Filmbulletin Print Logo
Tokyo family 01

Tokyo Family / Tokyo Kazoku

Make Way for Tomorrow von Leo McCarey war einer der grössten Flops im Hollywoodkino der dreissiger Jahre und zugleich einer der folgenreichsten Filme, die dieses Jahrzehnt hervorbrachte. Die Tragikomödie von 1937 handelt von einem älteren Paar, das sein Zuhause verliert und entdecken muss, wie überzählig es im Leben ihrer Kinder ist. Der Misserfolg war nachhaltig.

Text: Gerhard Midding / 12. Mär. 2014

Make Way for Tomorrow von Leo McCarey war einer der grössten Flops im Hollywoodkino der dreissiger Jahre und zugleich einer der folgenreichsten Filme, die dieses Jahrzehnt hervorbrachte. Die Tragikomödie von 1937 handelt von einem älteren Paar, das sein Zuhause verliert und entdecken muss, wie überzählig es im Leben ihrer Kinder ist. Der Misserfolg war nachhaltig.

Der Film fand andere Wege, Filmgeschichte zu schreiben. Yasujiro Ozu schätzte ihn so sehr, dass er nach seinem Vorbild 1953 Tokyo monogatari drehte. Auch in der Zeit des New Hollywood wurde er wiederentdeckt: Paul Mazurskys Harry and Tonto lehnt sich an ihn an. Bertrand Tavernier, der sich mehrfach bemühte, dem französischen Publikum den Film näherzubringen, erwies ihm mit Daddy nostalgie seine Reverenz. Und als Doris Dörrie vor einigen Jahren mit Kirschblüten – Hanami ihre Hommage an Ozus Film drehte, hatte sie dessen Inspirationsquelle sehr wohl im Hinterkopf. Besitzt es nicht eine schöne Unausweichlichkeit, wenn Yôji Yamada, ehemaliger Regieassistent Ozus und einer seiner gelehrigsten Schüler, nun ein offizielles Remake des berühmtesten Films seines Meisters vorstellt? Es ist ein mehrfacher Jubiläumsfilm: Das Original kam vor sechzig Jahren in die japanischen Kinos, und Yamada kann auf eine fünfzigjährige Regiekarriere zurückblicken. Mithin eine weihevolle Angelegenheit.

Tokyo family 02

Tokyo Family folgt dem damaligen Drehbuch von Ozu und Kogo Noda erstaunlich getreu. Die Geschichte des Rentnerpaares aus der Provinz, das seine drei Kinder in der fernen Hauptstadt besucht und von ihnen wie eine lästige Stafette weitergereicht wird, hat Yamada sacht in die Gegenwart transponiert. Aber auch mit Handys und GPS kommen sich die Generationen nicht viel näher als zuvor. Vollends überzeugend ist die Aktualisierung nicht: Im Alter von achtundsechzig Jahren ist man heutzutage in der Regel rüstiger, als es Senioren in Ozus Nachkriegsjapan noch waren; die Geschlechterverhältnisse haben sich gewandelt. Yamada nimmt gegenüber dem Original eine entscheidende Änderung vor. Dort war die im Krieg verwitwete Schwiegertochter Noriko die Einzige, die ein herzliches Interesse an den betagten Besuchern zeigte. Bei Yamada lebt der Sohn noch. Er erscheint anfangs als der nichtsnutzigste unter den Kindern. Seine Freundin Noriko, die hier eine Spur zu herzig geraten ist, will zwischen ihm und dem strengen Vater vermitteln.

Stärker als sein Meister setzt Yamada humorvolle Akzente. Die Wehmut des Films schmälert das nicht. Er absolviert ein Pflichtprogramm: Er zitiert ikonische Ozu-Einstellungen, tut dies aber so knapp und dezent, dass sein Film nicht im Hommage-Gestus stecken bleibt. Sein Remake vermeidet es zugleich ehrfürchtig, das Original zu übermalen. Das wäre ohnehin aussichtslos, gehört es doch zu den Ewigkeitswerken der Filmgeschichte. Yamada zeigt sich vielmehr als Schüler, der in der Manier des Lehrers arbeitet. Der Generationenvertrag hat zwischen diesen beiden Künstlern noch Gültigkeit. In der Zusammenschau der Filme werden die unterschiedlichen Handschriften deutlich. Ozus Stil ist konzentrierter, er kadriert seine Stillleben des Alltags rigider. Yamada trägt Sorge dafür, den Hintergrund seiner Bilder geschäftiger wirken zu lassen. Tokyo Family ist der zerstreutere Film. Ozus Blick ist melancholisch. Sein Schüler hingegen räumt diskret der Zuversicht ihren Platz ein. Es ist müssig, ihre Qualitäten gegeneinander auszuspielen; Klassiker und Hommagen spielten noch nie in der gleichen Liga. Beide Filme erzählen eine Geschichte, die jeder Generation neu nahegebracht werden darf. Sie ist heute so herzzerreissend aktuell, wie sie es schon 1937 war.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 2/2014 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

Weitere Empfehlungen

Kino

18. Feb. 2022

Swan Song – Abgesang eines Paradiesvogels

Längst sind seine bunten Kleider und der auffällige Schmuck einem formlosen Trainingsanzug gewichen. Einst war Pat Pitsenberger, als Friseur und Travestiekünstler in Sandusky eine Lokalberühmtheit. Ihm widmet Todd Stephens seine anrührende Tragikomödie Swan Song.