar schon vorher – war es an der Zeit, in den österreichischen Keller filmisch vorzudringen. Natürlich suche er dort nach Abgründigem und nicht nach Harmlosigkeiten, obwohl die eben genannten unfassbaren Straftaten auch filmisch niemals fassbar sein werden, beteuert der Regisseur. Das Projekt begann mit einer intensiven Recherchearbeit nach Menschen, die nicht nur (zumeist schamlose) Hobbys haben, sondern auch gewillt sind, diese einer medialen Öffentlichkeit preiszugeben. Dabei habe er bemerkt, dass viele unterirdische Räumlichkeiten von Einfamilienhäusern fast grosszügiger angelegt seien als die Wohnflächen darüber, sagt Seidl.

Ist eine Kamera dabei, wenn Individualisten, passionierte Sonderlinge oder einfach nur platte Hinterwäldler ihren nicht ganz stubenreinen und deshalb ins Tiefparterre verbannten Leidenschaften frönen, ist der Voyeurismusverdacht nicht weit. Zwar gibt es auch Protagonisten, die sich keine Entgleisungen zuschulden kommen und nur die Modelleisenbahn im Kreis fahren lassen, doch dann kommen sie geballt, die fetten Frauen, die sich gerne sexuell erniedrigt sehen, und als Gegenpart der Typ, der sich von Frau Gemahlin am Gemächt aufhängen lässt. Die nun wirklich verstörende Nachbarin, die aus Pappkartons lebensechte Säuglinge hervorholt, um sie mütterlich zu liebkosen, oder die hirnblanken Stammgäste des Schiesskellers, die mit Bier in der Hand über Türken und andere muslimische Einwanderer urteilen: «Die können nicht logisch denken, die stinken und die ficken unsere Weiber und erzählen es auch noch herum» (Zusammenfassung). Der Betreiber der Anlage fügt noch mit historischer Weitsicht hinzu, heutzutage gebe es zudem viele Hassprediger, so etwas hätte man früher nicht gekannt – dabei drängt sich doch gleich einer in die Erinnerung, so ein Österreicher mit kleinem Schnurrbart, der in anderen Kellern noch immer kräftig verehrt wird, wie der Film später zeigt.

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Voyeurismus also? Auf jeden Fall, der baumelt wie ein Damoklesschwert über dem eigenen, selbstgerechten Ethos. Schaudern? Häufig. Belustigung und Überlegenheitsgefühle? Auch ein bisschen, zumal das Kellergeschoss es einem geradezu anbietet, die Menschen von oben zu betrachten. Trotzdem ist Ulrich Seidl, der nach mehreren Ausflügen in den Spielfilm endlich mal wieder eine dokumentarische Arbeit vorlegt, viel zu klug und filmsprachlich versiert, um in ein dumpfbackiges, RTL-isiertes Reportagenformat abzugleiten. Der Film besticht durch ein klares ästhetisches Programm, und dem Publikum bieten sich allerhand elegante und listige formale Schachzüge, damit es sich von der Schelte der puren Sensationslüsternheit mit gutem Gewissen davonheucheln kann. Das ist eine nicht geringe Leistung, denn Exhibitionisten richtig auszustellen ist schwieriger, als man denkt!

Es steht ausser Frage, dass die Menschen vor der Kamera wussten, was mit ihnen geschieht. Dass sie aktiv und im Kielwasser ihrer eigenen Eitelkeit, diesem betonten Stolz auf das Anderssein, der sich als Reaktion auf die bornierte Mehrheit versteht, den medialen Raum für sich nutzen wollten. Über diese Selbstinszenierung stülpt sich dann die strikte, fast schon sterile bildliche Anordnung des Regisseurs – unter Beihilfe des hervorragenden Kameramanns Martin Gschlacht.

Seidl präsentiert seine Protagonisten in einer Abfolge von Tableaus, in augenzwinkernder Frontalität, die ebenso darbietend wie gekünstelt wirkt. Eine der Hauptgestaltungsprinzipien ist dabei die axiale Symmetrie, die nicht nur im Raum gesucht, sondern offensichtlich für den Kamerablick auch aufbereitet wird. So darf etwa der Betreiber des Schiesskellers seine Reden vor immer wieder neuen grafischen Choreografien abhalten, bei denen Tisch, Stühle und Aushänge an der Wand nach Belieben disponiert sind. Und der bekennende Hitler-Fan und Alltagssäufer tut einem fast schon leid, wie er vor Heizungsrohren, neben Warmwasserkessel und Familienporträts in die Posaune blasen muss – laut Seidl ist er kein Nazi, «sondern ein Nostalgiker, der die Hitler-Zeit verharmlost». Auch sprichwörtlich «düstere Keller» finden in diesem Vitrinenspiel fast keinen Platz: Sie sind meistens dezent ausgeleuchtet wie Fotostudios und werden so zur Kulisse ihrer selbst.

Darunter leidet die Glaubhaftigkeit jedoch nicht, ausser man ist in Sachen Dokumentarfilm zu gutgläubig und empört sich beispielsweise über nachträgliche mediale Enthüllungen wie jene, dass die Episode mit der Puppenfetischistin in manchen Aspekten sogar konstruiert wurde: Eigentlich hält sie ihre Lieblinge in der Wohnung und steigt nicht im Morgenmantel das Treppenhaus hinab, wie im Film zu sehen. Doch gerade diese Skepsis dem Dokumentarischen – und damit auch dem Voyeuristischen – gegenüber schreibt Seidl in seine transparenten Überinszenierungen gekonnt mit ein.

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Wenn der Film und sein formaler Rigor etwas befremden, dann eher, weil Letzterer es zuweilen noch schwerer macht, das sowieso Lachhafte gebührend ernst zu nehmen und nicht als blosse Folie zu betrachten. Die meisten Abartigkeiten sind fast schon gesittet, das Fremde zu familiär oder halt so jämmerlich erwartbar. Welche Normalos die Abnormalen sind, drückt sich auch in der Sprache aus. Da erklärt uns die Masochistin, was sie fühlt, wenn sie sich auspeitschen oder Nadeln durch die Brustwarzen stechen lässt, mit einem «da kann ich die Seele baumeln lassen». Das gleiche Vokabular benutzt sie wohl auch für die Strände Mallorcas oder Spa-Besuche.

Spannend ist hingegen die letzte Einstellung in Seidls Souterrain: Eine nackte Frau, die in einen engen Käfig eingepfercht wurde. Vielleicht eine bildliche, selbstironische Metapher für den Film als Ganzes. Oder ein Hinweis darauf, dass die im Schutze des Kellers angestrebte und ausgelebte Freiheit nur bedingt als solche gelten kann. Oft ist sie nicht viel mehr als eine zwanghafte Reflexbewegung, eine ebenso stiere Kehrseite des normierten Lebens ober- und ausserhalb des Souterrains.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 8/2014 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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