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Nightcrawler 01

Nightcrawler

Mir nicht, den andern schon. So hätte wohl das klassische Jein auf die Frage zu lauten, ob es Spass mache, selber verschont zu bleiben, sich aber am Elend der Leute dennoch zu weiden. «Unglücksfälle und Verbrechen» heisst oder hiess herkömmlich jene Sparte in den Medien, der es obliegt, die Kundschaft mittels heilsamen Schreckens, täglich verabreicht wie eine Tablette, in Sicherheit zu wiegen.

Text: Pierre Lachat / 10. Dez. 2014

Mir nicht, den andern schon. So hätte wohl das klassische Jein auf die Frage zu lauten, ob es Spass mache, selber verschont zu bleiben, sich aber am Elend der Leute dennoch zu weiden. «Unglücksfälle und Verbrechen» heisst oder hiess herkömmlich jene Sparte in den Medien, der es obliegt, die Kundschaft mittels heilsamen Schreckens, täglich verabreicht wie eine Tablette, in Sicherheit zu wiegen. Dem Verkehr, allerhand Feuersbrünsten und sonstigen Desastern, Schläger- und Schiessereien fallen immer nur die andern zum Opfer. Verlässlich will es das Publikum bestätigt finden, um sich zu freuen: Ich bin heil und gesund, davonkommen ist alles. Jede Form des Verderbens hat mir von der Pelle zu bleiben, und werden die Richtigen davon ereilt, dann zu ihrem verdienten Nach- und meinem legitimen Vorteil.

Die allzu menschliche Neigung zu einer Art blinder Schaulust umschreibt <nightcrawler> am Beispiel des Frühstücksfernsehens von Los Angeles. Die Lust am Grässlichen, das einem nichts anhaben kann, befördert eine Kommerzialisierung und, in der weiteren Sicht, eine Manipulation der einschlägigen Nachrichten. Blutüberströmte Schwerverletzte müssen her, jeden Tag, solange sie noch, für alle Gaffer audio-visuell erkennbar, halbwarm und leidend sind. Erst später gehört ihr Tod dann, abschliessend, mit dazu. Auch heulende Sirenen und schleudernde Autos sind möglichst dicht an der Echtzeit sehr beliebt.

Nightcrawler 02

Bevorzugt sind diejenigen Knalleffekte, die des Nachts ertönen, auch damit die Reportagen mit der aufgehenden Sonne serviert werden können, frisch vom verschmierten Asphalt weg. Bluttaten, Brände und Karambolagen entfalten eine besonders schauerliche Wirkung in der Dunkelheit, dank ihr fällt es den Medienberichten zu, die Katastrophen aus dem Schatten ins Licht des Tages zu rücken. Seid froh, alles verschlafen zu haben, aber jetzt könnt ihr doch noch, schaut her, mit dabei gewesen sein.

Louis Bloom ist gewillt und befähigt, aus der grassierenden Gaudi einen Beruf, eine Karriere und einen unternehmerischen Erfolg zu schlagen. Auf eigene Faust, dann im Auftrag und endlich als Firmeninhaber reiht er sich unter die sogenannten nightcrawlers: zu jenen Videoreportern, die gleichsam um die Wette die besonders drastischen Vorfälle einer jeden Nacht aufspüren und abfilmen, um bei Tagesanbruch die gewonnenen Aufnahmen heuchlerisch dem meistbietenden Sender zur sofortigen Ausschlachtung anzudrehen.

Es gilt zu kriechen, to crawl, um einen Preis im vollen Handelswert der triefenden Bilder und Töne zu erzielen. So wird die Drecksarbeit von den Redaktionen ausgelagert, inklusive Verantwortung. Rasch einmal gilt es als zu wenig exklusiv und einträglich, Polizei und Sanität bloss hinterherzurasen. Der quoten- und profitbewusste Sensationalist will den Beamten zuvorkommen; und schon etwas weiter in der Perspektive winkt unvermeidlich die Versuchung, sich mit dem Horror auch einmal direkt zu verabreden, statt auf ihn zu warten.

Anfangs unterwürfig, bald aber als seine eigene überhebliche Verachtungsschleuder folgt der Held einer kurzen Laufbahn. Stoop to conquer heisst seine Haltung in klassischem Englisch: Erniedrige dich, um obenaus zu schwingen. Und zwar tut es Louis, als wollte er mittels Vokabular und Gehabe, nerds und startups parodieren, die von 1995 an im Teufelskreis von Spekulation, Krise und Krieg geholfen haben, die Zergliederung der westlichen Gesellschaften einzuleiten und ihre konsequenten Fehltritte mit herbeizuführen.

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Er ist für alles zu haben, was ihn aus dem allgegenwärtigen Prekariat herausbringt, und hält es einzig mit der Knete oder Reibe und mit jedem atemlosen Einzelerfolg. Der Aufstieg aus Gosse und Kleinkriminalität ist so rasant, dass Autor und Regisseur Dan Gilroy ein Scheitern kaum noch anzutippen braucht. Das eine ist im andern bereits inbegriffen, garantiert und automatisch. Indessen bleibt der Ausweg auf einen Nightcrawler 2 offen. Die Fortsetzung könnte Bloom etwa ruinieren und in den Knast schmeissen oder ihn der Zerknirschung und der Wohltätigkeit zuführen. In sensiblen Belangen öffnet amerikanisches Kino gern ein Hintertürchen für sämtliche Marktsegmente: etwa auch solche, deren Vertreter sich den Genuss an Unglücksfällen und Verbrechen niemals vermiesen lassen.

Gewiss, die Zweideutigkeit der Hauptfigur unterstreicht Jake Gyllenhaal auch mittels der Dialoge. Er verdeutlicht aber die Wahnvorstellungen des Protagonisten, mehr noch, anhand des frevelhaften Spiels der Blicke. Selbst bei zufriedenem, ironischem oder gewinnendem Lächeln zeigt sein Ausdruck keine wahre Gelassenheit oder Zuversicht. Suchend und schwenkend scheinen die hellwachen Augen rechter und linker Hand rastlos Signale von Vor- und Nachteilen, von Verzicht und Beharrlichkeit, von Verdacht und Verneinung, von Verfolgung und Gefahr erhaschen zu wollen.

Es geschieht weder nach Art der üblichen Hollywoodschurken noch so, wie es die gewöhnlichen Schizophrenen oder Desperaten der Leinwand üben. Denn was immer Gyllenhaal zu mimen hat, es soll als Mimesis erkenn- und durchschaubar bleiben und meidet, fast wie auf der Bühne Brechts, die aufgesetzte Echtheit. Louis Bloom gerät zu einem wahrhaft unfassbaren Glücks- oder Unglücksspieler, auch in der eigenen Wahrnehmung. Und er wächst zu einer männlichen Milieupflanze heran, die sich willig einpasst: überzeugt, ihren Platz in den Nächten von Los Angeles zu finden. Da glaubt einer zu wissen, was er will. Ach, wüsste er nur, wer er ist!

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 8/2014 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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